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18.06.2003 15:17

Keine Kunst, keine Technik - der Weg einer Ausstellung

Dr. Marc Dressler Presse, Kommunikation und Marketing
Fachhochschule Aalen

    In der Antike wurde bekanntlich nicht die Technik von der Kunst getrennt. Der in der griechischen Mythologie überlieferte Baumeister Daidalos war beides: Künstler und Techniker. Die von ihm gestalteten Statuen antiker Helden waren künstlerisch derart gelungen, dass er sie mit Fesseln an ihrem Entfliehen hindern musste. Zugleich aber gilt Daidalos als derjenige, der den Bohrer und die Setzwaage erfunden hat. Bis ins 15. Jahrhundert hinein hielt sich die Einheit von Kunst und Technik unwidersprochen. Noch im Spätmittelalter wurden Anlagen von Wasserleitsystemen mit dem lateinischen Ausdruck 'ars' belegt. Eng verbunden mit der schließlichen Etablierung des deutschen Wortes 'Kunst' ist die geistesgeschichtliche Fokussierung auf ein Kunstwerk als einem einzigartigen, unwiederholbaren Original.

    Die Auftrennung von Technik und Kunst, die sich im beginnenden 16. Jahrhundert vollzog, spreizte sich im Fortlauf der Geschichte dermaßen auf, dass Charles P. Snow mit großer Zustimmung 1959 von zwei Kulturen sprechen konnte: einer Kultur der Güterproduktion und einer Kultur der Sinnproduktion. Jene steht unmittelbar für die Technik, während mit dieser im weiteren Sinne die Kunst assoziiert werden kann. Snow äußerte seine These von den zwei Kulturen zu einer Zeit, als das historische Moment der Trennung von Technik und Kunst ganz offensichtlich theoretisch unhaltbar geworden war. Längst hatten die Technik des Buchdrucks, der Fotografie und des Films aus den unwiederholbaren Originalen reproduzierbare Werke gemacht. Und längst auch hatten andere Theoretiker wie Walter Benjamin oder Antonio Gramsci versucht, die gewandelte Produktionstechnik von Kunst zu aufklärerischen Zwecken nutzbar zu machen. Halten konnte sich die Vorstellung von den zwei Kulturen allein dadurch, dass sich der Kern des Verständnisses von Kunst von der Produktion auf die Rezeption verlagerte. Wo eine avantgardistische Geisteshaltung den Inbegriff von Kunst selbst zu bestimmen begann, musste die Möglichkeit ihrer Reproduktion leer laufen. Mit der künstlerischen Avantgarde, die einzig der Abgrenzung von der populären Technik diente, war zugleich auch die fragwürdige Idee des Fortschritts in der Kunst geboren. Schließlich begriff sich die Avantgarde als eine Schicht, die im militärischen Parademarsch dem kunstgeschichtlich weniger sensibilisierten Volk vorausschritt.

    Berührungspunkte zwischen Technik und Kunst konnte es bei einem solchen Selbstverständnis nur geben, insofern die Technik zum Gegenstand der Kunst wurde, wie beispielsweise in Form von Eisenbahnen, Kohlebergwerken oder Fabriken bei Gustave Courbet. Marcel Duchamps Versuch, im Jahre 1914 mit seinem Flaschentrockner Technik als Kunst zu etablieren, wurde schnell überflügelt von einer Ironisierung bis hin zur Dämonisierung der Technik in der Kunst. Paul Klees Zwitschermaschine oder Jean Tinguelys Gebilde, die sich unvermittelt bösartig gebärden und sogar selbst zerstören können, geben für diese überwiegende Tendenz Beispiel. Die zwei Kulturen schienen bestenfalls nebeneinander existent.

    Ein bemerkenswerter Versuch zur Überwindung des kulturellen Schismas ist in der Ausstellung "KunsTechniKultur" der Fachhochschule Aalen angelegt. In deren Vorgeschichte übernahmen Professoren technischer Studiengänge die Patenschaft für Künstler der Region. Die daraus hervorgegangenen Werke identifizieren die Beteiligten nicht als Künstler und Techniker, sondern einfach als neutrale Spezialisten. Die produzierende und sinnwandlerische Kreativität sind in den Installationen, Skulpturen und Fotografien in einer spielerischen Kultur eigen. Elektronik, Galvanik, Informatik und Fertigungstechnik sind in den Exponaten wie nach innen gestülpte Mäntel so präsent und verborgen zugleich wie die Spielarten unterschiedlicher Kunstströmungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts wie der Photorealismus oder Neoexpressionismus. Voicemodule und Bewegungsmelder, Videokameras und Elektromotoren, Stahl und Elektrolyte oder Hochleistungsrechner und Polyurethan manifestieren sich als Werkstoffe eines kulturellen Bandes, das die geistesgeschichtlich gezogenen Grenzen von Technik und Kunst sprengt.

