idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
24.01.2017 08:44

Fußballfans und Polizei: Eine problematische Beziehung

Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Das Verhältnis von Fußball-Fans und Polizei stand im Mittelpunkt eines deutschlandweiten Forschungsprojekts, an dem Sportwissenschaftler der Uni Würzburg beteiligt waren. Jetzt haben die Beteiligten ihre Ergebnisse präsentiert.

    Gewalt gegen niederländische Fußballfans: Gericht verurteilt Hooligans zu Haftstrafen – Saison 2015/16: Mehr Polizisten Opfer von Fan-Gewalt – Verstoß gegen das Waffengesetz: Ultra soll mit zu der Chaos-Nacht beigetragen haben. Hannover-Fan vor Gericht. Diese drei Schlagzeilen aus deutschen Medien, erschienen im Januar 2017, sind nur eine Auswahl aus einer langen Liste von Meldungen über Gewalt im Umfeld von Fußballspielen.

    Stimmt das Bild vom gewalttätigen Fußballfan? Ist ein Stadionbesuch gefährlich? Oder sieht die Realität in deutschen Stadien ganz anders aus? Und wie lässt sich die Situation – wo nötig – verbessern? Diesen und vielen damit verbundenen Fragen sind Wissenschaftler und Experten aus ganz Deutschland in dem bundesweiten Forschungsprojekt „SiKomFan“ nachgegangen. Gut drei Jahre lang haben sie dafür unter anderem Fußballfans genau unter die Lupe genommen. Ihr Hauptanliegen war es, „die Kommunikationsstrategien der an Veranstaltungen aus Anlass von Fußballspielen beteiligten Sicherheitsakteure untereinander zu verbessern und den Dialog mit den Fans zu optimieren“.

    Dahinter steckte auch das Ziel, die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung – insbesondere der Zuschauer und der Reisenden im Umfeld von Fußballspielen – zu verbessern und dabei gleichzeitig die persönliche Freiheit von Fußballfans nicht noch weiter einzuschränken. Mit welchen Maßnahmen dieser Spagat gelingen kann, sollte das Forschungsprojekt aufzeigen.

    Der Würzburger Beitrag

    An der Universität Würzburg war der Sportwissenschaftler Dr. Gabriel Duttler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaft, in das Projekt eingebunden. Er vertrat dabei vor allem sozialwissenschaftliche Aspekte und hat gemeinsam mit Kollegen der Forschungsgruppe BEMA an der Universität Münster in ganz Deutschland Fußballfans, Fanexperten und Menschen, die mit Fans zusammenarbeiten, interviewt.

    „Wer regelmäßig Auswärtsspiele seiner Mannschaft besucht, wird unweigerlich Kontakt mit der Polizei bekommen“, schildert Duttler den Hintergrund dieses Forschungsprojekts. Organisierte Fußballfans, die im Bus reisen, werden teilweise bereits ab der Autobahn von der Polizei zum Stadion eskortiert. Gruppen, die mit dem Zug kommen, treffen am Bahnhof auf Polizeikräfte, die sie häufig in einem abgegrenzten Bereich des Bahnhofs sammeln und anschließend bis ins Stadion begleiten. Und auch nach dem Abpfiff stehen Fans in der Regel unter strenger Bewachung durch die Sicherheitskräfte – damit die Anhänger der gegnerischen Mannschaften tunlichst nicht aufeinander treffen.

    60 Stunden Interviews

    Da ist es kein Wunder, dass Spannungen und Konflikte zwischen Fans, Polizisten und Ordnungskräften nicht ausbleiben. Wie belastet das Verhältnis ist, lässt sich auch daran ablesen, dass es für Duttler und seinen Mitarbeiter Patrick Bresemann bisweilen nicht ganz einfach war, Interviewpartner unter den Fans zu finden. Manche begegneten dem Forschungsprojekt mit Skepsis bis Ablehnung, weil die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) die Koordination des Verbundprojektes innehatte.

