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09.05.2016 13:00

"Berliner Kolloquium: Der Datenmensch"

Dr. Johannes Schnurr Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Publikationen
Daimler und Benz Stiftung

    20. Berliner Kolloquium
    der Daimler und Benz Stiftung

    "Der Datenmensch – Freiheit und Selbstbestimmung in der digitalen Welt"

    11. Mai 2016
    Langenbeck-Virchow-Haus
    Luisenstraße 58/59
    10117 Berlin

    Das Pressegespräch beginnt um 10.00 Uhr

    Teilnehmer:
    Prof. Dr. Johannes Masing, Richter am Bundesverfassungsgericht
    Prof. Dr. Alexander Rossnagel, Universität Kassel
    Prof. Dr. Jeanette Hofmann, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
    Florian Glatzner, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., Berlin

    In der digitalen Welt lässt sich von jedem Menschen innerhalb kürzester Zeit ein umfassendes Datenprofil erzeugen. Virtuelle und reale Informationen vermischen sich, sodass das Verhalten des Einzelnen und damit der ganzen Gesellschaft in allen Lebensbereichen vorhersehbar und steuerbar wird. Wir sind Datenmenschen geworden – aber was bedeutet das? Beim 20. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung diskutieren namhafte Experten über die Bedeutung dieser Entwicklungen für das Individuum und unsere Gesellschaft. Wissenschaftlicher Leiter der Veranstaltung ist der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Alexander Roßnagel.

    Stiftung: Was verstehen Sie unter dem Begriff „Datenmensch“?

    Roßnagel: Das Phänomen „Datenmensch“ birgt einen Zwiespalt. Der Datenschatten – wie auf der Ankündigung zum Berliner Kolloquium – stellt die digitale Verdoppelung eines Menschen dar. Er kann einerseits sehr hilfreich sein, aber der Schatten verfolgt uns auch. Alles, was einen Menschen in seiner Individualität ausmacht, ist heute auch in Bits und Bytes verfügbar.

    Stiftung: Was bedeutet das konkret für unsere Gesellschaft, für unsere Freiheit und Selbstbestimmung?

    Roßnagel: „Wissen ist Macht“ und derjenige, der viel über andere weiß, besitzt Macht. Unter-nehmen wissen heute mehr über die Bevölkerung als Geheimdienste. Sie kennen die Gewohnheiten, Einstellungen und Vorlieben des Einzelnen und wissen auch über seine Kommunikation, seine Beziehungen, seine Verflechtungen mit anderen und Gruppenbildungen Bescheid. Kurz gesagt: Es findet eine Machtzusammenballung bei Unternehmen in Bezug auf Wissen über gesellschaftliche Strukturen statt. Durch diese Wissensmacht sind sie in der Lage, Menschen zu kontrollieren, zu unterdrücken und sogar – durch die Preisgabe peinlicher Informationen – in den Freitod zu treiben. In unserem Staat muss große gesellschaftliche Macht jedoch grundsätzlich demokratisch legitimiert, gesetzlich normiert, begrenzt und kontrolliert werden.

    Stiftung: Wie bewerten Sie den Wissensstand zum Thema Datenschutz innerhalb der Gesellschaft? Ist er zu gering oder ist es den Menschen nicht wichtig?

    Roßnagel: Den Wissensstand in der Gesellschaft halte ich nicht für zu niedrig, den meisten Menschen ist die Thematik zumindest grob bekannt. Problematischer ist vielmehr das Paradoxon da-hinter: Obwohl man um die Gefahren weiß, nutzt man dennoch alle aktuellen Vorzüge der Internetdienste, die sich mit Daten bezahlen lassen. Die Risiken werden zugunsten eines unmittelbaren Vorteils schlichtweg ausgeblendet. Künftige Nachteile liegen gefühlt weit in der Zukunft und wirken im Augenblick der Nutzung daher abstrakt.

    Stiftung: Wo sehen Sie in diesem Zusammenhang die größte Gefahr?

    Roßnagel: Das ist das entstehende Gefühl des Überwachtseins. Das wurde auch bereits vom Bundesverfassungsgericht formuliert. Wenn der Einzelne damit rechnen muss, bei einer Veranstaltung registriert und überwacht zu werden, wird er möglicherweise von einer Teilnahme absehen. Er wird also aus Angst davon abgehalten, seine Grundrechte in Anspruch zu nehmen. Durch Datenverarbeitung entsteht so ein Konformitätsdruck. Überträgt man die Problematik auf Wahlen, kann man abschätzen, wie wichtig es für die Freiheit ist, nicht elektronisch registriert zu werden.

    Stiftung: Welche Unternehmen sind heute die Herrscher über unsere Daten?

    Roßnagel: Das sind vor allem die Internet-Konzerne wie Facebook, Amazon, Apple oder Google.

    Stiftung: Welche rechtlichen Einflussmöglichkeiten gibt es und wie gestalten sie sich derzeit?

    Roßnagel: Inzwischen ist die neue europäische Datenschutz-Grundverordnung auf den Weg gebracht. Sie verbessert das Datenschutzniveau zwar insgesamt auf europäischer Ebene, für Deutschland bringt sie jedoch erhebliche Nachteile mit sich. Hochumstritten war während des Gesetzgebungsprozesses die Kontroverse zwischen Erleichterungen für Unternehmen und dem Schutz der privaten Daten. Im Ergebnis enthält die Verordnung durch die in Brüssel zugestandenen Kompromisse letztlich zahlreiche Lücken. Viele Öffnungsklauseln erlauben zudem den Mitgliedstaaten, unterschiedliche Regelungen zu treffen. In Deutschland wird ein Kampf um die Auslegung und Ausgestaltung der Datenschutz-Grundverordnung entstehen.