    Martina Ebels interaktive Installation "Wo sind die Soldaten?" verkleidet die Technik in Kostüme, die auf einer mit Sensoren gespickten Bühne die Passanten zur Verkleidung auffordern. Die willkürlichen Handlungen der Personen und die technischen Automatismen der Apparate laufen ineinander und gegeneinander, bis sich ein spielerisches Gleichgewicht einpendelt. Die Geschwindigkeit der Bewegungen der verkleideten Personen ist synchronisiert mit der Abspielgeschwindigkeit eines Videos, das auch in der Abspielrichtung beeinflusst werden kann. Trotz technischer Determination der multimedialen Effekte bleiben Unbestimmtheiten der Interaktion, die eine Originalität einer jeden einzelnen verbürgen.

    Auch bei Helmut Schusters online steuerbarer Installation "Ballett der Roboter" bleibt die künstlerische Intention erhalten, auch wenn technisch dem Besucher der Ausstellung eine Vielzahl von Manipulationsmöglichkeiten angeboten werden. Dieser wird zum Choreographen einer technisierten Umwelt für die er über die Schnittstelle zu der drei Meter hohen Stellage die Verantwortung übertragen bekommt. Nur die Form der Roboter ist unabänderlich. Sie ist der Grundsatz künstlerischen Willens, den Roboter aus Schaumstoff gefräst haben.

    Ebenso dauerhaft ist die Formgebung von Alfred Basts Lichtzeichen. Ursprünglich aus rhythmisch freien Zeichnungen hervorgegangen sind sie mikrometergenau erfasst und informationstechnologisch so in Programmen gespeichert, dass sie ein Laser aus gehärtetem Stahl in beliebiger Stückzahl schneidet. Wie Roboter Roboter fräsen, so gibt auch hier das Licht in doppelter Form einem Gebilde Gestalt. Allein die Eigenschaften des Lichtes verraten ihre technischen oder künstlerischen Quellen, die zu einem Strom ungeteilter Wahrnehmung zusammenfließen. Labor und Atelier werden zu einer ätherischen Einheit.

    Kreative Freiräume, die Produktionsmaschinen lassen, nutzte auch Georg Sternbacher für seine Vorstöße in die Kunststofftechnik. Werkstoffen trotz bekannter Eigenschaften und Randbedingungen freien Lauf zu lassen, nur geleitet von der künstlerischen Intention, brachte Werke hervor, deren technische Herkunft sich nicht verleugnen lässt, ohne den Status eines Produktionsgutes für sich beanspruchen zu können. Die unberechnete, organische Form tritt hervor wie in Ute Sternbacher-Bohes Tonsäulen, deren Krater weniger an technische Unfälle als an Verletzungen und Heilungsprozesse erinnern und trotz galvanischem Veredelung sichtbar bleiben.

    Dem Material werden im maschinellen Produktionsprozess ureigene Entfaltungsmöglichkeiten geschaffen, die weder als Produkt noch als Sinn klassifiziert werden können. Handelt es sich nun um Werkstoffe, menschliche Eingriffe oder Apparate, in "KunsTechniKultur" hängen die drei Begriffe das Anagramms unidentifizierbar zusammen. Die Technik des Fotografierens und die Technik der Kamera beziehen sich wechselseitig aufeinander, - die eine bleibt ohne die andere unverstanden. Dass das Ergebnis, in diesem Falle die Fotografien von Helmuth Mayer, Kunst geheißen werden, muss in der Ausstellung an der Fachhochschule Aalen eher peripher bleiben. Man könnte den Begriff auch kürzen, fiele mit ihm nicht auch der Begriff der Technik heraus.

    Die Ausstellung "KunsTechniKultur" wird unterstützt vom Kultur Delta Süd e.V., der Stiftung Landesbank Baden-Württemberg und der Stiftung Württembergische Hypothekenbank sowie von Weleda. Sie ist bis zum 19. Juli werktags im Foyer der Fachhochschule Aalen, Beethovenstraße 1, 73430 Aalen öffentlich zu besichtigen.

    Information:
    Bildmaterial und Ausstellungsbroschüre können unter oben genannter Adresse abgefordert werden.


    Bilder

    "Wo sind die Soldaten?" von Martina Ebel
    "Wo sind die Soldaten?" von Martina Ebel

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Kunst / Design, Musik / Theater, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

    "Wo sind die Soldaten?" von Martina Ebel


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