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10.07.2003 14:22

Krankenhausreform: Fallpauschalen sind keine Lösung

Angelika Rockel Hochschulkommunikation und -marketing
Universität Bremen

    Die Senkung der Krankenhauskosten und eine verbesserte Versorgungsqualität der Patienten können nur durch enorme zusätzliche Bemühungen erreicht werden: So sieht die nüchterne Bilanz einer Studie aus, die die beiden Sozialwissenschaftler Bernard Braun und Rolf Müller vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen jetzt vorlegten. Untersucht wurde die Fallpauschalenvergütung im Krankenhaus. Ein Ergebnis: Die Dauer der Krankenhausaufenthalte wurde zwar verkürzt, doch die Einsparungen werden durch erhöhte Krankenhauseinweisungen wett gemacht.

    Ohne erhebliche zusätzliche Bemühungen die Kosten abzubremsen und die Qualität zu sichern, werden die Krankenhauskosten nicht sinken und die Versorgungsqualität der Patienten nicht verbessert: So sieht die nüchterne Bilanz einer Studie aus, die die Sozialwissenschaftler Dr. Bernard Braun und Rolf Müller vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen jetzt der Öffentlichkeit vorlegten. Die beiden Bremer Wissenschaftler haben im Vorfeld der bevorstehenden flächendeckenden Einführung der Fallpauschalenvergütung im Krankenhaus die Auswirkungen dieser seit 1996 bereits für ein Viertel der stationären Behandlungen eingeführten Vergütungsform untersucht. Ein wichtiges Ergebnis: Die Dauer des einzelnen Krankenhausaufenthalts eines Patienten wurde zwar verkürzt, doch diese Einsparung wurde durch eine erhöhte Zahl von Krankenhauseinweisungen wett gemacht. Unter dem Strich gab es also keinen Einspareffekt. Ein weiteres wichtiges Ergebnis: Die Patienteninformation lässt sehr zu wünschen übrig.

    Alle deutschen Krankenhäuser sind verpflichtet, zum 1. Januar 2004 nahezu alle Behandlungen nach "Diagnosis Related Groups" (DRG) bzw. Fallpauschalen abzurechnen. Viele Krankenhäuser haben bereits freiwillig den Einstieg in diese Veränderung vollzogen. Seit Jahren gibt es hitzige Debatten über die Wahrscheinlichkeit von erwünschten (zum Beispiel Senkung der Ausgaben für stationäre Versorgung) und unerwünschten (zum Beispiel Entlassung "blutiger" Patienten) Auswirkungen auf Beschäftigte sowie Patientinnen und Patienten.
    Vor diesem Hintergrund haben Dr. Bernard Braun und Diplomsoziologe Rolf Müller vom Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) und Zentrum für Public Health (ZPH) der Universität Bremen mit Unterstützung der Gmünder Ersatzkasse (GEK) zwei einzigartige sozialwissenschaftliche Versorgungsstudien durchgeführt: Als erstes wurde eine bundesweite Befragung zu den Erfahrungen und Wahrnehmungen von rund 4000 Krankenhauspatienten (mit Fallpauschalenvergütung tagesgleichem Pflegesatz) im Alter von 30 bis 80 Jahren durchgeführt, die diese Ende 2002 vor, während und nach einem Krankenhausaufenthalt gemacht haben.

    Dies wurde durch eine personenbezogene Längsschnittanalyse von mehreren hunderttausend Krankenhausfällen ergänzt, die von Beginn der 90er Jahre bis 2002 stattgefunden haben. Beide Untersuchungen fanden im Rahmen der mehrjährigen Kooperation zwischen der Universität Bremen und der Gmünder Ersatzkasse (GEK) statt.

    Die Längsschnittanalyse belegt, dass der bisher durch die Fallpauschalen hervorgerufene Erfolg verkürzter Liegezeiten je Krankenhausfall mit einer erhöhten Anzahl an Krankenhausaufenthalten erkauft wurde. So stieg die Anzahl der durchschnittlichen Aufenthalte pro GEK-Mitglied in stationärer Behandlung in Akut-Krankenhäusern im Zeitraum 1996-2002 um rund 50 Prozent an. Entsprechend stieg die Anzahl der in stationärer Behandlung verbrachter Tage pro Mitglied nach der Einführung von Fallpauschalen von 3,4 im Jahre 1997 auf 4,6 Tage im Jahr 2002 an. Wenn sich die dahinter steckende Methode des Aufsplittens komplizierter Fälle und ihre Behandlung durch wiederholte Krankenhausaufnahmen fortsetzt, bleibt vom erhofften ökonomischen Erfolg der DRGs wenig oder nichts übrig.

