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10.11.2016 11:00

Schwindendes Eis lässt die Alpen wachsen

Josef Zens Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

    Das Gebirgsmassiv der Alpen hebt sich stetig und „wächst“ pro Jahr um etwa ein bis zwei Millimeter. Auch Teile Skandinaviens und Nordamerikas heben sich heute. Der Grund: Vor etwa 18.000 Jahren schmolzen die eiszeitlichen Gletscher und entlasteten die Erdkruste. Lange Zeit bezweifelte man, dass das Abschmelzen der alpinen Eiskappe eine bedeutende Ursache für die heutige Anhebung der Alpen sein könnte. Ein internationales Team unter Beteiligung des GFZ-Wissenschaftlers Dirk Scherler und der GFZ-Wissenschaftlerin Taylor Schildgen zeigt aber, dass das verschwindende Eis für etwa 90 Prozent der heutigen Hebung verantwortlich ist.

    Das Gebirgsmassiv der Alpen hebt sich stetig und „wächst“ pro Jahr um etwa ein bis zwei Millimeter. Auch die ehemals vereisten Teilkontinente Nordamerika und Skandinavien befinden sich in einer ständigen Aufwärtsbewegung, und zwar deshalb, weil zum Ende des letzten glazialen Maximums (LGM) vor etwa 18.000 Jahren die eiszeitlichen Gletscher schmolzen und so ihre ehemals schwere Last nachließ. Das Eis reagierte schnell auf den damaligen Klimaumschwung, die Reaktion der Erdkruste auf das relativ plötzlich schwindende Eis dauert hingegen noch immer an.

    Zur Zeit des LGM waren auch die Alpen von einer Eiskappe bedeckt, deren Talgletscher zeitweise weit bis ins Alpenvorland reichten. Die Ausmaße dieser Vereisung waren viel geringer als die der riesigen Eisschilde Nordamerikas und Skandinaviens. Deshalb schloss man lange Zeit aus, dass das Abschmelzen der alpinen Eiskappe eine bedeutende Ursache für die heutige Anhebung der Alpen sein könnte. Ein internationales Team unter Beteiligung des GFZ-Wissenschaftlers Dirk Scherler und der GFZ-Wissenschaftlerin Taylor Schildgen konnte nun jedoch zeigen, dass das Eis, oder vielmehr sein Verschwinden nach Ende des LGM, für etwa 90 Prozent der heutigen Hebung verantwortlich ist.

    Vertikale Bewegungen der Erdkruste sind vor allem auf tektonische Deformationen durch die Bewegungen der Erdplatten, Vulkanismus und Veränderungen in der Auflast durch Wasser, Eis und Sedimente zurückzuführen. Die Bewegungen der Erdkruste lassen sich durch geodätische Messungen per Satellit und Bodenstationen verfolgen. Für alte, tektonisch stabile Regionen der Erdkruste wie Nordamerika und Skandinavien ist schon lange bekannt, dass die Vertikalbewegungen nahezu ausschließlich auf den sogenannten postglazialen „Reboundeffekt“ zurückzuführen sind - also auf die schwindende Eislast, auf die die Erdkruste mit einer Aufwärtsbewegung reagiert.

    In jungen Gebirgen wie den Alpen sind hingegen komplexe Mechanismen am Werk, die sich gegenseitig beeinflussen: Hier schiebt sich die Afrikanische unter die Eurasische Platte und die Adriatische Platte - eine Teilplatte innerhalb der Afrikanischen Platte - schiebt sich entgegen dem Uhrzeigersinn unter die Eurasische Platte. Daneben gibt es, wie auch in Skandinavien und Nordamerika, Veränderungen in der Auflast durch Erosion, Sedimentabtrag und „Entgletscherung“.

    Die genauen Ursachen der heutigen Hebung der Alpen diskutieren die WissenschaftlerInnen schon seit einem halben Jahrhundert. Lange Zeit vermutete man, dass die Hebung der Alpen hauptsächlich durch Erosion und den Abtrag von Sedimenten aus dem Gebirge heraus ins Vorland hervorgerufen wird. Vor allem Flüsse transportieren die Sedimente.

    Die neue Studie vergleicht nun den Anteil von Sedimentabtrag, Eisauflast und lokaler Tektonik an der Vertikalbewegung der Alpen. Die WissenschaftlerInnen verwenden Computermodelle, die sie unter anderem mit Daten aus Bohrungen abgleichen. Sie schließen, dass sich ein Großteil des postglazial, also nach Ende der Hauptvereisungsphase, erodierten Materials innerhalb des Gebirges abgelagert hat. Damit kann dieser Prozess nicht die Hauptursache für die Hebung der Alpen sein.

    Die Modellierungen der WissenschaftlerInnen zeigen vielmehr, dass sich die Hebung, wie in Skandinavien und Nordamerika, am besten mit einer entlastenden Ausgleichsbewegung nach dem schmelzen der LGM-Gletscher erklären lässt: In ihren Modellen zeigen die WissenschaftlerInnen, dass die glaziale Auflast durch das Eis bei etwa 62.000 Gigatonnen lag, während der postglaziale sedimentäre Abtrag nur gut 4.000 Gigatonnen ausmacht. Nur rund 10 Prozent der Hebung können auf die Entlastung durch sedimentären Abtrag zurückgeführt werden. Lokal kommt, vor allem in Teilen Österreichs, außerdem ein tektonischer Effekt hinzu, verursacht durch die Drehbewegung der Adriatischen Teilplatte.

    Originalarbeit: Jürgen Mey, Dirk Scherler, Andrew D. Wickert, David L. Egholm, Magdala Tesauro, Taylor F. Schildgen, Manfred R. Strecker. Glacial isostatic uplift of the European Alps. Nature Communications 7:13382. DOI: 10.1038/ncomms13382


    Bilder

    3D-Eismodellierung der Alpen zur Zeit des Letzten Glazialen Maximums (LGM)
    3D-Eismodellierung der Alpen zur Zeit des Letzten Glazialen Maximums (LGM)
    Abbildung: Jürgen Mey, Universität Potsdam, Hintergrundmodell basierend auf ESRI-Deutschland-Daten
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Geowissenschaften
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    3D-Eismodellierung der Alpen zur Zeit des Letzten Glazialen Maximums (LGM)


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