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14.09.2016 09:53

Flucht in die Höhe: Bodenameisen erklimmen Baumwipfel

Judith Jördens Senckenberg Pressestelle
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen

    Görlitz, den 14.09.2016. Senckenberg-Wissenschaftler haben erstmalig nachgewiesen, dass bodenbewohnende Ameisen ihre Nester auf der Suche nach Wärme in die Höhe verlagern. Sie fanden mehrere Ameisennester der Schmalbrustmeise Temnothorax saxonicus in Bäumen von Dresdner Parkanlagen und konnten zeigen, dass niedrige Bodentemperaturen zu dem ungewöhnlichen Verhalten der Insekten führten. Die Studie ist kürzlich im Fachjournal „Insect Science“ erschienen.

    Kaum jemand würde wohl die Ameise als „Königin der Tiere“ bezeichnen – dabei haben sich die sechsbeinigen Tiere in den 100 Millionen Jahren ihrer Evolution an die verschiedensten Lebensräume rund um den Globus angepasst und dabei eine Vielzahl von beeindruckenden Überlebensstrategien entwickelt. „So ist es auch bei der von uns untersuchten Ameisenart Temnothorax saxonicus“, erklärt Dr. Bernhard Seifert vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz und fährt fort: „Wir haben erstmalig nachgewiesen, dass diese typischerweise an der Bodenoberfläche nistende Art ihre Nester in Baumwipfeln baut, wenn es ihnen am Boden zu kühl wird.“

    Die kleine Ameise ist in Europa gut dokumentiert – an über 40 Orten in Zentraleuropa wurden Nester der zwei bis drei Millimeter großen Krabbler gefunden. „Aber an allen Lokalitäten befinden sich die Nester der Ameisen in lichten, wärmegetönten Wäldern oder Waldsäumen auf dem Boden“, ergänzt Seifert. Der Görlitzer Ameisenforscher vermutete schon länger, dass sinkende Bodentemperaturen zu einer Verlagerung der Nester von Temnothorax saxonicus führen könnten. Der Beweis hierfür konnte nun durch großen (körperlichen) Einsatz erbracht werden: Patrik Fiedler, Koautor der Studie und Wissenschaftler an der Universität Dresden absolvierte für diesen Zweck einen Baumkletter-Kurs, um auf die Suche nach den Ameisennestern zu gehen. „So konnten wir sowohl im ‚Großen Garten Dresden’ als auch im ‚Schlosspark von Pillnitz’ Nester genau diese Ameisen in den Baumwipfeln alter Eichen nachweisen“, freut sich Seifert.

    Eine von Seifert entwickelte Temperaturmessungsmethode schafft die Voraussetzung, das ungewöhnliche Verhalten der Ameisen zu erklären: An allen Standorten mit Nestern in den Baumkronen lag die Bodentemperatur deutlich unter denen von Lokalitäten, an denen die Ameisen am Boden ihren Nachwuchs aufzogen. „Die von uns untersuchte Art lebt in relativ kleinen Kolonien mit 50 bis 300 Arbeiterinnen und benötigt für die Aufzucht der Jungtiere idealerweise Temperaturen, die im Tagesverlauf zwischen 15 und 32 Grad schwanken“, erläutert Seifert. In den untersuchten Parkanlagen lagen die maximalen, oberflächlichen Bodentemperaturen im Schnitt unter 20 Grad und variierten zudem nur wenig. Seifert fügt hinzu: "Das dichte Kronendach am Fundpunkt im ‚Großen Garten’ bzw. die immer noch weitgehend geschlossenen Baumkronen im Zusammenspiel mit einer stärker entwickelten Krautschicht im ‚Pillnitzer Park’ verhindern, dass wärmende Sonnenstrahlen die Bodenoberfläche erreichen."

    Die Flucht in die Höhe – mit der Möglichkeit überhaupt noch Nachwuchs aufzuziehen – hat aber auch ihren Preis: Die Ameisen bewegten sich genau in einen Raum hinein, in dem die Konkurrenz um Nahrung und Wohnraum weit härter als am Waldboden ist. In den Baumwipfeln haben die zwei nahe verwandten Schmalbrustameisen Temnothorax affinis und Temnothorax corticalis als „professionelle“ Baumkronenbesiedler ihren angestammten Lebensraum. Auch die Aktivität der Fressfeinde dieser kleinen Temnothorax-Ameisen, wie Kleinspecht, Buntspecht oder ameisenfressende Spinnen, ist in den Baumkronen eher höher als am Boden. Dennoch zeigt die Zahl der beobachteten Neuansiedler, dass diese sich durchaus gegen die Ureinwohner des Lebensraumes behaupten können. „Es ist immer wieder interessant wie Arten im Daseinskampf Vor- und Nachteile abwägen – wir sind gespannt, was sich diese kleinen Ameisen weiterhin einfallen lassen“, resümiert Seifert.

    Kontakt
    Dr. Bernhard Seifert
    Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz
    Tel. 0049-3581-4760-5600
    Bernhard.Seifert@senckenberg.de

    Judith Jördens
    Pressestelle
    Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
    Tel. 069- 7542 1434
    pressestelle@senckenberg.de

    Publikation
    Seifert, B., Fiedler, P. and Schultz, R. (2016), Escape to the high canopy – thermal deficiency causes niche expansion in a forest-floor ant. Insect Science. doi: 10.1111/1744-7917.12351

    Die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt an Lebensformen zu erforschen und zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen erhalten und nachhaltig nutzen zu können - dafür arbeitet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung seit nunmehr fast 200 Jahren. Diese integrative „Geobiodiversitätsforschung“ sowie die Vermittlung von Forschung und Wissenschaft sind die Aufgaben Senckenbergs. Drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden zeigen die Vielfalt des Lebens und die Entwicklung der Erde über Jahrmillionen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie vielen weiteren Partnern gefördert. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.

    2016 ist Leibniz-Jahr. Anlässlich des 370. Geburtstags und des 300. Todestags des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (*1.7.1646 in Leipzig, † 14.11.1716 in Hannover) veranstaltet die Leibniz-Gemeinschaft ein großes Themenjahr. Unter dem Titel „die beste der möglichen Welten“ – einem Leibniz-Zitat – rückt sie die Vielfalt und die Aktualität der Themen in den Blick, denen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der bundesweit 88 Leibniz-Einrichtungen widmen. www.bestewelten.de


    Bilder

    Die Schmalbrustmeise Temnothorax saxonicus ist nur drei Millimeter lang.
    Die Schmalbrustmeise Temnothorax saxonicus ist nur drei Millimeter lang.
    © Senckenberg/Seifert
    None

    Auf den winzigen Nesteingang am Ende eines toten Eichenzweiges wird man nur durch Auswürfe feinster Holzpartikel aufmerksam.
    Auf den winzigen Nesteingang am Ende eines toten Eichenzweiges wird man nur durch Auswürfe feinster ...
    © Senckenberg/Seifert
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Die Schmalbrustmeise Temnothorax saxonicus ist nur drei Millimeter lang.


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    Auf den winzigen Nesteingang am Ende eines toten Eichenzweiges wird man nur durch Auswürfe feinster Holzpartikel aufmerksam.


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