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15.07.2003 16:31

Was wissen wir über "Hardware" und "Software" des Gehirns?

Dr. Annette Tuffs Unternehmenskommunikation
Universitätsklinikum Heidelberg

    Zwei neue Heidelberger Lehrstuhlinhaber befassen sich mit Zellbiologie und Elektrophysiologie der Kommunikation von Nervenzellen

    Durch die Berufung zweier Wissenschaftler hat die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg ihren Forschungsschwerpunkt "Neurowissenschaften" erneut erweitert. Als Direktor am Institut für Physiologie und Pathophysiologie ist seit einigen Monaten Prof. Dr. Andreas Draguhn tätig, zu dessen Forschungsobjekten eine spezifische "Software" der Nervenzell-Kommunikation gehört: Oszillationen, die rhythmische elektrische Aktivität von Nervenzellverbänden, die vermutlich eine große Bedeutung für Wahrnehmung und Gedächtnis hat. Spezialist für die "Hardware" ist Prof. Dr. Joachim Kirsch, seit Oktober 2002 Leiter der Abteilung für Medizinische Zellbiologie am Institut für Anatomie der Universität Heidelberg. Er beschäftigt sich mit Strukturen und Molekülen, die die Kommunikation von Nervenzellen ermöglichen.

    Um miteinander zu kommunizieren, senden sich Nervenzellen gegenseitig Signale. Diese können chemischer Natur sein. Das heißt: Botenstoffe (Neurotransmitter), z.B. Acetylcholin oder Dopamin, werden ausgeschüttet und verändern das elektrische Gleichgewicht der Partnerzelle. Doch gibt es eine zweite Form der Kommunikation von Nervenzellverbänden, die lange Zeit im Hintergrund des wissenschaftlichen Interesses stand: direkte elektrische Kontakte, sogenannte "elektrische Synapsen" oder "gap junctions". Elektrische Synapsen scheinen besonders dort eine Rolle zu spielen, wo Nervenzellen ihr Verhalten synchronisieren, wobei sie oft regelmässige rhythmische Aktivität zeigen. Solche Netzwerk-Oszillationen sind auch im Enzephalogramm (EEG) abzulesen, das die elektrischen Hirnströme an der Schädeloberfläche misst und aufzeichnet. Doch lassen sich damit nur die langsamen Schwingungen großer Nervenzellverbände in der oberflächlichen Großhirnrinde verfolgen.

    Überführen Oszillationen Sinneseindrücke in das Gedächtnis?

    Schnellere Oszillationen um 200 Herz (sogenannte "ripples") konnten bislang vor allem im Hippocampus von Ratten gemessen werden, sowie bei Patienten, denen vor einer Operation Elektroden in dieses Hirnareal implantiert werden mussten. Der Hippocampus und sein Umfeld im Schläfenlappen des Großhirns bilden weitgehend die stoffliche Grundlage unseres Gedächtnisses. Die Hypothese der Forscher lautet deshalb: Sinneseindrücke werden durch synchrone Oszillationen in das Langzeitgedächtnis überführt.

    Prof. Andreas Draguhn und seine Forschungsgruppe haben einen wesentlichen Beitrag zum besseren Verständnis schneller Oszillationen geleistet. Ihnen gelang es erstmals, "ripples" an isoliertem, lebendigen Hirngewebe von Ratten und Mäusen in vitro zu messen. Dabei verwendeten sie u.a. die Patch-Clamp-Technik, mit deren Hilfe elektrische Ströme einer einzigen Nervenzelle besonders hoch aufgelöst gemessen werden können. Diese Technik wurde u.a. von dem Heidelberger Nobelpreisträger Prof. Dr. Bert Sakmann entwickelt, bei dem Prof. Draguhn promoviert hat. Die Wissenschaftler fanden, dass "ripples" in allen Zellschichten des Hippocampus vorkommen, dass sie aber von einer bestimmten Zellschicht, den Pyramidenzellen, erzeugt und mittels "gap junctions" sychronisiert werden. Die Bedeutung dieser elektrischen Schaltstellen konnten sie an Mäusen nachweisen, die wegen eines Gendefektes nur fehlerhafte "gap junctions" ausbildeten.

    Welche Hardware ist erforderlich, damit Nervenzellen kommunizieren können?

