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22.03.2017 13:17

Ein Knebel für die Anstandsdame führt zu Chaos in Krebszellen

Bernhard Knappe Vorstandsvorsitzender
Wilhelm Sander-Stiftung

    Eiweißmoleküle einer normalen Zelle verhalten sich wie Kinder, die ohne Betreuung brav spielen. In einer Tumorzelle hingegen muss die Ordnung mühsam durchgesetzt werden, wie in einer Gruppe kleiner Rabauken. Hier gibt es aufgrund der genetischen Veränderungen unter den Eiweißen „Problemkinder“, die unbeaufsichtigt randalieren würden. Deshalb sind gerade Tumorzellen auf die Anstandsdame mit dem Namen Heat shock protein 90 (HSP90) angewiesen. Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. U. Moll und Prof. Dr. M. Dobbelstein, Institut für Molekulare Onkologie, Universitätsmedizin Göttingen, fand nun heraus, was in Tumorzellen alles schiefgeht, wenn man die Anstandsdame mit einem Medikament „knebelt“.

    Die Eiweißmoleküle einer Zelle kann man sich wie eine Kindergruppe vorstellen. Brave Kinder kann man auch eine zeitlang allein spielen lassen, ohne Angst zu haben. Eine richtige Rabaukengruppe dagegen braucht die ständige Betreuung durch eine Anstandsdame, andernfalls gibt es Chaos und Unfälle. Ähnlich verhalten sich die Eiweißmoleküle in normalen Zellen im Vergleich zu Tumorzellen. Tumorzellen brauchen solche Anstandsdamen – Heat shock proteine genannt -, um trotz der Veränderungen am Genom die mutierten Eiweißmoleküle noch richtig als funktionsfähige dreidimensionale Strukturen zu falten, anstatt als nutzlose Klumpen die Zelle zu vergiften. So entsteht eine Angriffsfläche, um gerade Tumorzellen zu beseitigen.

    Hier setzen die HSP90-Inhibitoren an, eine Gruppe potentieller Krebsmedikamente, die wie ein Knebel für die Anstandsdame HSP90 funktionieren. Die Wirkung eines solchen Stoffes mit dem Namen Ganetespib wurde in der Arbeitsgruppe um Frau Prof. Dr. Ute Moll und Herrn Prof. Dr. Matthias Dobbelstein am Institut für Molekulare Onkologie, Universitätsmedizin Göttingen, an Tumorzellen untersucht.

    Ein wichtiger Befund war dabei, dass ein genetisch verändertes Molekül mit dem Namen p53 in den behandelten Tumorzellen abgebaut wird, wenn man sie mit dem HSP90-Hemmstoff behandelt. Dieses mutierte p53 kann der Tumorzelle andernfalls dabei helfen, zu überleben, sich zu vermehren und aggressiver zu werden. Hemmt man aber HSP90, so kann mutiertes p53 in der Zelle nicht mehr korrekt gefaltet werden und verschwindet. Die Zellen teilen sich dann viel langsamer. „Die Tumorzelle ist längst süchtig nach diesem veränderten p53, und wir setzen sie mit dem Hemmstoff auf Entzug.“, erläutert Professorin Moll.

    Eine Überraschung ergab sich, als die Forscher den HSP90-Hemmstoff mit verschiedenen Chemotherapien kombinierten, um damit in Plastikschalen wachsende Krebszellen zu behandeln. Hier zeigte sich nämlich, dass HSP90-Hemmung die Zellen gegenüber Platin-Verbindungen viel empfindlicher macht. Platin-Verbindungen werden häufig als Krebstherapie eingesetzt und wirken, indem sie Genomschäden verursachen. Die Sensibilisierung erfolgt nun dadurch, dass ein wichtiges Reparatursystem für die Erbinformation in der Krebszelle durch HSP90-Hemmung lahmgelegt wird. „Die so behandelten Zellen zeigten geradezu pulverisierte Chromosomen, in denen die Erbinformation nur noch in Bruchstücken zu finden war und die deswegen massiv abstarben.“, berichtet Professor Dobbelstein.

    Allerdings finden manche Tumorzellen einen Ausweg aus dieser Lage. Einige Dickdarmkrebszellen schaffen es, den Hemmstoff Ganetespib rasch abzubauen und werden dadurch widerstandsfähig gegen die Behandlung. Die Arbeitsgruppe klärte den Mechanismus auf, über den dieser Abbau erfolgt. So besteht künftig die Möglichkeit, die Resistenz leichter vorherzusagen und geeignete HSP90-Hemmstoffe für eine künftige Tumorbehandlung auszuwählen.

    Die Befunde bringen HSP90-Hemmstoffe einen deutlichen Schritt näher an den Einsatz in der Klinik. Einige Stoffe dieser Klasse werden bereits in Studien getestet. Die Ergebnisse werden voraussichtlich noch einige Jahre auf sich warten lassen, aber man darf gespannt sein.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Ute Moll und Prof. Dr. Matthias Dobbelstein
    Institut für Molekulare Onkologie der Universitätsmedizin Göttingen
    Telefon: 0551 39 13840
    mdobbel@uni-goettingen.de
    www.moloncol.med.uni-goettingen.de

    Publikationen:
    Alexandrova, E.M., S.A. Mirza, S. Xu, R. Schulz-Heddergott, N.D. Marchenko, and U.M. Moll. 2017. p53 loss-of-heterozygosity is a necessary prerequisite for mutant p53 stabilization and gain-of-function in vivo. Cell Death Dis. Im Druck. IF 5,4

    Kramer, D., N. Stark, R. Schulz-Heddergott, N. Erytch, S. Edmunds, L. Rossmann, H. Bastians, N. Concin, U.M. Moll, and M. Dobbelstein. 2017. Strong antitumor synergy between DNA crosslinking and HSP90 inhibition causes massive premitotic DNA fragmentation in ovarian cancer cells. Cell Death Differ. 24:300-316. IF 8,2

    Landmann, H., D.A. Proia, S. He, L.S. Ogawa, F. Kramer, T. Beissbarth, M. Grade, J. Gaedcke, M. Ghadimi, U. Moll, and M. Dobbelstein. 2014. UDP glucuronosyltransferase 1A expression levels determine the response of colorectal cancer cells to the heat shock protein 90 inhibitor ganetespib. Cell Death Dis. 5:e1411. IF 5,4

    Die Wilhelm Sander-Stiftung hat dieses Forschungsprojekt mit rund 184.000 Euro unterstützt. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt über 220 Millionen Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz bewilligt. Die Stiftung geht aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

    Weitere Informationen zur Stiftung: http://www.wilhelm-sander-stiftung.de


    Bilder

    Abbildung zeigt mutiertes p53-Protein in den Zellen eines Eierstock-Tumors im Tiermodell. Ein histol. Schnitt wurde mit Antikörpern gegen p53 eingefärbt (braun). P53 wird in den Zellkernen sichtbar.
    Abbildung zeigt mutiertes p53-Protein in den Zellen eines Eierstock-Tumors im Tiermodell. Ein histol ...
    Nadine Stark, Institut für molekulare Onkologie, Universitätsmedizin Göttingen
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Abbildung zeigt mutiertes p53-Protein in den Zellen eines Eierstock-Tumors im Tiermodell. Ein histol. Schnitt wurde mit Antikörpern gegen p53 eingefärbt (braun). P53 wird in den Zellkernen sichtbar.


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