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10.07.2003 14:28

Beschäftigungssicherung durch kürzere Arbeitszeiten

Angelika Rockel Hochschulkommunikation und -marketing
Universität Bremen

    Bremer Studie belegt: Durch flexible Tarifverträge und Arbeitszeitabsenkung kann Arbeit verteilt und Beschäftigung gesichert werden

    Lange oder kürzere Arbeitszeiten: Was ist beschäftigungspolitisch wünschenswert? Der Streit um die richtige Beschäftigungspolitik erhält durch eine jetzt veröffentlichte Studie am Institut für Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen neue Nahrung. Die von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützte Untersuchung belegt mit empirischen Daten: Auf der Grundlage eines Tarifvertrages können Arbeitszeitabsenkungen einen wichtigen Beitrag leisten, um Arbeitsplätze zu sichern. Darin stimmen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der deutschen Metall- und Elektrowirtschaft überein.

    Der 1994 zwischen dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall und der IG Metall abgeschlossene "Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung (TVBesch)" ermöglicht Unternehmen und Betriebsräten in betrieblichen Krisensituationen, die wöchentliche Arbeitszeit ohne Lohnausgleich bis auf 29 Stunden abzusenken. In einem durch die Betriebsparteien definierten Zeitraum tauschen die Beschäftigten in einem geregelten Verfahren Geld gegen freie Zeit und erhalten eine Beschäftigungsgarantie.

    Die Befragungen durch das Bremer Arbeitswissenschaftler-Team unter Leitung von Professor Helmut Spitzley zeigen, dass die Möglichkeit zur "beschäftigungssichernden Arbeitszeitabsenkung" in der deutschen Metall- und Elektro-Wirtschaft (M+E Wirtschaft) breit genutzt wird. Prominentes Beispiel ist die "4-Tage-Woche" bei Volkswagen. Aber auch in kleinen und mittleren Unternehmen kommt der TVBesch zur Anwendung: Bereits jedes fünfte Unternehmen der deutschen M+E-Wirtschaft hat von dieser Handlungsoption schon Gebrauch gemacht. Arbeitszeitabsenkung hat sich als intelligente Form des Krisenmanagements offenbar bewährt. Geschäftsleitungen (73 Prozent) und Betriebsräte (61 Prozent) bewerten ihre Erfahrungen übereinstimmend positiv. Eine negative Bewertung geben nur 23 Prozent der Unternehmensleitungen und sogar nur 6 Prozent der befragten Betriebsräte ab.

    Die breite Zustimmung hat viele Gründe:

    · Die Unternehmen mindern durch "beschäftigungssichernde Arbeitszeitabsenkungen" sofort die Arbeitskosten, ohne dass Aufwendungen für Abfindungen oder Sozialpläne entstehen. Da sie Entlassungen vermeiden, sichern sie sich qualifiziertes und eingearbeitetes Personal und können flexibel auf wechselnde Marktanforderungen reagieren. Betriebsbedingte Kündigungen führen dagegen zu innerbetrieblichen Konflikten, teuren Sozialplänen und als Folge der rechtlich vorgeschriebenen Sozialauswahl nicht selten zum Verlust von jungen Leistungsträgern.

    · Für Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaft hat der Arbeitsplatzerhalt höchste Priorität. Sie sehen im TVBesch eine Möglichkeit, die Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen, aber auch einen "sauren Apfel", in den sie nur dann beißen, wenn zuvor alle anderen Möglichkeiten des Arbeitsplatzerhalts (Abbau von Mehrarbeit, Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit) ausgeschöpft sind. Da der Flächentarifvertrag weiterhin gilt, bleibt das Einkommen pro Arbeitszeit (Stundenlohn) konstant. Durch die Arbeitszeitabsenkung gewinnen die Beschäftigten arbeitsfreie Zeit ("voller Zeitausgleich").

    · Der TVBesch wird von den Beteiligten auch unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten positiv bewertet, da keine zusätzliche Arbeitslosigkeit entsteht und die sozialen Sicherungssysteme nicht weiter belastet werden.

    Für die Bremer Forscher ist der Beschäftigungssicherungstarifvertrag ein exemplarischer Beleg für die Flexibilität und Innovationsfähigkeit der Arbeitsbeziehungen in Deutschland. Das auf Tarifautonomie und Flächentarife aufgebaute deutsche System der Arbeitsbeziehungen ist offenbar lernfähiger als von seinen Kritikern angenommen wird. Es ist in der Lage, auf betriebliche Krisensituationen und neue Herausforderungen flexibel zu reagieren und konsensfähige Kompromisse zwischen ökonomischen und sozialen Zielsetzungen zu vermitteln.

    Gestützt auf die empirischen Ergebnisse der Untersuchung sieht Projektleiter Professor Helmut Spitzley Handlungschancen auf verschiedenen Ebenen:

    (1) In den Unternehmen sollten Geschäftsführungen und Betriebsräte in Krisensituationen eingehend prüfen, ob durch Arbeitszeitabsenkung Entlassungen vermieden werden können.

    (2) Den Tarifparteien wird empfohlen, die betrieblichen Handlungsoptionen für beschäftigungssichernde Arbeitszeitabsenkung weiter zu entwickeln und die Betriebsparteien bei der Umsetzung zu unterstützen.

    (3) Auf der politischen Ebene sollten Stabilität und Innovationskraft des deutschen Systems der Arbeitsbeziehungen erhalten werden. Um der wachsenden Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, sollten beschäftigungssichernde und beschäftigungsförderliche Arbeitszeitabsenkungen politisch unterstützt und die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen dafür verbessert werden.

    Weitere Informationen:

    Universität Bremen
    Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW)
    Prof. Dr. Helmut Spitzley
    Parkallee 39
    28209 Bremen
    Tel.: 0421/218-3085 oder -3290
    Email: spitzley@iaw.uni-bremen.de

    Wichtige Ergebnisse der Untersuchung sind in einer Broschüre zusammengefasst, die über das IAW oder die IG Metall, Abt. Tarifpolitik, Lyoner Str. 32, 60528 Frankfurt/M., Tel. 069/6693-2352/2468 bezogen werden kann.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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