idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
18.07.2003 09:15

Und der Prinz grüßt Dornröschen mit dem Hitlergruß

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    Weltweit umfangreichste Dokumentation über Schulwandbilder jetzt abgeschlossen - Ergebnisse werden vom 24. bis 27. Juli in Bremen vorgestellt. VolkswagenStiftung förderte Projekt mit 321.000 Euro.

    Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Dieses alt-chinesische Sprichwort hat in der Pädagogik oft nur wenig Beachtung gefunden. Bilder spielen, trotz der Bilderflut, die unser Alltagsleben zunehmend überschwemmt, im schulischen Lehren und Lernen meist nur eine untergeordnete Rolle. Doch viele von uns werden sich noch aus ihrer Schulzeit an die bunten, oft wandkartengroßen Bilder erinnern, mit deren Hilfe früher der Lernstoff des Biologie-, Geschichts-, Geographie- oder Religionsunterrichts möglichst anschaulich nahe gebracht werden sollte. Der Hauch von Nostalgie, der diese Schulwandbilder heute umweht, trübt den Blick dafür, wie sehr sie als Dokumente der Schulgeschichte Aufmerksamkeit verdienen - zeigen sie doch anschaulicher und direkter als Lehrpläne, was aus der weiten Welt ins Klassenzimmer drang, wie die Wahrnehmung der Schüler planvoll gelenkt und wie auch im Dienste von Ideologien das Weltbild der heranwachsenden Jugend manchmal bewusst verengt wurde.

    Von der VolkswagenStiftung vier Jahre lang mit 321.000 Euro gefördert, hat Professor Dr. Walter Müller von der Forschungsstelle Schulwandbilder am Lehrstuhl für Schulpädagogik der Universität Würzburg ein Bestandsverzeichnis der im deutschsprachigen Raum zwischen 1830 und 1990 erschienenen Schulwandbilder erstellt. Das Projekt ist jetzt abgeschlossen; die Ergebnisse liegen auf CD-ROM auf der Basis des Picture This-Programms vor. Um die Daten der Datenbank möglichst vielseitig und benutzerfreundlich verwenden und effektiver ergänzen zu können, wurde zudem eine neue Software entwickelt, die - ebenso wie weitere Ergebnisse des Projekts - vom 24. bis 27. Juli beim 10. Internationalen Symposium für Schulmuseen in Bremen vorgestellt wird. Dieses neue, internetgestützte Programm wurde in Zusammenarbeit mit dem Würzburger Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik erstellt. Eine Demoversion ist unter www.schulwandbild.de abrufbar.

    10. Internationales Symposium für Schulmuseen:
    vom 24. bis 27. Juli 2003 im Landesinstitut für Schule. Am Weidendamm 20, Bremen
    Tagungstelefon: 0421/361-16653 (ab 23. Juli, 10 Uhr)

    Professor Walter Müller und seinem Team gelang es, eine breite Quellenbasis für Forschungs-, Illustrations- und Ausstellungszwecke zu schaffen: 12.400 Bilder aus allen schulischen Unterrichtsbereichen ermittelten sie, erhoben die dazu verfügbaren bibliografischen Daten, systematisierten diese und stellten - soweit möglich - die aktuellen Standorte der Bilder fest. Im Wesentlichen finden sich die Bestände der im deutschsprachigen Raum hergestellten Schulwandbilder in den zehn schulmusealen Sammlungen Bergisch-Gladbach, Bremen, Duisburg, Dortmund, Friedrichshafen, Hamburg, Lünen, Märkischer Kreis, Steinhorst und Zetel sowie in der Dänischen Pädagogischen Bibliothek Kopenhagen. Für drei Viertel der Schulwandbilder machten die Forscherinnen und Forscher Begleitliteratur ausfindig, die wichtige Aufschlüsse gibt über die pädagogisch-didaktischen Intentionen und die Kontexte, in denen die Bestände zum Einsatz kamen. Und bei etwa 8.000 Bildern gelang es, zusätzlich zu den Textdaten auch Bildvorlagen digital zu erfassen - was nun weitere Forschungs-, Lehr-, Ausstellungs- und Publikationsaktivitäten ermöglicht. Sechs Bildbeispiele finden Sie auf der Homepage der VolkswagenStiftung unter http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse03/p18072003.htm.

