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30.11.2016 09:08

Europäer nehmen Globalisierungsängste mit in die Wahlkabine

Benjamin Stappenbeck Pressestelle
Bertelsmann Stiftung

    Protestwähler und populistisch argumentierende Politiker wirbeln in den USA und Europa bisher zementierte politische Mehrheiten durcheinander. Doch was treibt Menschen zu Parteien, die für sich allein beanspruchen, die Interessen des Volkes zu vertreten und sich gegen das sogenannte Establishment stellen? Eine repräsentative EU-Umfrage sucht nach Gründen für diese Entwicklung und zeigt: Globalisierungsängste spielen eine wesentliche Rolle.

    Gütersloh, 30. November 2016. Die Angst vor der Globalisierung spaltet die Europäer. Während eine Mehrheit der EU-Bürger (55 Prozent) die internationale Verflechtung als Chance begreift, empfindet sie fast jeder zweite (45 Prozent) als Bedrohung. Dabei gilt: Je niedriger das Bildungsniveau und je höher das Alter der Befragten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen Globalisierung als Gefahr empfinden. Die Ängste vor einer stärker zusammenwachsenden Welt beeinflussen auch die politischen Einstellungen: Die große Mehrheit derjenigen Befragten, die mit rechtsnationalen und populistischen Parteien sympathisieren, empfinden die Globalisierung als Bedrohung. Das sind die Ergebnisse der EU-weiten Umfrage "eupinions", mit der die Bertelsmann Stiftung regelmäßig Bürger zu EU-Themen befragt. Die Umfrage ist repräsentativ für die EU und die 9 größten Mitgliedsstaaten.

    Die Umfrage hat untersucht, was die politischen Einstellungen der Europäer stärker beeinflusst: der persönliche Wertekompass (liberal-autoritär) oder die Angst vor Globalisierung und ökonomischem Abstieg. Ob die Befragten ein liberales oder konservativ-autoritäres Weltbild haben, spielt bei Aussagen zur Politik zwar eine Rolle; jedoch sind die Unterschiede über Länder und Parteipräferenzen hinweg meist gering oder nicht einheitlich verteilt. Die Bewertung der Globalisierung hingegen ist ein deutlich aussagekräftigeres Kriterium. Durch die entsprechende Einordnung der Europäer in Globalisierungspessimisten (Angst vor Globalisierung) und -optimisten (Globalisierung als Chance) lassen sich ihre Einstellungen gegenüber Politik und Gesellschaft in der EU vergleichsweise gut erklären.

    Globalisierungsängste bestimmen politische Einstellungen

    Befragt zu ihrer Parteipräferenz, zeigt sich EU-weit ein klares Bild: Anhänger rechtsnationaler und populistischer Parteien fürchten besonders häufig die Folgen der internationalen Verflechtung. Über alle Ländergrenzen hinweg ist die Angst vor der Globalisierung ein stark ausgeprägtes und gemeinsames Merkmal ihrer Anhänger. Von der italienischen Forza Italia bis zur britischen UKIP gehört stets mindestens die Hälfte rechtsnationaler Partei-Anhänger zu den Globalisierungspessimisten. Am höchsten sind die Werte bei der AfD: Über zwei Drittel ihrer Anhänger (78 Prozent) sehen die Globalisierung laut Umfrage als Bedrohung. Globalisierungsangst scheint also ein Treiber für den Erfolg rechtsnationaler Parteien in Europa zu sein. "Wir dürfen das Werben um besorgte Bürger nicht den Populisten überlassen. Die etablierten Parteien müssen die Angst vor der Globalisierung in ihre Arbeit einbeziehen", so Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Bei Parteien links des politischen Mainstreams spielen Globalisierungsängste auch eine Rolle, jedoch ist dieser Faktor nicht so bestimmend wie bei rechtsnationalen Parteien. Am höchsten sind die Globalisierungsängste in dieser Parteiengruppe bei der französischen Front de gauche (58 Prozent) und der deutschen Linkspartei (54 Prozent). Bei CDU/CSU, SPD und den Grünen spielen Globalisierungsängste eine untergeordnete Rolle: Jeweils gut ein Drittel dieser Parteianhänger sieht die internationale Verflechtung als Bedrohung.

