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27.04.2017 09:55

Auf dem Gipfel der Evolution – Flechten bei der Artbildung zugeschaut

Sabine Wendler Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Pressestelle
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen

    Frankfurt am Main, 27. April 2017. Die europäische Flechtenart Lasallia pustulata erlaubt neue Einblicke in den Prozess der Artbildung als Reaktion auf Umweltbedingungen. Die unscheinbaren Überlebenskünstler aus Tal- und Gipfelregionen eines sardischen Bergmassivs sehen äußerlich alle gleich aus. Genom-Analysen haben aber ergeben, dass Hoch- und Tieflandpopulationen sich genetisch stark unterscheiden und auf dem Wege sind, sich in zwei Arten aufzuspalten, berichtet ein Senckenberg-Team in „BMC Evolutionary Ecology“. Mit einem detaillierten Einblick in diesen Mechanismus wollen die Forscher Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich Tiere und Pflanzen an Umwelt- und Klimaveränderungen anpassen.

    Hände hoch, wer bei der Geburt einer neuen Art dabei sein will. Normalerweise kein einfaches Unterfangen, denn Evolution ist ein Langzeitprojekt. Bis aus einer Art zwei neue eigenständige Arten werden, dauert es oftmals Tausende, wenn nicht gar Millionen Jahre. So auch bei der Pustel-Nabelflechte Lasallia pustulata, die sich als eine der größten Flechten auf sonnenexponiertem Gestein quer durch Europa breitmacht. An einem Standort im Mittelmeer sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums jetzt auf Populationen gestoßen, bei denen sich Artbildung in Folge der Anpassung an Umweltbedingungen gerade ‚live‘ erleben lässt.

    Francesco Dal Grande, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum dazu: „Die genetischen Unterschiede zwischen den Populationen der Flechtenart am Fuß und am Gipfel des Limbara Massivs auf Sardinien sind erstaunlich groß und ziehen sich durch das gesamte Genom. Außerdem sind die Gipfelpopulationen physiologisch besser an mehr Regen und weniger starke Lichteinstrahlung angepasst. Wir glauben daher, dass diese Flechtenart gerade im Begriff ist, sich in zwei Arten aufzuspalten.“

    Die genetisch verschiedenen Berg- und Talpopulationen haben sich mit den jeweiligen Klimabedingungen ihres Standorts arrangiert. Im Tiefland herrscht mediterranes Klima mit heißen, trockenen Sommern und milden, feuchten Wintern. Oben am Gipfel herrscht gemäßigtes Klima. Die Gipfelflechten müssen sich gegen winterlichen Frost wappnen und ganzjährig größere Niederschlagsmengen vertragen. Die Anpassung an diese unterschiedlichen Bedingungen wird durch Veränderungen in mehreren hundert Genen möglich – zum Beispiel Gene, die für Frostschutz und Hitzeresistenz von Zellen benötigt werden.

    Die Artbildung geschieht entlang eines Höhen- und damit Klimagradienten. Zwischen der Tal- und der Gipfelgruppe liegen rund 1100 Höhenmeter. Das ist ein klimatischer Unterschied, den die meisten Pflanzenarten nicht ertragen könnten und daher nur unten oder nur oben vorkommen. „An diesem Standort korrelieren viele genetische Unterschiede zwischen den Populationen der Flechtenart mit der Höhenlage. Deshalb gehen wir davon aus, dass Umweltfaktoren Motor dieser evolutionären Entwicklung sind“, so Prof. Dr. Imke Schmitt, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.

    Bergmassive sind besonders geeignet, um zu erforschen, wie sich Klimaveränderungen im Erbgut der Organismen niederschlagen. Auf begrenztem Raum befinden sich – klimabedingt – ökologisch sehr unterschiedliche Lebensräume, an die sich Lebewesen anpassen müssen. Manchmal sind solche Anpassungen äußerlich nicht sichtbar. Erst der Vergleich der Genome zeigt, was in Reaktion auf Umwelteinflüsse alles passieren kann. „Wir haben viele Kandidatengene identifiziert, deren Funktion wir noch nicht genau kennen, die aber mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Umweltanpassung eine Rolle spielen. Wenn wir die Variabilität und die Funktion dieser Gene verstehen, können wir besser abschätzen, welche genetischen Möglichkeiten ein Organismus überhaupt hat, sich an den Klimawandel anzupassen“, resümiert Dal Grande.

    Kontakt

    Dr. Francesco Dal Grande
    Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum
    Tel. 069- 7542 1856
    francesco.dalgrande@senckenberg.de

    Prof. Dr. Imke Schmitt
    Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum &
    Goethe-Universität
    Tel. 069- 7542 1855
    Imke.schmitt@senckenberg.de

    Sabine Wendler
    Pressestelle
    Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum
    Tel. 069- 7542 1818
    pressestelle@senckenberg.de

    Publikation

    Dal Grande, F. et al. (2017): Adaptive differentiation coincides with local bioclimatic conditions along an elevational cline in populations of a lichen-forming fungus. BMC Evolutionary Biology, doi: 10.1186/s12862-017-0929-8
    http://tinyurl.com/llvz4wx

    Die Pressebilder können kostenfrei für redaktionelle Berichterstattung zu dieser Pressemeldung verwendet werden unter der Voraussetzung, dass der genannte Urheber mit veröffentlicht wird. Eine Weitergabe an Dritte ist nur im Rahmen der aktuellen Berichterstattung zulässig. Die Pressemitteilung und Bildmaterial finden Sie auch unter http://www.senckenberg.de/presse

    Die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt an Lebensformen zu erforschen und zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen erhalten und nachhaltig nutzen zu können - dafür arbeitet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung seit nunmehr 200 Jahren. Ausstellungen und Museen sind die Schaufenster der Naturforschung, durch die Senckenberg aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse mit den Menschen teilt und Einblicke in vergangene und gegenwärtige Veränderungen der Natur vermittelt. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie weiteren Sponsoren und Partnern gefördert. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.

    200 Jahre Senckenberg! 2017 ist Jubiläumsjahr bei Senckenberg – die 1817 gegründete Gesellschaft forscht seit 200 Jahren mit Neugier, Leidenschaft und Engagement für die Natur. Seine 200-jährige Erfolgsgeschichte feiert Senckenberg mit einem bunten Programm, das aus vielen Veranstaltungen, eigens erstellten Ausstellungen und einem großen Museumsfest im Herbst besteht. Natürlich werden auch die aktuelle Forschung und zukünftige Projekte präsentiert. Mehr Infos unter: www.200jahresenckenberg.de.


    Bilder

    Pustel-Nabelflechte Lasallia pustulata auf Gestein
    Pustel-Nabelflechte Lasallia pustulata auf Gestein
    Copyright: Imke Schmitt
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    Lebensgemeinschaft aus Alge (obere grüne Schicht) und Pilz  - die Flechte Lasallia Pustulata
    Lebensgemeinschaft aus Alge (obere grüne Schicht) und Pilz - die Flechte Lasallia Pustulata
    Copyright: Francesco Dal Grande
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    Anhang
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Meer / Klima, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Pustel-Nabelflechte Lasallia pustulata auf Gestein


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    Lebensgemeinschaft aus Alge (obere grüne Schicht) und Pilz - die Flechte Lasallia Pustulata


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