    Deutlich wird an diesen Beispielen, wie sehr die Wandbilder die Erziehungsabsichten, den Zeitgeist und das Schulwissen der verschiedenen Epochen widerspiegeln. So etwa, wenn in einem Jahreszeitenzyklus zum Thema "Der Winter" im Laufe der Jahre die technischen und industriellen Errungenschaften der jeweiligen Ära in die Szenerie Eingang fanden. Auch die Abbildung einer "vorbildlichen" Schulszene aus des Kaisers Zeiten ist höchst aufschlussreich: An der Wand hängt Wilhelms Konterfei, die Kinder sitzen aufrecht und sittsam in den Bänken - Ausdruck des Ideals preußischer Disziplin und Zucht.

    Nicht minder entlarvend sind die Wandbilder aus der Zeit des Nationalsozialismus. In der Darstellung von Episoden aus dem Märchen Dornröschen grüßt der Prinz die Maid, während er sie wach küsst, gleichzeitig mit dem Hitlergruß. Wobei die Subversivität dieser Indoktrination darin besteht, dass der Hitlergruß sich in die Art-Deco-Manier dieses Wandbildes ganz unauffällig einfügt. "Gerade solche Beispiele zeigen, wie hervorragend die historischen Schulwandbilder geeignet sind, den Kindern heute die Augen für untergründige Botschaften in der multimedialen Welt zu öffnen", sagt Müller. Man könne also an ihnen die Fähigkeit schulen, versteckte Aussagen in einem Bild zu entschlüsseln.

    Darüber hinaus lassen sich Angaben zu den Produktionsstätten der Schulwandbilder machen: Etwa 150 Verlage sind in dem untersuchten Zeitraum mit deren Herstellung befasst gewesen. Ferner sind quantitative Aussagen über die Gestalter und Herausgeber der Schulwandbilder möglich. Wie viele Maler waren bei einem Verlag mit der Produktion von Schulwandbildern beschäftigt, welchen Anteil an der Gesamtproduktion hatten einzelne von ihnen inne, welche Schulfächer wurden von welchen Verlagen bevorzugt abgedeckt ...? Und sogar der kunstgeschichtlich Interessierte wird in dem Fundus fündig - zum Beispiel mit einem opulenten Schulwandbild, das der Nazarener Schnorr von Carolsfeld für den Religionsunterricht zum Thema "Jakob ringt mit dem Engel" gestaltet hat.

    Für Schulkinder aber sind die bunten Bilder letztlich oft mehr gewesen als bloßes Anschauungsmaterial: die einzige Augenweide in einem ansonsten meist öden Klassenzimmer. Wer nunmehr Lust hat, sich einen Eindruck von diesen Werken der Alltagskunst zu verschaffen, kann das auch bei einem Besuch in Würzburg tun, wo zurzeit in der Forschungsstelle am Wittelsbacherplatz 1 die Ausstellung "Die weite Welt in Klassenzimmer" gezeigt wird. Nähere Informationen hierzu unter http://www.uni-wuerzburg.de/schulpaedagogik.

    Der Text der Presseinformation steht im Internet zur Verfügung unter
    http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse03/p18072003.htm

    Kontakt

    VolkswagenStiftung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Dr. Christian Jung,
    Telefon: 05 11/83 81 - 380, E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

    Kontakt Förderprojekt

    Universität Würzburg, Lehrstuhl für Schulpädagogik, Professor Dr. Walter Müller
    Telefon: 09 31/888 - 4867/8 oder 09 31/888 - 4849


    Weitere Informationen:

    http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse03/p18072003.htm
    http://www.uni-wuerzburg.de/schulpaedagogik
    www.schulwandbild.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kunst / Design, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Musik / Theater, Pädagogik / Bildung
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).