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15.03.2017 17:31

Ein 155-Karäter mit 92 mm Durchmesser

Klaus P. Prem Presse - Öffentlichkeitsarbeit - Information
Universität Augsburg

Der größte synthetische Diamant der Welt kommt aus Augsburg

„Sind die denn echt?“ Mit dieser Frage wird ein Diamantforscher immer wieder konfrontiert, wenn er mit Laien über seine Arbeit spricht. Natürlicher Diamant = „echter“ Diamant, synthetischer Diamant = „falscher“ Diamant – das ist eine weit verbreitete Vorstellung, die allerdings nichts zu tun hat mit der Realität des Physikers: Beim Vergleich der Kristallstrukturen stellt er eine vollständige Identität zwischen Naturdiamanten und im Labor gezüchteten Kristallen fest. Nur an charakteristischen atomaren Defekten, die beide besitzen, lässt sich natürlicher Ursprung oder synthetische Erzeugung noch feststellen.

Chemische Gasphasenabscheidung bei Unterdruck

Diamanten werden an der Universität Augsburg seit 1991 erforscht und synthetisiert. Primäres Ziel dieser Forschungen ist es, die verschiedenen physikalischen und chemischen Prozesse beim Kristallwachstum zu verstehen. Die Natur bringt gewaltige Drücke und Temperaturen auf, um Graphit in Diamant umzuwandeln. In den Augsburger Laboren hingegen wird mit chemischer Gasphasenabscheidung bei einem Unterdruck von einigen Zehntel Atmosphären gearbeitet. Unter spezifischen Prozessbedingungen lagern sich Kohlenwasserstoffmoleküle aus der Gasphase auf der Oberfläche ab und lassen so Schicht für Schicht Diamanten wachsen.

Vom unorientierten Kristall zum Einkristall

Was sich im ersten Moment einfach anhört, ist es auch – dann jedenfalls, wenn es nur darum geht, beliebige Schichten mit unorientierten Kristallen herzustellen. „Als wir unsere erste Anlage aufgebaut hatten und die Herstellerfirma zur Inbetriebnahme kam, lieferte bereits der erste Prozess eine flächendeckende Schicht aus ganz passablen Diamantkristalliten“, berichtet Dr. Matthias Schreck, der die Diamant-Arbeitsgruppe am Augsburger Lehrstuhl für Experimentalphysik IV seit ihren Anfängen leitet. „Leider", so Schreck weiter, „passten damals die einzelnen Körner an ihren Grenzen noch nicht zusammen, und so war es nicht möglich, einen flächendeckenden Einkristall zu erhalten. Dem Ziel, dieses Problem zu lösen, haben wir uns in den darauf folgenden zweieinhalb Jahrzehnten dann komplett verschrieben. “

Nachdem das Edelmetall Iridium als geeignetste Wachstumsunterlage identifiziert war und man ein effizientes Verfahrens zur Erzeugung orientierter Kristalle gefunden hatte, wurden Schritt für Schritt alle weiteren Herausforderungen angegangen, um dem Ziel einkristalliner Scheiben – der Wissenschaftler spricht von Wafern – näherzukommen. Die entscheidenden Fortschritte wurden dabei von Dr. Stefan Gsell und Dr. Martin Fischer erarbeitet. Beide haben zu dieser Thematik promoviert und treiben seit über zehn Jahren die Arbeiten voran, die jetzt zum entscheidenden Durchbruch führten.

„Es war faszinierend, nach etlichen Tagen des Wachstums unter einer mehrere Tausend Grad heißen Plasmaentladung den Reaktor zu öffnen und die ersten großflächigen Proben in Händen zu halten“, schildert Gsell. Nach dem Entfernen der Wachstumsunterlage ließ sich dann die Qualität der Scheiben auch hinsichtlich ihrer Transparenz und Perfektion beurteilen: „Als wir zum ersten Mal eine transparente Probe ohne Risse hergestellt hatten und die Waage einen Wert von über 20 Gramm, also über 100 Karat, für die Probe anzeigte, war die Faszination natürlich noch größer“, fügt Fischer hinzu.

Seit Jahren beschrieben, jetzt erklärt

In der aktuellen Ausgabe des internationalen Fachjournals Scientific Reports beschreiben die Augsburger Forscher erstmals im Detail eine solche Probe mit einem maximalen Durchmesser von 92 mm und einem Gewicht von 155 Karat. Der Artikel erklärt darüber hinaus die ungewöhnlichen Phänomene, die bei der Bildung von Diamantkeimen ausschließlich auf Iridium auftreten. „Diese Phänomene wurden bereits in Dutzenden von Veröffentlichungen von Wissenschaftlern weltweit übereinstimmend beschrieben, doch erst jetzt ist es gelungen, ein konsistentes Modell für ihre Erklärung zu entwickeln“, sagt Schreck.

