Gute Übereinstimmung zwischen theoretischer Vorhersage und hochpräzisen g-Faktor-Messungen erweitert unsere detaillierte Kenntnis über die Wechselwirkung zwischen Elektronen und Kernen in Atomen
In einem kürzlich in Nature Communications erschienenen Artikel präsentieren Wissenschaftler aus Mainz, Heidelberg, Darmstadt und St. Petersburg erstmals einen direkten Test des Kernrückstoßeffekts. Während der Atomkern üblicherweise als räumlich fixiert betrachtet wird, beschreibt der Kernrückstoßeffekt eine gewisse Beweglichkeit des Kerns. Damit wird es möglich, die Dynamik der Wechselwirkung zwischen den Elektronen und dem Atomkern zu beobachten. Die jetzt vorgelegten Ergebnisse zeigen, dass die theoretischen Vorhersagen gut mit den hochpräzisen Messungen übereinstimmen.
Um das Atom physikalisch zu beschreiben, entwickelte Niels Bohr vor etwa 100 Jahren sein berühmtes Atommodell und ebnete damit den Weg für unser heutiges Verständnis vom Aufbau der Atomhülle. Heute wird der Aufbau des Atoms mit einer der am genauesten getesteten Theorien beschrieben, der Quantenelektrodynamik gebundener Zustände (BS-QED). Zum experimentellen Test dieser Theorie eignet sich der sogenannte g-Faktor des gebundenen Elektrons besonders. Der g-Faktor beschreibt die Stärke eines magnetischen Moments, ist in diesem Fall also ein Maß für die magnetische Kraft, die von dem gebundenen Elektron ausgeht.
In dem aktuellen Artikel präsentieren Dr. Florian Köhler et al. erstmals einen direkten Test des Kernrückstoßeffekts, „einen der faszinierendsten BS-QED-Beiträge zum g-Faktor“, so der Projektleiter des g-Faktor-Experiments hochgeladener Ionen, Dr. Sven Sturm vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Zum experimentellen Test dieses Beitrags wurden die g-Faktoren der beiden Kalziumisotope Ca-40 und Ca-48 verglichen, die jeweils nur noch drei Elektronen binden und sich somit in einer lithiumähnlichen Elektronenkonfiguration befinden. Sie besitzen trotz eines verhältnismäßig großen Massenunterschieds von 20 Prozent sehr ähnliche Kernladungsradien, sodass der Einfluss der Kerngrößen beim Vergleich der g-Faktoren vernachlässigt werden kann. Aus diesem Grund bilden die beiden Kalziumisotope ein einzigartiges Testsystem, mit dem der winzige Unterschied ihrer g-Faktoren aufgrund unterschiedlich großer Beiträge des Kernrückstoßeffekts – der relative Unterschied beträgt gerade einmal etwa 0,000001 Prozent – experimentell bestimmt werden kann.
Der Test wurde durch die enge Zusammenarbeit dreier verschiedener physikalischer Disziplinen möglich: modernste BS-QED-Berechnungen von Theoretikern aus St. Petersburg um Prof. Dr. Vladimir M. Shabaev, hochpräzise Messungen der g-Faktoren von einer Forschergruppe aus Heidelberg und Mainz und die genaue Bestimmung der Atommassen der beteiligten Kalziumisotope am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt.
Die gute Übereinstimmung zwischen dem theoretisch vorhergesagten Kernrückstoßeffekt und den hochpräzisen g-Faktor-Messungen erweitert unsere detaillierte Kenntnis über die Wechselwirkung zwischen Elektronen und Kernen in Atomen. Das Experiment bildet zudem die Grundlage für eine neue Generation von Tests der BS-QED und ebnet den Weg für weitere grundlegende Präzisionsmessungen in der Atomphysik, beispielsweise die Bestimmung der Feinstrukturkonstante.
Veröffentlichung:
Isotope dependence of the Zeeman effect in lithium-like calcium
Florian Köhler et al.
Nature Communications, 18. Januar 2016
DOI: 10.1038/ncomms10246
Abbildung/Foto:
http://www.uni-mainz.de/bilder_presse/08_physik_kernrueckstosseffekt_01.jpg
Schematische Darstellung des Experiments: Von den lithiumähnlichen Kalziumionen Ca-40 und Ca-48 wird die g-Faktor-Differenz gemessen und berechnet, um so den relativistischen Kernrückstoßbeitrag zu testen.
Abb.: Florian Köhler, Institut für Physik, JGU
http://www.uni-mainz.de/bilder_presse/08_physik_kernrueckstosseffekt_02.jpg
Dr. Florian Köhler und Dr. Sven Sturm beim g-Faktor-Experiment für hochgeladene Ionen im Untergeschoss des Instituts für Physik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Hier wurden die g-Faktoren von Ca-40 und Ca-48 mit höchster Präzision experimentell bestimmt. Die Ionenfallen sowie die supraleitenden Detektionssysteme mit ultra-präziser Messelektronik befinden sich im 3,7-Tesla-Magneten, der von einer temperaturstabilisierten Box (rechts) umgeben ist.
Foto: Andreas Mooser, Institut für Physik, JGU
Weitere Informationen:
Dr. Florian Köhler
Institut für Physik
Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU)
55099 Mainz
Tel. +49 6131 39-22891
E-Mail: koehlef@uni-mainz.de
und
Max-Planck-Institut für Kernphysik
Saupfercheckweg 1
69117 Heidelberg
Weitere Links:
http://www.nature.com/ncomms/2016/160118/ncomms10246/full/ncomms10246.html (Article)
https://www.mpi-hd.mpg.de/blaum/gfactor/silicon/index.de.html (Webseite zum g-Faktor-Experiment)
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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