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04.05.2016 20:00

Wie Schwangerschaft die Wahrnehmung verändert

Dr. Stefanie Merker Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Neurobiologie

    In der Schwangerschaft verändern sich die Wahrnehmung und Reaktionen auf bestimmte Gerüche und Geschmäcker mitunter drastisch. Das ist auch bei Fliegen so. Was die Veränderung in der Wahrnehmung jedoch auslöst, ist weder bei Säugetieren noch bei Insekten verstanden. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried zeigen nun in Fruchtfliegen, dass die Konzentration eines bestimmten Rezeptors in den Sinnesorganen befruchteter Fliegenweibchen steigt. Dadurch wird der Geschmack und Geruch von wichtigen Nährstoffen, den Polyaminen, anders im Gehirn verarbeitet: Befruchtete Fliegen entscheiden sich für polyaminreiche Nahrung und steigern so ihren Reproduktionserfolg.

    Eine Schwangerschaft bedeutet eine enorme Herausforderung für den Organismus der Mutter. Um die heranwachsenden Nachkommen optimal zu versorgen und gleichzeitig die eigenen, gesteigerten Körperfunktionen aufrecht zu erhalten, muss sich die Ernährung auf die geänderten Anforderungen umstellen. "Wir wollten wissen, ob und wie eine werdende Mutter die benötigten Nährstoffe wahrnimmt", erklärt Ilona Grunwald Kadow, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Neurobiologie.

    Polyamine sind Nährstoffe, die der Körper selbst und auch die Darmbakterien herstellen können. Ein Teil der benötigten Polyamine muss jedoch über die Nahrung aufgenommen werden. Mit fortschreitendem Alter wird die Aufnahme von Polyaminen mit der Nahrung immer wichtiger, da die körpereigene Produktion zurückgeht. Polyamine spielen in unzähligen Zellprozessen eine Rolle, sodass sich eine Polyamin-Unterversorgung negativ auf die Gesundheit, kognitiven Fähigkeiten, Reproduktion und Lebenserwartung auswirken kann. Doch auch zu viele Polyamine können schädlich sein. Die Polyaminaufnahme sollte daher an die aktuellen Bedürfnisse des Körpers angepasst sein.

    Die Martinsrieder Neurobiologen konnten nun zeigen, dass Fruchtfliegenweibchen nach der Paarung Nahrung mit einem höheren Polyaminanteil bevorzugen. Eine Kombination aus Verhaltensstudien und physiologischen Untersuchungen ergab, dass die veränderte Anziehungskraft von Polyaminen auf Fliegen vor und nach der Paarung durch einen Neuropeptid-Rezeptor, den sogenannten Sex Peptid Rezeptor (SPR) und seine Neuropeptid-Bindungspartner ausgelöst wird. "Es war bekannt, dass der SPR die Eiproduktion in verpaarten Fliegen ankurbelt", erklärt Ashiq Hussain, einer der beiden Erstautoren der Studie. "Dass der SPR auch die Aktivität der Nervenzellen reguliert, die den Geschmack und Geruch von Polyaminen erkennen, hat uns überrascht."

    In trächtigen Weibchen werden deutlich mehr SPR-Rezeptoren in die Oberflächen der chemosensorischen Nervenzellen eingebaut. Polyamine werden so bereits sehr früh in der Verarbeitungskette von Gerüchen und Geschmäckern verstärkt wahrgenommen. Die Bedeutung des Rezeptors zeigte sich, als die Forscher durch eine genetische Modifikation das SPR-Vorkommen in Geruchs- und Geschmacksneuronen nicht-trächtiger Weibchen steigerten: Diese Veränderung reichte aus, um die Nervenzellen von jungfräulichen Fliegen deutlich stärker auf Polyamine reagieren zu lassen. Letztendlich führte dies dazu, dass die Weibchen ihre Vorlieben änderten und wie ihre verpaarten Artgenossinnen die polyaminreiche Nahrungsquelle anflogen.

    Die Studie zeigt erstmals einen Mechanismus, über den Trächtigkeit (oder Schwangerschaft) die chemosensorischen Nervenzellen modifizieren und so die Wahrnehmung wichtiger Nährstoffe und das Verhalten darauf verändern können. "Da Geruch und Geschmack in Insekten und Säugetieren ähnlich verarbeitet werden, könnte ein entsprechender Mechanismus auch bei uns Menschen dafür sorgen, dass das heranwachsende Leben optimal versorgt ist", vermutet Habibe Üc̗punar, die zweite Erstautorin der Studie. In einer parallel erscheinenden Studie konnten die Wissenschaftler zudem zeigen, wie die wichtigen Polyamine von den Fruchtfliegen überhaupt wahrgenommen werden.

    ORIGINALVERÖFFENTLICHUNG:
    Ashiq Hussain, Habibe K. Üc̗punar, Mo Zhang, Laura F. Loschek, Ilona C. Grunwald Kadow
    Neuropeptides modulate female chemosensory processing upon mating in Drosophila
    PLOS Biology, online am 4. Mai 2016

    KONTAKT:
    Dr. Stefanie Merker
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
    Tel.: 089 8578 - 3514
    E-Mail: merker@neuro.mpg.de
    www.neuro.mpg.de

    Dr. Ilona Grunwald Kadow
    Chemosensorische Kodierung
    Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
    Tel.: 089 8578 3159
    Email: ikadow@neuro.mpg.de


    Weitere Informationen:

    http://www.neuro.mpg.de/kadow/de - Webseite der Forschungsgruppe von Dr. Grunwald Kadow


    Bilder

    Der reproduktive Zustand des Fliegenweibchens schickt Signale an das Gehirn, worauf sich die Sinneswahrnehmung ändert.
    Der reproduktive Zustand des Fliegenweibchens schickt Signale an das Gehirn, worauf sich die Sinnesw ...
    (c) MPI für Neurobiologie / Friedrich
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Der reproduktive Zustand des Fliegenweibchens schickt Signale an das Gehirn, worauf sich die Sinneswahrnehmung ändert.


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