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30.06.2003 14:02

Der erste Wurf trifft oft am besten oder "Warum im Sport weniger oft mehr ist"

Dr. Antonia Rötger Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

    Beim Handball führt das mentale Durchspielen aller Möglichkeiten nicht automatisch zu besseren Spiel-Entscheidungen, weist der Sportpsychologe Markus Raab nach.

    Ehrgeizige Trainer trainieren die Mannschaft nicht nur auf dem Spielfeld, sondern fordern von ihren Schützlingen auch mehr Fantasie: sie sollen viele mögliche Reaktionen auf eine bestimmte Spielsituation entwerfen und sich erst dann für eine Option entscheiden.
    Dr. Markus Raab, Sportpsychologe und Kognitionswissenschaftler am MPIB in Berlin, hat nun untersucht, welchen Einfluss solche theoretischen Trainingsstunden auf die Qualität von Spielentscheidungen haben können. Raab zeigte insgesamt 85 Handballspielern in Einzelsitzungen Videoaufnahmen von Handballspielen. Die Handballspieler sollten zunächst spontan die erste Reaktion nennen, die ihnen angesichts der Spielsituation in den Sinn kam. Dann wurden sie vom Spielleiter aufgefordert, weitere Optionen zu finden und schließlich aus all diesen Möglichkeiten die optimale Reaktion auszuwählen. Die gleichen Spielszenen hatte Raab zuvor auch anerkannten Handball-Experten (Trainern von Nationalmannschaften) gezeigt und sie gebeten, die Situation zu bewerten und die beste Reaktion zu nennen.
    Das überraschende Ergebnis: Der erste Vorschlag der Handballspieler war oft auch der Beste (nach Expertenurteil) - doch nachdem die Spieler eine Reihe weiterer Vorschläge entwickelt hatten, entschieden sich viele nicht mehr für die erste Reaktion, sondern gaben einem der letzten Vorschläge den Vorzug. Dieser Effekt ist in der Kognitionspsychologie als "Recency-Effect" bekannt - für die Spieler bedeutet dies aber, dass das Theorie-Training im Endeffekt die Spielentscheidungen nicht verbessert.
    "Beim Schach gibt es einen ähnlichen Effekt; der erste Einfall ist oft besser als die danach entwickelten Alternativen und nur die wirklich erfahrenen Spieler kommen dann wieder auf die erste Idee zurück", sagt Raab. In seinem Versuch haben etwa 60% der sehr guten Handballspieler auch nach längerer Überlegung die beste Option, nämlich die erste ausgewählt. Die weniger erfahrenen Spieler wählten meist einen der letzten Vorschläge.
    Die Spielstärke der Handballer wurde übrigens diesmal nicht wie sonst üblich einfach mit der Anzahl der Trainingsjahre gleichgesetzt, sondern in Wettspielen ermittelt.

    Raabs Studienergebnis zeigt, dass das Theorietraining in vielen Fällen noch verbesserungsfähig ist. Denn im Leistungssport herrscht zur Zeit die Überzeugung vor, dass Trainer ihrer Mannschaft funktionale Denkstrategien vermitteln sollten; dabei können sie verschiedene Abspielmöglichkeiten, wie werfen, passen oder fingieren ausdiskutieren. So entstehen allerdings wesentlich mehr Optionen, was nach Raabs Studie nicht automatisch bessere Urteile ermöglicht. Raab empfiehlt dagegen, eher räumliche Strategien durchzuspielen, zum Beispiel die Optionen: Angriff über Links-Außen oder über den Flügelspieler. Dies könne die Urteilsfähigkeit besser schulen, da es weniger Alternativen gebe, die unerfahrene Spieler ablenken könnten.

    Für den Kognitionsexperten Raab sind die Ergebnisse dieser Studie im Prinzip auch auf andere Bereiche übertragbar. Auch in den gängigen Management- oder Kreativ-Seminaren lernen die Teilnehmer beim Brainstorming zum Beispiel, dass es darauf ankommt, so viele Ideen wie möglich zu sammeln und dass dann die gute Entscheidung quasi als Lohn der Mühe automatisch folge. Aber diesen Automatismus gibt es nicht. "Die Anweisung von Trainern müsste eher lauten: Weniger ist meistens mehr," meint Raab.

    Hinweis an die Redaktionen: Markus Raab ist begeisterter Volleyballspieler und forscht zu Themen der Sportpsychologie und der Entscheidungsfindung unter Zeitdruck in Sportsituationen. Seine Arbeiten sind im Forschungsbereich "Adaptive Behavior and Cognition" (ABC) unter der Leitung von Prof. Dr. Gerd Gigerenzer entstanden. Raab ist seit April 2003 Juniorprofessor am Institut für Bewegungswissenschaft an der Universität Flensburg.
    Für weitere Informationen können Sie Markus Raab unter der E-Mail raab@uni-flensburg.de erreichen oder telefonisch unter 0461 / 8052709

    Die Studie ist in der internationalen Fachzeitschrift "Organizational Behavior and Human Decision Processes" erschienen.
    Genaue Literaturangabe: Organizational Behavior and Human Decision Processes 91 (2003=,215-229; Johnson, J., & Raab, M. : Take The First: Option generation and resulting choices.

    Online unter: http://www.sciencedirect.com/science/journal/07495978


    Weitere Informationen:

    http://www.sciencedirect.com/science/journal/07495978


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Psychologie, Sportwissenschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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