    Alter, Bildung, Einkommen: so verteilen sich Globalisierungspessimisten und -optimisten
    Ein Blick auf die europäische Landkarte zeigt, wo Ängste und Aufgeschlossenheit gegenüber der Globalisierung zu Hause sind. Während in Österreich und Frankreich die Angst vor der Globalisierung am höchsten ist (55 bzw. 54 Prozent), leben in Großbritannien (64 Prozent), Italien und Spanien (jeweils 61 Prozent) die meisten Globalisierungsoptimisten. Deutschland liegt mit einer Mehrheit für die Optimisten (55 zu 45 Prozent) im EU-Trend. In allen Ländern sind Einkommen, Bildungsgrad und Alter der Menschen ausschlaggebend: Unter jungen Europäern zwischen 18 und 25 Jahren finden sich die meisten Globalisierungsoptimisten (61 Prozent). Bei Befragten, die sich selbst der Mittelschicht zuordnen, sind die Globalisierungsoptimisten europaweit deutlich in der Mehrheit (63 zu 37 Prozent), während in der Arbeiterschicht Pessimisten und Optimisten nahezu gleichauf liegen (47 zu 53 Prozent). Personen mit höherem Bildungsgrad sehen die Globalisierung häufiger positiv (62 Prozent) als Menschen mit niedrigem Bildungsniveau (53 Prozent). "Deutschland und Europa haben enorm von der Globalisierung profitiert. Trotzdem fühlen sich viele Menschen zurückgelassen. Wir müssen die internationale Verflechtung so gestalten, dass sie möglichst vielen Menschen nützt und nicht schadet", so Aart De Geus.

    Auffallend an den Umfragewerten ist, dass die Globalisierungsängste einhergehen mit einer ablehnenden Haltung gegenüber Politik und Gesellschaft.

    Globalisierungspessimisten würden fast zur Hälfte (47 Prozent) für einen EU-Austritt stimmen. Nicht mal jeder Zehnte von ihnen (Prozent) vertraut Politikern allgemein und weniger als die Hälfte (38 Prozent) ist zufrieden mit der Demokratie in ihrem Land. Globalisierungsoptimisten hingegen stimmen mit großer Mehrheit für die EU (83 Prozent) und sind mehrheitlich (53 Prozent) zufrieden mit der Demokratie. Das Vertrauen in Politiker ist allerdings auch bei den Optimisten nicht sehr stark ausgeprägt: Nur jeder Fünfte vertraut seinen Volks- und Regierungsvertretern. Befragt nach den konkreten Bedrohungen der Globalisierung zeigt sich ein Bild von Ausgrenzung und Unkenntnis. Die Pessimisten fühlen sich in ihren Gesellschaften mehrheitlich ausgegrenzt (54 Prozent) und sehen Migration als eine entscheidende Herausforderung der kommenden Jahre (53 Prozent). Interessanterweise hat aber mehr als die Hälfte von ihnen laut Eigenauskunft gar keinen Kontakt mit Ausländern (55 Prozent).

    Zusatzinformationen

    "eupinions" ist das europäische Meinungsforschungs-Instrument der Bertelsmann Stiftung, das zusammen mit Dalia Research entwickelt wurde. Damit werden regelmäßig die Bürger aller 28 EU-Mitgliedstaaten zu europäischen Themen befragt. Die aktuelle Befragung fand im August 2016 statt und ist mit 14.936 Befragten repräsentativ für die EU und die neun größten Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Spanien und Ungarn.

    Unsere Expertin: Isabell Hoffmann, Projektleiterin eupinions
    Telefon: +49 5241 8181602
    E-Mail: isabell.hoffmann@bertelsmann-stiftung.de


    Weitere Informationen:

    http://www.bertelsmann-stiftung.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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