Politikwissenschaftler der Universität Jena erforscht den Begriff des Zwangs
Als Barack Obama mit Obamacare ein Gesetz auf den Weg brachte, das alle Einwohner dazu „zwang“, eine Krankenversicherung abzuschließen, stieß er nicht nur auf Begeisterung in der Bevölkerung. Denn neben dem finanziellen Aufwand sahen viele US-Bürger darin einen Eingriff in ihre persönliche Freiheit. Was hierzulande also nahezu selbstverständlich ist, wird in den USA als Einschränkung aufgefasst. Dieses Beispiel zeigt, wie verschieden der Begriff der Freiheit aufgefasst werden kann – vor allem wenn man einmal ihr scheinbares Gegenteil genauer unter die Lupe nimmt.
Genau das hat Dr. Andreas Braune von der Friedrich-Schiller-Universität Jena in den vergangenen Jahren getan. Der Politikwissenschaftler erforschte den Begriff des Zwangs und hat sein Projekt mit der Veröffentlichung seiner Dissertation abgeschlossen. „Ich habe mich am Ende meines Studiums – und darüber hinaus auch in der Lehre – immer wieder mit dem Freiheitsbegriff beschäftigt. Die Forschung in diesem Bereich füllt unzählige Regalmeter“, berichtet Braune. „Der Zwang als nicht unwesentlicher Bestandteil findet dabei allerdings kaum Beachtung.“ Doch gerade ein genauer Blick auf das Gegenstück eröffne neue Perspektiven und schärfe das Verständnis von Freiheit. „Zwang ist das Andere der Freiheit, dasjenige, von dessen Abwesenheit wir ausgehen, wenn wir von Freiheit sprechen“, definiert Braune.
Ausbeutung als Zwang
Der Jenaer Experte unterscheidet in seiner Betrachtung zwei Arten des Zwangs: Die erste fasst ihn als handlungstheoretischen Begriff auf. Das heißt, Zwang resultiert aus der Tat eines Menschen gegenüber einem anderen. „Wenn ich beispielsweise von jemanden mit vorgehaltener Waffe Geld fordere, schränke ich ihn erheblich ein – er wird offensichtlich gezwungen“, erklärt der Politikwissenschaftler. „Wir beide befinden uns nicht mehr im gleichen Zustand der Freiheit, sondern einer ist abhängig vom anderen.“ Braune hat diese Definition in seiner Arbeit systematisch erweitert. Während etwa liberale bzw. libertäre Denker ausschließlich Drohungen mit Zwang assoziieren, betrachtet er etwa auch Ausbeutung als Zwang, die ebenso mit einem Angebot daherkommen kann. Gerade im vielschichtigen ökonomischen Bereich gilt es, genauer hinzuschauen und Ambivalenzen zu vermeiden. Alle Handlungen, die die gleiche Freiheit zweier Personen einseitig aufheben, müssen als Zwang betrachtet werden.
Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Die zweite Definition weitet den Blick auf die Gesellschaft. Hier sind es nicht gleiche Individuen, die sich einschränken, sondern gesellschaftliche Strukturen, die die Autonomie des Einzelnen behindern können. Phänomene wie struktureller Zwang, Entfremdung, soziale Kontrolle und Selbstzwang verhindern die Herausbildung einer gelungenen Ich-Identität, ohne dass immer ein genauer Urheber dieses Zwangs ausgemacht werden könnte.
Der Zwang des liberalen Rechtsstaates
Allerdings wird in beiden Fällen deutlich, dass Zwang eben nicht einfach als das Gegenteil von Freiheit begriffen werden kann. Denn gleichzeitig, so Braune, kann Zwang auch ein Instrument sein, das die gleiche Verteilung der Freiheit und die Bedingungen sozialer Autonomie herstellt und schützt. Der Zwang des liberalen Rechtsstaates werde in der Moderne genau darüber legitimiert, so Braune. Da er aber nur auf die Abwesenheit weniger Formen von Zwang als Handlung zielt, richtet er sich nicht gegen alle Formen freiheitsschädlichen Zwangs.
Genau dieser Punkt führt zu der kontroversen Einschätzung, ob ein Zwang zur Krankenversicherung rechtens ist: Für die einen hat er nichts mit gleicher Freiheit zu tun und bevormundet freie Bürger, für die anderen gehört das Gut der Gesundheit zu den Bedingungen sozialer Autonomie, so dass es nötigenfalls mit Zwang für alle bereitgestellt werden darf. Die Studie von Andreas Braune behauptet hier nicht, die richtigen Antworten zu liefern, stellt aber die Begriffe und Analysekategorien bereit, um über die Reichweite von Freiheit und Zwang in einer modernen Gesellschaft zu diskutieren.
Kontakt:
Dr. Andreas Braune
Institut für Politikwissenschaft der Universität Jena
Carl-Zeiß-Str. 3, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945427
E-Mail: andreas.braune[at]uni-jena.de
Die Ergebnisse von Andreas Braunes Forschungen zum Begriff des Zwangs liegen auch als Buch „Das Ande ...
Foto: Anne Günther/FSU
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Politik
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
Die Ergebnisse von Andreas Braunes Forschungen zum Begriff des Zwangs liegen auch als Buch „Das Ande ...
Foto: Anne Günther/FSU
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