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11.09.1998 00:00

Neues Behandlungskonzept für Autoimmunkrankheiten

Dr. med. Silvia Schattenfroh GB Unternehmenskommunikation
Charité-Universitätsmedizin Berlin

    AUS DER MEDIZIN FÜR DIE MEDIEN Nr. 2/1998

    Ein neues Behandlungskonzept für Patienten mit Autoimmunkrankheiten wird derzeit an der Charité, der medizinischen Fakultät der Berliner Humboldt Universität, in Zusammenarbeit mit dem "Deutschen RheumaForschungsZentrum Berlin" erprobt.
    Dabei wird die Transplantation körpereigener Stammzellen mit hochdosierter Chemotherapie kombiniert, wie sie in ähnlicher Form zur Behandlung von Blutkrebs bereits angewendet wird. Wie Professor Renate Arnold, Hämatologin an der II. Medizinischen Klinik der Charité, mitteilt, sind bereits zwei Frauen im Alter von 27 und 48 Jahren erfolgreich behandelt worden. Sie litten an "Lupus erythematodes", bzw. an einer immer wieder aufflammenden "Polychondrititis" (Entzündung von Knorpelgewebe)" und befanden sich in lebensbedrohlichem Zustand. Beide sind jetzt, drei, bzw. vier Monate nach dem Ende der neuen Behandlung, beschwerdefrei. Eine dritte Patientin unterzieht sich zur Zeit der Therapie. Insgesamt sollen in diesem Jahr in Berlin 10 Patienten mit fortgeschrittenen Krankheiten des rheumatischen Formenkreises (rheumatoide Arthritis, Dermatomyositis, Lupus erythematodes oder systemische Vaskulitis) behandelt werden. Außerdem sollen von dem für Autoimmunkrankheiten neuen Konzept jeweils 10 Kranke in Kiel und Erlangen noch innerhalb dieses Jahres profitieren.
    Es handelt sich dabei ausnahmslos um solche, bei denen die konventionelle Behandlung versagt hat, die sich seit Jahrzehnten schon auf Medikamente mit entzündungshemmender Wirkung, (vor allem auf das Cortison) stützt. Außerdem werden zellzerstörende Substanzen, wie das Cyclophosphamid (Handelsname: "Endoxan") genutzt, die Immunzellen vernichten sollen. Schließlich verabreicht man auch Antikörper (Antilymphozyten- oder Antithymozytenserum), die bestimmte weiße Blutkörperchen, Lymphozyten, unschädlich machen sollen. Heilung ist damit jedoch nicht erreicht worden. Die Behandlung gestaltet sich auch deshalb schwierig, weil niemand weiß, wodurch Autoimmunkrankheiten entstehen. Sicher ist aber, daß Immunzellen, die eigentlich der Abwehr von Krankheitskeimen dienen sollen, körpereigenes Gewebe angreifen. Die Ursache dafür ist ebenfalls unbekannt. Vieles spricht indessen dafür, daß bisher nicht identifizierte Erreger (Viren, Bakterien, Pilze) den Autoimmunvorgang starten, der dann an Immunzellen gebunden ungebremst fortschreitet. Bei einigen Autoimmunkrankheiten sind mehrere Organe (Herz, Niere, Gehirn) befallen, wie beim sogenannten Lupus erythematodes, bei anderen ist nur ein einziges betroffen, etwa die Schilddrüse. Für wieder andere ist typisch, daß nicht Organe, sondern Gewebe attackiert werden, die überall im Körper vorkommen. So die Haut bei "Sklerodermie", Gelenke bei "rheumatoider Arthritis" oder "Polychondritis" oder die Muskulatur bei "Dermatomyositis".

    Dem neuen Berliner Therapieangebot liegt die Vorstellung zugrunde, daß das fehlgeleitete Immunsystem des Patienten nur in seiner Aggressivität zu stoppen ist, wenn die Zellen, die an diesem Vorgang beteiligt sind, entfernt werden. Leider kennt man sie nicht. Ihre Beseitigung kann daher bisher nur zusammen mit der Abtötung des gesamten, reifen Immunsystems gelingen. Damit der Betroffene aber ein neues Abwehrsystem aufbauen kann, entnimmt man zuvor die Stammzellen aus seinem Blut, jene jungfräulichen Zellen, aus denen alle andere Immunzellen hervorgehen. Und gibt sie ihm zurück, nachdem sein Immunsystem durch Zytostatika zerstört worden ist.

