Forscher befürchten, dass ein fehlgeschlagener Versuch, ihre Ergebnisse zu replizieren, ihrer Reputation schadet. Sie überschätzen diese Folgen jedoch und nehmen an, dass es besonders schädlich für Ihren Ruf ist, wenn sie zugeben, dass sie mit ihren ursprünglichen Schlussfolgerungen falsch lagen. Um dieser Angst zu begegnen und wissenschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen, sollten bei Replikationsversuchen nicht nur hohe methodische Standards angewendet werden, sondern auch innerhalb der wissenschaftlichen Community spezifische Kommunikationsstandards unter den Forschern beachtet werden – das belegt eine Studie der University of Essex und des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM).
Tübingen, 10. Dezember 2015. Replikationen sind Studien, bei denen Wissenschaftler frühere wissenschaftliche Studien anderer Autoren wiederholen, um die Gültigkeit der ursprünglichen Befunde zu überprüfen. Solche Replikationen von Forschungsergebnissen werden in jüngster Zeit als immer wichtiger angesehen - denn sowohl erfolgreiche, als auch nicht erfolgreiche Replikationen liefern wichtige Erkenntnisse und dienen somit dem wissenschaftlichen Fortschritt.
Mehr und mehr wissenschaftliche Zeitschriften bieten eine Plattform für die Veröffentlichung von Replikationen, sie werden aber auch unter Wissenschaftlern oder über soziale Medien diskutiert. Ein kürzlich in PLOS ONE veröffentlichtes Experiment mit mehr als 250 Wissenschaftlern hat gezeigt, dass Forscher negative Auswirkungen überschätzen, die Nicht-Replikationen ihrer veröffentlichten Arbeiten auf ihre Reputation unter Wissenschaftlern haben.
Die von Adam Fetterman (University of Essex) und Kai Sassenberg (IWM) durchgeführte Studie untersuchte zusätzlich, welchen Einfluss es haben kann, wenn Forscher ihre möglicherweise falschen Schlussfolgerungen zugeben. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass die Reputation der Autoren nach einer gut ausgeführten fehlgeschlagenen Replikation weniger leidet, wenn sie zugeben, dass ihre ursprünglichen Schlussfolgerungen falsch gewesen sein könnten, als wenn sie ihren möglichen Irrtum nicht zugeben. Die teilnehmenden Wissenschaftler fürchteten hingegen, dass es ihrer Reputation deutlich schaden könnte, wenn sie zugeben, dass ihre früheren Schlussfolgerungen womöglich falsch waren. Insbesondere befürchteten sie, dass Forscherkollegen in der Folge auch die Gültigkeit anderer Forschungsergebnisse von ihnen in Frage stellen könnten.
Prof. Dr. Sassenberg fasst zusammen: “Wir haben herausgefunden, dass Wissenschaftler einerseits um ihre Reputation fürchten und dabei die Folgen von fehlgeschlagenen Replikationen auf ihre Reputation überschätzen. Unsere Ergebnisse zeigen andererseits auch: Forscher, die zugeben, dass sie bei einem Ergebnis vielleicht falsch lagen, das sich nicht replizieren ließ, fügen ihrem Ruf wahrscheinlich keinen Schaden zu, sondern können dadurch vielleicht sogar Schaden von ihrer wissenschaftlichen Reputation abwenden.“
Dr. Fetterman kommentiert: “Die Sorge um den wissenschaftlichen Ruf könnte die Ziele der Replikationsbewegung und den wissenschaftlichen Fortschritt behindern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sollte bewusst sein, dass es auch zu falschen Ergebnissen kommen kann und diese zuzugeben dem wissenschaftlichen Fortschritt dient”. Tatsächlich führte in ihrer Studie das Nachdenken über fehlgeschlagene Replikationen der eigenen Forschung zu einer weniger positiven Haltung gegenüber der Replikationsbewegung, als das Nachdenken über fehlgeschlagene Replikationen der Forschung anderer Personen.
Alles in allem zeigt diese Studie, dass die Kommunikation über (fehlgeschlagene) Replikationen mit Vorsicht zu handhaben ist. Nicht-Replikationen können sonst Furcht unter den Autoren eines ursprünglichen Befundes auslösen, was zu defensiven Haltungen führen und das grundlegende Vertrauen zerstören kann, auf das wissenschaftliche Forschung aufbaut. Der oft polemische Austausch über nicht replizierte Befunde anderer Forscher mittels sozialer Medien geht definitiv mit dem Risiko einher, dass die betreffenden Autoren des nicht-replizierten Effekts dabei auf der Strecke bleiben. Eine Kommunikation, an der neutrale Dritte wie z. B. Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften beteiligt sind, scheint geeigneter zu sein, diese Furcht zu vermeiden und das gegenseitige Vertrauen zu bewahren.
Mit anderen Worten, die aktuellen Ergebnisse verlangen nach einem Kommunikationskodex innerhalb der wissenschaftlichen Community, der die durch (fehlgeschlagene) Replikationen bedingte Furcht vor Reputationsverlust berücksichtigt. Eine Kommunikation, die dies nicht berücksichtigt, kann als verspottend wahrgenommen werden und Wissenschaftler davon abhalten, am Diskurs teilzunehmen oder sie womöglich dazu bringen, eine Karriere in der Wissenschaft aufzugeben. Insbesondere begabte Nachwuchsforscher könnten nach einer Nicht-Replikation ihrer eigenen Befunde die Wissenschaft aus Angst vor den Reaktionen anderer verlassen, wodurch ein hohes Ausmaß an Potential für wissenschaftlichen Fortschritt verloren ginge.
Mehr Informationen:
Prof. Dr. Kai Sassenberg, Leibniz-Institut für Wissensmedien, Schleichstraße 6, 72076 Tübingen, Tel.: 07071/ 979-220, E-Mail: k.sassenberg@iwm-tuebingen.de
Link zum Artikel: http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0143723
Das Leibniz-Institut für Wissensmedien
Das Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) in Tübingen erforscht das Lehren und Lernen mit digitalen Technologien. Rund 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Kognitions-, Verhaltens- und Sozialwissenschaften arbeiten multidisziplinär an Forschungsfragen zum individuellen und kooperativen Wissenserwerb in medialen Umgebungen. Seit 2009 unterhält das IWM gemeinsam mit der Universität Tübingen Deutschlands ersten Leibniz-WissenschaftsCampus zum Thema „Bildung in Informationsumwelten“. Internetadresse: www.iwm-tuebingen.de.
Kontakt & weitere Informationen zum Leibniz-Institut für Wissensmedien
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