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16.07.2003 14:50

Gewalt ist nicht (nur) männlich - Neue Erkenntnisse zu Gewaltphänomenen bei KU-Tagung

Dr. Thomas Pleil Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

    Eichstätt, 16.07.2003 - "Gewalt ist männlich" - diese, typischerweise durch Medien vermittelte Aussage ist falsch. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler, die sich im Rahmen einer Tagung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) mit dem Themenfeld "Geschlecht - Gewalt - Gesellschaft" auseinandersetzen. So zeigt sich beispielsweise, dass Konflikte und Widersprüche in den Biographien von Gewalttätern einen viel größeren Einfluss auf die Entstehen von Gewalt haben, als das Geschlecht eines potenziellen Täters. Dies belegt beispielsweise eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen.

    Drei Tage lang diskutierten Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen im Rahmen der Otto von Freising Fachtagungen an der KU neueste Forschungsergebnisse zu Gewalt in der Gesellschaft. Tagungsleiter Prof. Dr. Siegfried Lamnek; Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie II, und seine Mitarbeiter hatten international führende Gewalt- und Genderforscher aus Soziologie, Kriminologie, Pädagogik, Psychologie, Psychiatrie, Rechtswissenschaft, Geschichte und Sozialarbeit zu diesem Symposion in Eichstätt versammelt. Mit Hilfe eigener Theoriemodelle, Forschungsergebnisse und Erfahrungen aus der Praxis skizzierten sie die Möglichkeiten einer disziplinenübergreifenden, geschlechtsdifferenzierten Herangehensweise an das Gewaltphänomen, das im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Wandel gesehen wird.

    Ausgangspunkt der Überlegungen war die zunehmende Aufmerksamkeit, die seit einigen Jahren in der massenmedialen Berichterstattung und in den Sozialwissenschaften dem Aufsehen erregenden Thema Frauengewalt - speziell mit Blick auf Vorfälle häuslicher Gewalt - gilt. Da allein die Problematisierung einer systematisch auftretenden Form von "männlicher" Gewaltausübung durch Frauen den üblichen Wahrnehmungen von Gewalt als ausschließlich männliches Phänomen widerspricht, standen neben der Beschäftigung mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen auch Fragen grundsätzlicher Art im Zentrum des Interesses. Hierzu gehört beispielsweise die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion der "traditionellen" Aufteilung in männliche Täter und weibliche Opfer oder die Frage, ob Emanzipation weibliche Verbrecher schafft. Ist die weibliche Delinquenz mitverantwortlich für den vielfach beklagten Anstieg der (Jugend)Kriminalität oder ist Gewalt nach wie vor ausschließlich männlich besetzt?

    Prof. Dr. Ulrike Popp, Klagenfurt, verwies darauf, dass sich die vorherrschende Definition von Gewalt fast ausschließlich auf strafrechtlich relevante Delikte oder physische Gewalt mit Verletzungs- oder Tötungsfolgen beziehe. Jedoch belegten Untersuchungen zu den Ausdrucksformen weiblicher Aggression, dass eine Erweiterung des Gewaltbegriffes um Kategorien wie Mobbing, Stalking, psychische und verbale Gewalt das Verhältnis von männlicher zu weiblicher Täterschaft deutlich zu "Ungunsten" der Frauen verschieben würde. Dagegen werde in den Medien und in weiten Teilen der Wissenschaft ständig darauf verwiesen, Gewalt sei ein Männermonopol, was zu einer erheblichen Verzerrung der gesellschaftlichen Realität beitrage. In den USA habe sich zum Beispiel gezeigt, dass im Bereich der häuslichen Gewalt Männer wie Frauen in ähnlichem Umfang gewalttätig würden - allerdings mit unterschiedlichen Mitteln. Studien der Universität Potsdam zeigen, dass Männer bei sexueller Gewalt häufiger in Erscheinung treten und mit Gewalt eher die Frauen verletzen, bei physischer Partnergewalt Frauen dagegen ein breiteres Spektrum von Gewalt anwenden, berichtete Prof. Dr. Barbara Krahé.

    Bei Kindern und Jugendlichen sind Mädchen deutlich häufiger Opfer von Gewalt. Kirsten Bruhns vom Deutschen Jugendinstitut berichtete jedoch von einer Tendenz, wonach Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten Jugendgruppen im Streben nach Anerkennung für sich Handlungsoptionen in Anspruch nehmen, die nicht (mehr) mit geschlechtstypischen Verhaltenserwartungen übereinstimmen.

    Die politischen Konsequenzen, die mit einer ideologischen, also in diesem Falle "faktenresistenten" Deutung empirischer Ergebnisse einhergehen, wurden schließlich bei der Frage der Prävention diskutiert. Mitarbeiter von Selbsthilfeorganisationen von Gewaltbetroffenen betonten die Bedeutung der Überwindung von geschlechtsbezogenen Tabus und falsch verstandener "Geschlechterjustiz" bei häuslicher Gewalt im Hinblick auf eine Gleichstellung der Geschlechter vor dem Gesetz und auf das Durchbrechen des Gewaltkreises zwischen den Generationen, dem gegenwärtig Frauen, Männer, aber vor allem Kinder ausgesetzt sind.

    Ein Tagungsband mit sämtlichen Beiträgen, die im Rahmen des Symposiums vorgetragen wurden, wird im August 2003 beim Opladener Verlag Leske + Budrich erscheinen.


    Weitere Informationen:

    http://www.ku-eichstaett.de/Fakultaeten/GGF/fachgebiete/Soziologie/lehrstuehle/S...


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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