AuDiaTec: Anwendung in verschiedensten Technologiefeldern

Die drei Wissenschaftler sind auch vom wirtschaftlichen Nutzen ihrer Entwicklung überzeugt. Sie haben im November 2015 gemeinsam die Augsburg Diamond Technology GmbH (www.audiatec.de) gegründet. Als Geschäftsführer des jungen Startup-Unternehmens treiben Fischer und Gsell die technologische Entwicklung weiter voran und bemühen sich darum, dass die Augsburger Diamanten kommerzielle Anwendung in verschiedensten Technologiefeldern finden. Diese reichen von Schneidwerkzeugen für die Herstellung spiegelnder Oberflächen von Werkstücken über optische Bauteile bis hin zu Detektoren an großen Teilchenforschungseinrichtungen wie am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf. Dort wurden erst kürzlich zwei Augsburger Kristalle für Messungen in den Beschleunigerring eingebaut.

Ultimatives Material für die Hochleistungselektronik

Auch zum Gelingen der Energiewende könnten die Augsburger Scheiben einen wichtigen Beitrag liefern. „Seit Beginn meiner Arbeiten an der Universität Augsburg höre ich permanent in der Diamantgemeinde, dass Diamant das ultimative Material für Hochleistungselektronik sei, wie sie für den Aufbau moderner Stromnetze benötigt wird“, bemerkt Schreck und fügt hinzu, dass auch er selbst häufig dieses Argument verwendet. Allerdings hat bisher noch niemand wirklich konkurrenzfähige Bauelemente demonstriert. Um hier voranzukommen, hat sich eine Gruppe von europäischen Forschungsteams zum Verbund „GreenDiamond“ zusammengeschlossen. Auch in den USA gibt es Pläne zu ähnlichen Vorhaben. Erst kürzlich wurde bei zwei Workshops in Washington und im belgischen Hasselt die Maximalgröße der bisher verfügbaren Einkristalle von unter 25 mm als großer Hemmschuh bedauert. Dementsprechend hoffnungsfroh wurden die aktuellen Syntheseerfolge als wichtiger Fortschritt begrüßt.

In der Fläche größer als der Cullinan I

Können sich die Augsburger Einkristalle auch mit den größten Brillanten aus Naturkristallen messen? Der wohl bekannteste unter diesen ist der Cullinan I, auch Great Star of Africa genannt. Im Tower von London sicher verwahrt, ziert er das Zepter der Kronjuwelen. Mit einer maßstabsgetreuen Quarz-Kopie dieses einzigartigen Brillanten in Händen vergleicht Schreck dessen Größe mit der Augsburger Diamantscheibe und stellt fest: „Mit seinem Gewicht von 532 Karat liegt der Cullinan I noch weit vor uns, und das wird wohl auch noch länger so bleiben. In der Fläche haben wir ihn aber bereits deutlich geschlagen!“
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Originalpublikation:

M. Schreck, S. Gsell, R. Brescia, M. Fischer: Ion bombardment induced buried lateral growth: the key mechanism for the synthesis of single crystal diamond wafers,
Sci. Rep. 7, 44462; doi: 10.1038/srep44462 (2017).
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Ansprechpartner:

Dr. Matthias Schreck
Experimentalphysik IV
Institut für Physik
Universität Augsburg
86135 Augsburg
Telefon +49-821-598-3401
matthias.schreck@physik.uni-augsburg.de
http://www.physik.uni-augsburg.de/exp4/_People/schreck_matthias/

Dr. Martin Fischer, Dr. Stefan Gsell
Augsburg Diamond Technology GmbH
Am Technologiezentrum 5
86159 Augsburg
Telefon +49-821-90785320
info@audiatec.de
http://www.audiatec.de


Bilder

Matthias Schreck, Stefan Gsell und Martin Fischer (v.l.) mit ihrer einkristallinen Diamantscheibe. Die Grauschattierungen resultieren überwiegend aus der noch nicht entfernten Keimbildungsschicht.
Matthias Schreck, Stefan Gsell und Martin Fischer (v.l.) mit ihrer einkristallinen Diamantscheibe. D ...
© Universität Augsburg/IfP/EP IV
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Der Cullinan I aus dem Zepter der Kronjuwelen der britischen Königin im direkten Vergleich mit dem Augsburger Einkristall
Der Cullinan I aus dem Zepter der Kronjuwelen der britischen Königin im direkten Vergleich mit dem A ...
© Universität Augsburg/IfP/EP IV
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Ergänzung vom 16.03.2017

Korrektur zur Bildunterschrift des Gruppenfotos: v. l. Schreck, Fischer, Gsell


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Chemie, Elektrotechnik, Energie, Physik / Astronomie, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Matthias Schreck, Stefan Gsell und Martin Fischer (v.l.) mit ihrer einkristallinen Diamantscheibe. Die Grauschattierungen resultieren überwiegend aus der noch nicht entfernten Keimbildungsschicht.


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Der Cullinan I aus dem Zepter der Kronjuwelen der britischen Königin im direkten Vergleich mit dem Augsburger Einkristall


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