    44 Interviews mit 48 Teilnehmerinnen und Teilnehmern haben Duttler und Bresemann geführt. 60 Stunden dauern die Aufnahmen dieser Gespräche; gut 1.000 Seiten ist das Transkript stark. „Uns hat interessiert, wie Fans und Fanexperten die Sicherheitslage rund um Fußballspiele einschätzen, und inwieweit sie sich durch die Maßnahmen der Polizei und der Ordner in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen“, erklärt Duttler. Auch die Meinung der Interviewten zur Kommunikation zwischen Polizei und Fans war für die Wissenschaftler von Bedeutung.

    Die wichtigsten Ergebnisse

    Die wichtigsten Ergebnisse: „Wer regelmäßig Fußballspiele besucht, fühlt sich in der Regel im Stadion sehr sicher. Bei Menschen, die nur sporadisch ein Spiel besuchen, taucht ein Gefühl der Unsicherheit häufiger auf“, erklärt Gabriel Duttler. Dabei zeigen die jährlich veröffentlichten polizeilichen Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS), dass es in Deutschland pro Spiel im Durchschnitt nur eine bis zwei verletzte Personen zu beklagen gibt – und das bei einem Zuschauerschnitt von über 40.000 Menschen in der Bundesliga, so der Sportwissenschaftler.

    Dementsprechend blicken „wahre Fans“ mit Verwunderung auf die enorme Polizeipräsenz und wünschen sich größere Freiräume und ein defensiveres Vorgehen der Einsatzkräfte, wo es möglich ist. Sollten sie doch eingekesselt werden, wünschen sich Fußball-Fans wenigstens die Möglichkeit, an Essen und Trinken zu kommen oder eine Toilette aufsuchen zu können – und mehr Informationen. „Wenn 100 Leute im Block durch die Stadt geleitet werden und vorne passiert etwas, wissen die hinten nicht, was los ist. Das sorgt für Unruhe, die sich durch eine verbesserte Kommunikation vermeiden ließe“, erklärt Duttler.

    Schwierig ist für die Fans auch das, was der Wissenschaftler mit „Wechsel der Einsatzkultur“ beschreibt. Konkret: In den Zügen begleiten Bundespolizisten die Fußballanhänger; am Bahnhof übernimmt die Landespolizei, die beispielsweise in Würzburg aus Bayern, Thüringen und Baden-Württemberg stammen kann. Im Stadion kommt dann möglicherweise noch privates Ordnungspersonal hinzu. „Da zeigen sich an den Schnittstellen häufig unterschiedliche Ansätze, was für die Fans schwer zu durchschauen und nachzuvollziehen ist“, sagt Duttler.

    Ein Handbuch für Anwender

    Die Ergebnisse der gut dreijährigen Forschungsarbeit wurden unter anderem zu den Befunden aus den anderen Teilprojekten in Bezug gesetzt, in denen beispielsweise Befragungen von Experten aus der Polizei, Sicherheitsverantwortlichen aus den Vereinen sowie von Vertretern der kommunalen Sicherheitsorgane erfolgten. Die daraus abgeleiteten Empfehlungen werden in ein Praxishandbuch für Anwender einfließen. Dort finden Sicherheitsakteure Beispiele von Best Practice und Möglichkeiten der Optimierung im Umgang mit Fußballfans. In zwei Sammelbänden stellen die Wissenschaftler zusätzlich die konkreten Forschungsergebnisse detailliert vor.

    Gabriel Duttler will dem Thema auch in Zukunft treu bleiben – nicht nur, weil er sich für Fußball interessiert. 21,5 Millionen Besucher haben die deutschen Stadien in der Saison 15/16 gezählt. Dementsprechend würden sich dort viele gesellschaftliche Entwicklungen abzeichnen – angefangen bei der Globalisierung über die Eventisierung bis hin zur Wertediskussion. Aus wissenschaftlicher Sicht gebe es deshalb noch viel zu erforschen.

    Kontakt

    Dr. Gabriel Duttler, Institut für Sportwissenschaft, T: (0931) 31-88910,
    gabriel.duttler@uni-wuerzburg.de


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-muenster.de/Soziologie/fussballundgesellschaft/ Eine Auswahl der Ergebnisse des Projekts
    http://www.sikomfan.de/ Zur Homepage des Forschungsverbunds


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Gesellschaft, Recht, Sportwissenschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).