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07.08.2003 11:28

Entfesselte Partnerschaften? Die Pluralisierung partnerschaftlicher Lebensformen in Westdeutschland

Achim Fischer Abteilung Kommunikation
Universität Mannheim

    Mannheimer Soziologe Professor Brüderl erbringt empirischen Nachweis für die These von der größeren Vielfalt partnerschaftlicher Lebensformen/ DFG bewilligt 2,5 Mio. Euro für den Ausbau des Forschungsprojekts

    Dass in den letzen Jahrzehnten das gängige Lebensmodell "ledig, verheiratet, zwei Kinder, verwitwet" zunehmend Konkurrenz bekommen hat, ist schon lange in aller Munde. Der empirische Nachweis für die sogenannte Pluralisierung der Lebensläufe stand jedoch bislang aus - beschränkten sich bisherige Untersuchungen doch auf die Analyse von Einzelphänomenen wie Heirat oder Scheidung und hatten nicht den gesamten Lebenslauf im Blick. Der Mannheimer Soziologe Professor Dr. Josef Brüderl konnte nun zusammen mit seinem Heidelberger Kollegen Professor Dr. Thomas Klein empirisch belegen, dass das traditionelle Lebensmodell in Westdeutschland spätestens seit den 1960er Jahren zunehmend durch alternative Muster ergänzt wird. "Die Gesellschaft ist aber nicht in eine wilde "Alles-ist-möglich"-Stimmung verfallen," erklärt Brüderl. "Es handelt sich vielmehr um eine Pluralisierung in Grenzen."

    Auf Basis von über 5000 Datensätzen konnten die beiden Wissenschaftler Brüderl und Klein nachweisen, dass die Zahl der von ihnen berücksichtigten sogenannten Lebensformtypen - ledig, verheiratet, verwitwet, wiederverheiratet, getrennt, eheähnliche Gemeinschaft - in den letzen vierzig Jahren kontinuierlich angestiegen ist. Ihre Untersuchungen bestätigen darüber hinaus die Annahmen, dass die Ehe als dominante Lebensform insgesamt an Gewicht verloren hat: Waren bei den in den 1950ern Geborenen bereits 70% im Alter von 30 Jahren in erster Ehe verheiratet, sind es bei den 1960ern nur noch 54% und bei den 1970ern 44%. Im Gegenzug erfreuen sich Single-Dasein und "wilde Ehe" steigender Beliebtheit, ohne sich jedoch ihrerseits zum dominanten Muster auszubilden: So ist beispielsweise die Zahl der heute dreißigjährigen Singles im Vergleich zur Generation der in den 1950ern Geborenen von 21% auf 38% um 17 Prozentpunkte gestiegen. Wer heute dennoch heiratet, lässt sich dafür mehr Zeit als früher: Das Heiratsalter ist gestiegen, d.h. das Timing für den Übergang vom Ledigenstatus in die Erstehe gestaltet sich variabler, und immer mehr Paare leben bereits vor der Trauung zusammen.

    Die zunehmende Vielfalt von partnerschaftlichen Lebensformen in Westdeutschland - außen vor blieb bei dieser Studie die Familienentwicklung - lässt sich dabei auf dem Land wie in der Stadt nachweisen, auch wenn die Landbevölkerung noch stärker dem Muster des traditionellen Lebenslaufes verhaftet ist. Vor allem die Generation der heute 30-Jährigen in den Großstädten bestätigt die These der Pluralisierung beziehungsweise der Vereinzelung: In dieser Altersgruppe hat die Ehe ihre Dominanz verloren, es gibt mehr Singles als Verheiratete.

    Die Entwicklung hin zu sogenannten "modernen Mustern" und weg von der Normalbiographie der 60er Jahre verläuft stetig: Von einem Individualisierungsschub im Sinne eines abrupten Sprungs in die Pluralisierung, wie es im Gefolge der 68er gerne behauptet wurde, kann jedoch keine Rede sein. Weit entfernt von einem "anything goes" sprechen die Ergebnisse der Studie eher für eine "Pluralisierung in Grenzen".

    Noch offen ist bislang die Frage, was die Pluralisierung der partnerschaftlichen Lebensläufe in den letzen Jahrzehnten begünstigt hat. "Der viel zitierte Wertewandel kann darauf keine befriedigende Antwort geben, verschiebt sich doch so allenfalls die Fragestellung darauf, was denn den Wertewandel herbeigeführt habe," erläutert Brüderl. Steigender Wohlstand und damit einhergehende Bildungsexpansion wären zwei mögliche Gründe. Doch die Analysen Brüderls und Kleins haben ergeben, dass sie nicht in entscheidendem Maße an den Änderungen der partnerschaftlichen Lebensläufe beteiligt sind.

    Die Ursachen für die gewandelten Lebensmodelle wird Brüderl in den kommenden Jahren zusammen mit seinem Mannheimer Kollegen Professor Dr. Hartmut Esser in einem neuen Forschungsprojekt nachgehen, für das die DFG vor kurzem 2,5 Mio. Euro an Fördermitteln bewilligt hat. Der Forschungsschwerpunkt "Beziehungs- und Familienentwicklung" wird dann auch die Veränderungen der familiären Lebensformen mit berücksichtigen.

    Prof. Dr. Josef Brüderl, Jahrgang 1960, studierte Soziologie und Wirtschaftswissenschaften in München, wo er 1990 auch promovierte. Nach Lehr- und Forschungsaufenthalten an der US-amerikanischen University of Chicago, der Universität Bern und der Ludwig-Maximilians Universität in München wurde er 1997 in Bern habilitiert. Seit 1998 hat Brüderl den Lehrstuhl für Statistik und sozialwissenschaftliche Methodenlehre an der Universität Mannheim inne. Neben der empirischen Untersuchung demographischer Veränderungen zählt mit Arbeitsmarkt- und betrieblichen Analysen auch die Schnittstelle zwischen Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu seinen Forschungsschwerpunkten.

    Weitere Informationen:
    Prof. Dr. Josef Brüderl
    LS für Statistik und sozialwissenschaftliche Methodenlehre
    Universität Mannheim
    Tel. 0621/181-2003
    E-Mail: jbruederl@sowi.uni-mannheim.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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