idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
17.12.2015 14:28

Wie frei ist der Wille wirklich?

Manuela Zingl GB Unternehmenskommunikation
Charité – Universitätsmedizin Berlin

    Berliner Wissenschaftler prüfen Grundmuster von Entscheidungen
    Unser Wille ist freier als bislang angenommen. In computergestützten Experimenten haben Hirnforscher der Charité – Universitätsmedizin Berlin Entscheidungsabläufe am Beispiel von Bewegungen untersucht. Die entscheidende Frage: Lassen sich Prozesse im Gehirn wieder stoppen, wenn sie einmal angestoßen sind? Die Forscher kommen zu dem Schluss: Ja, bis zu einem gewissen Punkt, dem „point of no return“. Die Ergebnisse der Studie sind im aktuellen Fachmagazin PNAS* veröffentlicht.

    Hintergrund der neuen Untersuchungen: Spätestens seit den 1980er Jahren diskutieren Hirnforscher, Psychologen, Philosophen und Öffentlichkeit über die Bewusstheit und Vorbestimmtheit menschlicher Entscheidungen. Seinerzeit studierte der amerikanische Forscher Benjamin Libet Hirnprozesse von Probanden, während sie einfache freie Entscheidungen fällten. Er zeigte, dass das Gehirn Entscheidungen bereits unbewusst vorwegnahm. Noch bevor sich eine Person willentlich entschieden hatte, war ein sogenanntes „Bereitschaftspotenzial“ in ihren elektrischen Hirnwellen zu erkennen.

    Wie aber kann es sein, dass das Gehirn vorab weiß, wie sich ein Proband entscheiden wird, obwohl es diesem selbst noch gar nicht bewusst ist? Die Existenz der vorbereitenden Hirnwellen galt bis dato oft als Beleg für den sogenannten „Determinismus“. Demnach ist der freie Wille eine Illusion – unsere Entscheidungen werden durch unbewusste Hirnmechanismen erzeugt und nicht durch unser „bewusstes Ich“ gesteuert. Die Forscher um Prof. Dr. John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité haben die Thematik gemeinsam mit Prof. Dr. Benjamin Blankertz und Matthias Schultze-Kraft von der Technischen Universität Berlin neu aufgerollt. Mit aktuellen Messtechniken sind sie der Frage nachgegangen, ob Menschen geplante Bewegungsabläufe stoppen können, nachdem das Bereitschaftspotential für eine Handlung ausgelöst worden ist.

    „Unser Ziel war herauszufinden, ob mit dem Auftreten der frühen Hirnwellen eine Entscheidung automatisch und unkontrollierbar erfolgt, oder ob sich der Proband noch umentscheiden, also ein „Veto“ ausüben kann“, erklärt Prof. Haynes. Dazu haben die Wissenschaftler Probanden in ein „Hirnduell“ mit einem Computer geschickt und während des Spiels die Hirnwellen per Elektroenzephalographie abgeleitet. Ein speziell „trainierter“ Computer versuchte anhand der Hirnwellen vorherzusagen, wann sich ein Proband aufgrund von Anreizen bewegen würde und sollte den Probanden überlisten: Sobald die Hirnwellen Anzeichen dafür gaben, dass sich der Proband in Kürze bewegen würde, wurde das Spiel zugunsten des Computers manipuliert.
    Wenn es Probanden möglich ist, aus der Falle der Vorhersagbarkeit ihrer eigenen Hirnprozesse zu entkommen, wäre dies ein Anzeichen dafür, dass sie über ihre Handlungen noch weit länger Kontrolle haben, als bisher angenommen. Genau das konnten die Forscher nun aufzeigen: „Die Probanden sind den frühen Hirnwellen nicht unkontrollierbar unterworfen. Sie waren dazu in der Lage, aktiv in den Ablauf der Entscheidung einzugreifen und eine Bewegung abzubrechen“, sagt Prof. Haynes. „Dies bedeutet, dass die Freiheit menschlicher Willensentscheidungen wesentlich weniger eingeschränkt ist, als bisher gedacht. Dennoch gibt es einen Punkt im zeitlichen Ablauf von Entscheidungsprozessen, ab dem eine Umkehr nicht mehr möglich ist, den ‚point of no return’.“ In weiteren Studien werden die Berliner Wissenschaftler komplexere Entscheidungsabläufe untersuchen.

    *Matthias Schultze-Kraft, Daniel Birman, Marco Rusconi, Carsten Allefeld, Kai Görgen, Sven Dähne, Benjamin Blankertz and John-Dylan Haynes. Point of no return in vetoing self-initiated movements. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA, Dec. 2015. doi/10.1073/pnas.1513569112.

    Kontakt:
    Prof. Dr. John-Dylan Haynes
    Direktor des Berlin Center for Advanced Neuroimaging (BCAN)
    Bernstein Center for Computational Neuroscience
    Charité – Universitätsmedizin Berlin
    t: +49 1525 463 9421
    E-Mail: john-dylan.haynes@charite.de


    Weitere Informationen:

    http://www.charité.de
    https://sites.google.com/site/hayneslab/


    Bilder

    Hirnduell mit Computer: Proband während des Experiments
    Hirnduell mit Computer: Proband während des Experiments
    Copyright Charité, Carsten Bogler
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Gesellschaft, Medizin, Philosophie / Ethik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hirnduell mit Computer: Proband während des Experiments


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).