    Stiftung: Was bewerten Sie als besonders kritisch bei der europäischen Datenschutz-Grundverordnung?

    Roßnagel: Sie orientiert sich nicht am Risiko moderner Technikanwendungen. Es gelten für alle die gleichen Regelungen – ob beim Bäcker, der eine Kundenliste führt, oder bei einem Unternehmen wie Google, das über ganz andere Datenmengen und -inhalte verfügt. Darüber hinaus ist die Datenschutz-Grundverordnung zu wenig komplex: Tausenden Regelungen in Deutschland stehen nur 50 europäische gegenüber. Es gibt viele Lücken, sodass die Datenverarbeitung in Europa aus meiner Sicht unzureichend geregelt ist.

    Stiftung: Wurden die Problematiken und Entwicklungsziele für die europäische Datenschutz-Grundverordnung während des Gesetzgebungsprozesses interdisziplinär diskutiert?

    Roßnagel: Die unterschiedlichen Perspektiven wurden vor allem aus wirtschaftlich-juristischer Sicht beleuchtet. Die wissenschaftlich-technische Seite kam in geringerem Umfang zu Wort. Viel gravierender erscheinen mir in diesem Zusammenhang jedoch die Lobbyeinflüsse auf das offizielle Gesetzgebungsverfahren. Seit November 2015 gibt es sogar einen Dokumentarfilm, der die Problematik abbildet und das Thema Datenschutz als eine der wichtigsten Fragen unseres Jahrhunderts thematisiert: „Democracy – Im Rausch der Daten“. Über zwei Jahre lang hat der Regisseur David Bernet das offizielle Gesetzgebungsverfahren begleitet.

    Stiftung: Wie schützen Sie Ihre persönlichen Daten?

    Roßnagel: Ich versuche mit vertretbarem Aufwand Datenschutz zu praktizieren und verschlüssele meine E-Mails, verzichte auf bestimme Chat-Programme bzw. Terminplaner und benutze eine Suchmaschine, die meine IP-Adresse nicht speichert. Allerdings bin auch ich nicht komplett frei von dem bereits angesprochenen Paradoxon. Meinen persönlichen Beitrag zum Datenschutz leiste ich vor allem über die Rechtswissenschaft.

    Stiftung: Wie sieht Ihre Prognose für die kommenden zehn Jahre aus?

    Roßnagel: Die Informationstechnologie unterliegt einer hohen Dynamik. Es werden innerhalb kürzester Zeit weitere Erfindungen für Anwendungen auf den Markt kommen – leider immer noch geldfrei, aber datenintensiv. Wenn wir Lösungen für den Umgang mit dem Phänomen „Datenmensch“ haben wollen, müssen wir uns als Gesellschaft jetzt darüber klar werden, was wir eigentlich wollen. Denn die Unternehmen werden immer mehr Lebensbereiche erfassen und unsere persönlichen Daten für neue Dienste einsetzen, bis hin zum Gesamtbild eines Menschenlebens.

    Stiftung: Was versprechen Sie sich von der Durchführung des Berliner Kolloquiums der Daimler und Benz Stiftung?

    Roßnagel: Das Berliner Kolloquium stellt eine ausgezeichnete Plattform dar, Informationen rund um den Datenschutz zusammenzutragen und zielgerichtet zu platzieren. Wir können die Inhalte, die ja für unsere gesamte Gesellschaft höchst relevant sind, in die Öffentlichkeit bringen und mit den Teilnehmern, Kollegen und Experten vor Ort diskutieren. Es genügt nicht, die Problematik al-lein in Fachkreisen zu diskutieren. Schließlich müssen wir gemeinsam darüber nachdenken, wie wir unser Leben heute und in Zukunft gestalten wollen.

    Berliner Kolloquium

    Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik treffen sich einmal im Jahr zum Berliner Kolloquium. Die fachübergreifenden Themen dieser Veranstaltungsreihe wechseln jährlich und werden vor dem Hintergrund des Spannungsfelds Mensch, Umwelt und Technik behandelt. Seit 18 Jahren ist das Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung fest etabliert und zählt zu den gefragten wissenschaftlichen Veranstaltungen der Hauptstadt.

    Daimler und Benz Stiftung
    Impulse für Wissen – die Daimler und Benz Stiftung verstärkt Prozesse der Wissensgenerierung. Ihr Fokus richtet sich dabei auf die Förderung junger Wissenschaftler, fachübergreifende Kooperationen sowie Forschungsprojekte aus sämtlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Die operativ tätige und gemeinnützige Stiftung zählt zu den großen wissenschaftsfördernden Stiftungen Deutschlands.

    Kommunikation:
    Dr. Johannes Schnurr, 0176-216 446 92
    Patricia Piekenbrock, 0152-289 093 77


    Weitere Informationen:

    http://www.daimler-benz-stiftung.de


    Bilder

    Das 20. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung durchleuchtet das Thema Datenschutz. Experten diskutieren über Freiheit und Selbstbestimmung in der digitalen Welt.
    Das 20. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung durchleuchtet das Thema Datenschutz. Exper ...
    Quelle: Daimler und Benz Stiftung


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Informationstechnik, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Philosophie / Ethik, Recht
    überregional
    Pressetermine, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

    Das 20. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung durchleuchtet das Thema Datenschutz. Experten diskutieren über Freiheit und Selbstbestimmung in der digitalen Welt.


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