    Positives wie Negatives förderte auch die Patientenbefragung zutage: So fühlten sich "nur" drei Prozent der Befragten im Krankenhaus abgewiesen oder "von Tür zu Tür" geschickt. 85 Prozent sagten, sie würden das Krankenhaus, aus dem sie vor kurzem entlassen wurden, weiter empfehlen.
    Was die anderen 15 Prozent von einer solchen Empfehlung abhielt, zeigen die folgenden Erfahrungen: 9 Prozent der Befragten waren sicher, dass der Arzt beim ersten Kontakt nicht "alle notwendigen Informationen über ihren Gesundheitszustand" hatte. 12 Prozent hatten gar das Gefühl, während ihres Aufenthalts nur eine "Nummer" gewesen zu sein. Während ihres Aufenthaltes im Krankenhaus konnten 5,8 Prozent der Befragten "überhaupt nicht" und 21,6 Prozent nicht "ausführlich genug" mit Ärztinnen und Ärzten über ihre Ängste und Befürchtungen reden.

    Noch problematischer sieht es bei Leistungen aus, welche die Patienten bereits im Krankenhaus auf die nachstationäre Zeit vorbereiten sollen. Je weniger es um im engen Sinne medizinische und ärztliche Fragen geht, desto schlechter sieht es hier aus. Vergleichsweise wenige Befragten, nämlich 12 Prozent erhielten keine oder keine verständliche Informationen über den Sinn und Zweck der Medikamenteneinnahme nach der Entlassung und 16 Prozent erfuhren nichts über krankheitsspezifische Warnsignale, auf die sie nach ihrer Entlassung achten sollten. Darüber, wann und wie sie ihre Alltagsaktivitäten wieder aufnehmen können, erfuhren aber bereits ein Viertel der Patienten nichts, 30 Prozent wurde nicht erklärt, wie sie sich bei ihrer Genesung selber helfen können und bei 62 Prozent wurden Angehörige oder nahestehenden Menschen nicht darüber informiert, wie dem Patienten bei der Genesung geholfen werden könnte. Je schneller aber in Zukunft Patientinnen und Patienten aus dem Krankenhaus entlassen werden, desto wichtiger sind gerade diese Leistungen.

    Zu den Faktoren und Bedingungen der stationären Behandlung, die für die Patienten besonders wichtig waren, gehören nur vordergründig die Vergütungsform oder die Trägerform des Krankenhauses. Viel wichtiger erweisen sich so "altmodisch anmutende" und "menschelnde" Aspekte wie die Güte der Kooperation zwischen Pflegenden und Ärzten, die verantwortliche Behandlung durch einen eindeutig "zuständigen Arzt", die Möglichkeit bei der Behandlung mitzubestimmen sowie eine gute, Unsicherheit reduzierende Informationslage der Krankenhausärzte zu Beginn der Behandlung.

    Praktisch bedeutet dies: Die vielleicht im Stillen gehegte Hoffnung, allein durch die Änderung der Vergütungsform auch die Zufriedenheit der Patienten und damit einen der wichtigsten Faktoren für eine effektive und effiziente Versorgung verbessern zu können, ist eindeutig trügerisch. Ohne eine gesonderte, umfassende und sogar prioritäre Gestaltung der genannten sozialen und organisatorischen Qualitätsaspekte und die Beseitigung der bereits erwähnten Defiziten bei der Entlassung von Patienten, droht auf der Grundlage unseres heutigen Wissens mit der DRG-Einführung eher die Zunahme des Anteils unzufriedener Patienten und unerwünschter Auswirkungen der DRGs.

    Das Zentrum für Sozialpolitik und Zentrum für Public Health der Universität Bremen werden durch weitere bis Ende 2006 geplanten Datenanalysen und Befragungen von Patientinnen und Patienten, Pflegekräften sowie Ärztinnen und Ärzten zur Transparenz über die weiteren Veränderungen der Arbeits- und Versorgungsqualität im Krankenhaus beitragen.

    Die Studie liegt auch als Buch vor: Bernard Braun, Rolf Müller (2003): Auswirkungen von Vergütungsformen auf die Qualität der stationären Versorgung. Sankt Augustin: Asgard-Verlag Hippe. GEK-Edition Bd. XXVI; ISBN 3-537-44026-X, 269 Seiten
    Weitere Informationen:

    Universität Bremen
    Zentrum für Sozialpolitik und Zentrum Public Health
    Dr. Bernard Braun
    Tel.: 218-4359;
    Mobil: 0160 9860 7683
    Fax: 218-7455
    E-Mail: bbraun@zes.uni-bremen.de;


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Politik, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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