    Praktisch geht es zunächst um die verstärkte Mobilisierung der an sich seltenen Stammzellen aus dem Knochenmark ins Blut. Dazu wird dem Patienten Endoxan verabreicht, wodurch die Zahl der Immunzellen in den nächsten 5 Tagen massiv zurückgeht. Dann erhält er über mehrere Tage Wachstumshormon. Beide Maßnahmen zusammen führen dazu, daß in der Erholungsphase einige Tage später "die Ernte" an Stammzellen verhältnismäßig hoch ist. Die Zellen werden tiefgefroren.
    Mit diesem Sicherheitspfand kann man daran gehen, das Immunsystem des Patienten mit hohen Dosen Endoxan und Antithymozytenserum zu vernichten. Sobald dies nach ein paar Tagen geschehen ist, gibt man ihm seine Stammzellen - in die Vene gespritzt - zurück. Damit baut sein Körper ein neues Immunsystem auf. Allerdings hat das neue keine Erinnerung (in Form von Gedächtniszellen) an ehemals vom Patienten erworbene Abwehrkräfte. Träger dieses "Gedächtnisses" sind spezielle Lymphozyten. Um dem Patienten nicht ganz schutzlos zu lassen versucht man in Berlin, ihm zusammen mit dem Stammzelltransplantat zumindest bestimmte Lymphozyten, die man für unschuldig am Autoimmunprozeß hält, zurückzugeben. Dazu gehören "naive T-Helfer-Zellen", und sogenannte CD8-Zellen. Herauszufinden, ob und wieviele dieser Zellen vom Patienten toleriert werden, ohne daß es zu erneutem Auflammen der Autoimmunerkrankung kommt, gehört zu den Zielen des Behandlungsprogramms.
    Möglich ist die Zellbehandlung vor allem auch deshalb, weil Professor Andreas Radbruch, seit 1997 Leiter des "Deutschen RheumaForschungsZentrums Berlin", mit seiner Arbeitsgruppe 1990 - damals noch in Köln -ein besonders effektives, mit Magnetismus arbeitendes Verfahren entwickelt hat, um Zellen unterschiedlicher Art aus dem Blut in hoher Reinheit von einander abzutrennen. Das Verfahren, die "Magnetische Hochgradienten Zellsortierung"(MACS) ist inzwischen von der Gruppe weiter verfeinert und erweitert worden und so steht in Berlin seit wenigen Monaten ein Gerät zur Verfügung, mit dem sich Stammzellen aus allen übrigen Bestandteilen des Blutes mit einer Exaktheit herauslösen lassen, wie dies sonst nirgends auf der Welt möglich war. Der soerreichte Reinheitsgrad machte den Klinikern überhaupt erst Mut, die Stammzelltransplantation zur Behandlung bei Autoimmunkrankheiten einzusetzen. Die Geräte stehen jetzt auch in Kiel und Erlangen zur Verfügung.
    Damit lassen sich auch andere, in Blut und Knochenmark seltene Zellen identifizieren und Erkenntnisse über ihre Funktion gewinnen. Beispielsweise kann man an Hand der Zytokine, die die Zellen bilden, um sich untereinander zu verständigen, Rückschlüsse ziehen auf Schwere und Art von Entzündungsreaktionen..
    Radbruch erwartet von der umfangreichen Analyse von Zellart und -funktion - vor und nach der Stammzelltransplantation - Aufschlüsse über jene Untergruppen von Zellen, die den Autoimmunprozeß unterhalten. Sobald man solche Zellen kennt, dürfte die Pharmaindustrie auch Hemmstoffe entwickeln können, die diese "bösen" Zellen blockieren, so daß Autoimmunkrankheiten gar nicht erst bis ins Endstadium voranschreiten. Hiervon würden allein in Deutschland Millionen Kranke profitieren.

    Dr. med Silvia Schattenfroh
    Dekanat
    Pressereferat-Forschung
    Schumannstraße 20/21
    10117 Berlin

    FON:(030) 2802-2223 FAX:(030) 2802-3625
    e-mail: Silvia.Schattenfroh@charite.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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