    Wie kommunizieren Nervenzellen? Welche Strukturen und Proteine im Zellskelett von Nervenzellen sind dafür zuständig, Signale zu empfangen und weiterzuleiten? Wie schafft es eine Zelle aus Tausenden von Signalen, das entscheidende herauszufiltern? Schon zu Studienzeiten hat sich Prof. Dr. Joachim Kirsch mit den zellulären Mechanismen der Signalübertragung beschäftigt. Ihn interessiert die "Hardware" des Nervensystems, die Strukturen und Moleküle, die eine Kommunikation ermöglichen, und weniger die "Software", die Nervenübertragungsstoffe (Neurotransmitter) und elektrischen Signalmuster, mit deren Hilfe die Kommunikation dann umgesetzt wird.

    Dabei blicken der Heidelberger Wissenschaftler und sein Team weit zurück in die Entwicklungsgeschichte des Menschen und des Lebens überhaupt, denn wichtige Zellstrukturen und Proteine überdauern oft Millionen Jahre und übernehmen in höheren Organismen zusätzliche Funktionen. Dies gilt auch für das von Prof. Kirsch identifizierte Protein "Gephyrin", das in ähnlicher Form in so verschiedenen Organismen wie dem Darmbakterium Escherichia coli, der Taufliege Drosophila und der Pflanzer Arabidopsis (Ackerschmalwand) sowie bei verschiedenen Säugetieren und dem Menschen vorkommt. Die Funktion des Gens ist so stark konserviert, dass es mit Hilfe gentechnischer Methoden sogar über Art- und Speziesgrenzen hinweg zwischen den verschiedenen Trägern ausgetauscht werden.

    Gephyrin: ein essentielles Gen für Pflanze, Bakterium und den Menschen

    Gephyrin bindet in der Säugetierzelle an sogenannte "Mikrotubuli", röhrenförmige Zellstrukturen, die den Transport in der Zelle organisieren und das Skelett der Zellfortsätze bilden, die Nervenimpulse weitergeben. Darüber hinaus ist es im Tier- und Pflanzenreich an der Synthese des Molybdän-Kofaktors beteiligt, der als essentieller Unterstützer von Enzymen eine wichtige Rolle im Stoffwechsel bei der Entgiftung spielt. Fehlt Pflanzen Gephyrin, verzögert sich ihre Entwicklung, die Blätter zerknittern und vergilben. Geschädigte Pflanzen können mit "Gentherapie" geheilt und wieder grün und saftig werden, indem das Gephyrin-Gen der Ratte (oder zumindest ein Teil davon) in ihr Erbgut eingeschleust wird. Für den Menschen hat das Fehlen des Kofaktors ebenfalls ernsthafte Konsequenzen: Die Betroffenen leiden unter Muskelsteifheit und schweren epileptischen Anfällen. Ähnliche Beschwerden treten durch Vergiftungen mit Sulfiten auf. Einen therapeutischen Einsatz von Gephyrin oder des ihn codierenden Gens hält Prof. Kirsch zwar für denkbar, er ist aber derzeit nicht abzusehen.

    Ansprechpartner:
    Prof. Dr. Andreas Draguhn: 06221 / 544056 ( Sekretariat)
    Prof. Dr. Joachim Kirsch: 06221 / 548657 (Sekretariat)

    Diese Pressemitteilung ist auch online verfügbar unter
    http://www.med.uni-heidelberg.de/aktuelles/


    Weitere Informationen:

    http://www.med.uni-heidelberg.de/aktuelles/


    Bilder

    Prof. Dr. Joachim Kirsch, Leiter der Abteilung II (Medizinische Zellbiologie) am Institut für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. / Foto: Universitätsklinikum Heidelberg.
    Prof. Dr. Joachim Kirsch, Leiter der Abteilung II (Medizinische Zellbiologie) am Institut für Anatom ...

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    Prof. Dr. Andreas Draguhn, Direktor am Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. / Foto: Universitätsklinikum Heidelberg.
    Prof. Dr. Andreas Draguhn, Direktor am Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Medizinisch ...

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Prof. Dr. Joachim Kirsch, Leiter der Abteilung II (Medizinische Zellbiologie) am Institut für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. / Foto: Universitätsklinikum Heidelberg.


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    Prof. Dr. Andreas Draguhn, Direktor am Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. / Foto: Universitätsklinikum Heidelberg.


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