Ependymome sind bösartige Hirntumoren, bei deren Entwicklung epigenetische Veränderungen –das sind chemische Anhängsel entlang der Tumorgene– eine Schlüsselrolle spielen. Die Wissenschaftler und Kinderärzte des DKFZ und des Uniklinikums Heidelberg konnten zeigen, dass die epigenetischen Veränderungen als Zielstrukturen für neue, wirksamere medikamentöse Therapien in Frage kommen könnten. Darüber hinaus lassen sie sich auch nutzen, um Ependymome zu klassifizieren. So fanden sich insgesamt neun epigenetische Untergruppen, die sich nicht nur molekular, sondern auch klinisch deutlich voneinander unterschieden. Die Ergebnisse läuten einen Paradigmenwechsel in der Diagnostik von Ependymomen ein.
In Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 500 Kinder an einem bösartigen Tumor des Zentralen Nervensystems. Mit einer Überlebenswahrscheinlichkeit von nur etwa 60 Prozent nach fünf Jahren stellen Hirntumoren die am weitesten verbreitete krebsbedingte Todesursache im Kindesalter dar. Das Ependymom ist der dritthäufigste kindliche Hirntumor. Es kann zwar grundsätzlich in allen Altersstufen auftreten – gerade bei Säuglingen und Kleinkindern ist es allerdings besonders aggressiv und die Heilungschancen stehen relativ schlecht.
Epigenetische Veränderungen – molekulare Zielstrukturen für neue Therapien?
Professor Dr. Stefan Pfister und PD Dr. Hendrik Witt, Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und am Universitätsklinikum Heidelberg, haben in einem von der Wilhelm Sander-Stiftung finanzierten Forschungsprojekt Mutationen und epigenetische Veränderungen (DNA-Methylierungen) von krebsauslösenden Ependymom-Genen im Detail analysiert. Ziel war es, neue Schlüsselmoleküle zu identifizieren, die sich als Zielstrukturen für wirksamere medikamentöse Therapien eignen könnten. Schon zuvor hatte sich gezeigt, dass es unter den Ependymomen im Kleinhirn mindestens zwei verschiedene Typen gibt – einen mit mehr und einen mit weniger aggressivem Krankheitsverlauf. Zunächst suchten die Forscher die Erklärung dafür in der DNA-Sequenz der jeweiligen Tumortypen. Doch bald fanden sie heraus: Nicht der genetische Code selbst, sondern epigenetische Gen-Anhängsel machen den Unterschied.
Wenn epigenetische Veränderungen die Aggressivität der Tumoren beeinflussen – eignen sie sich dann auch als Zielstrukturen für neue medikamentöse Therapien?
Um dieser Frage nachzugehen, schlossen die Wissenschaftler in Kooperation mit der Gruppe von Prof. Dr. Michael Taylor vom Hospital for Sick Children in Toronto weitere Untersuchungen an. Sie konnten zeigen, dass bestimmte Medikamente, die an diesen epigenetischen Strukturen ansetzen, bei Mäusen das Tumorwachstum bremsten. „Die Ergebnisse lassen uns hoffen, dass epigenetische Strukturen tatsächlich ein möglicher Schlüssel zu neuen Therapien für einige der Ependymom-Gruppen sind“, erklärt Prof. Dr. Stefan Pfister, Direktor am Hopp-Kindertumorzentrum am NCT Heidelberg (KiTZ) und Abteilungsleiter Pädiatrische Neuroonkologie am DKFZ. „Das wäre ein großer Fortschritt im Kampf gegen diese Formen des Ependymoms, denn bisher gab es dafür noch keine zufriedenstellende medikamentöse Behandlungsmöglichkeit.“ In einer neuen europäischen Studie werden Kinder mit Ependymomen erstmals mit einem epigenetisch wirksamen Medikament behandelt: Die international angelegt SIOP Ependymoma II Studie startet in Kürze zunächst deutschlandweit.
Epigenetischer Fingerabdruck hilft bei der Klassifikation
Epigenetische Veränderungen können aber nicht nur der Schlüssel zu neuen Therapiemöglichkeiten sein. Auch bei der Klassifikation verschiedener Tumor-Untergruppen sind sie eine große Hilfe, wie die Wissenschaftler in weiterführenden Arbeiten zeigen konnten.
Bisher stand Ärzten zur Einteilung von Ependymomen die histopathologische Untersuchung zur Verfügung, die jedoch keine zuverlässigen Aussagen über Verlauf und Biologie der Erkrankung zulässt. Mit dem Ziel, die Tumoren genauer zu klassifizieren, bestimmten Dr. Kristian Pajtler, PD Dr. Hendrik Witt und Dr. Marcel Kool am DKFZ gemeinsam mit einer großen Gruppe nationaler und internationaler Kooperationspartner die epigenetischen Muster von über 500 Ependymomen. „Durch den Vergleich dieser Muster konnten wir insgesamt neun verschiedene Untergruppen von Ependymomen unterscheiden. Zwei dieser Gruppen umfassten vor allem Kinder mit einem hohen Rückfallrisiko und schlechter Prognose“, erklärt PD Dr. Hendrik Witt. „Insgesamt waren die Gruppenunterschiede jedoch bei allen neun Gruppen groß, und zwar nicht nur hinsichtlich der Epigenetik, sondern auch in den DNA-Codes der jeweiligen Tumoren, ihrer Genaktivität, dem Erkrankungsalter der jeweiligen Patienten und dem Krankheitsverlauf.“ Da die epigenetischen Muster im Verlauf der Erkrankung stabil bleiben und schon winzigste Probenmengen für die Bestimmung ausreichen, eignen sie sich gut für die klinische Routinediagnostik.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat bereits auf die Erkenntnisse der Heidelberger Wissenschaftler reagiert. Sie nahm bereits einige der molekularen Untergruppen in die im Mai 2016 erschiene aktualisierte Version der "WHO Classification of Tumours of the Central Nervous System. Revised 4th Edition" auf.
Die Wilhelm Sander-Stiftung hat dieses Forschungsprojekt mit rund 266.000 Euro unterstützt. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt über 220 Millionen Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz bewilligt. Die Stiftung geht aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.
Kontakt:
Dr. med. Hendrik Witt
Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Immunologie
Angelika-Lautenschläger-Klinik
Im Neuenheimer Feld 430
69120 Heidelberg
hendrik.witt@med.uni-heidelberg.de
Weitere Informationen zur Stiftung: http://wilhelm-sander-stiftung.de
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