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07.08.2003 13:35

Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung auf deutsche Steuervorschriften

Clemens Esser Geschäftsstelle
Institut "Finanzen und Steuern" e.V.

    Der deutsche Steuergesetzgeber ist teilweise noch nicht in Europa angekommen. Eine Kette jüngerer Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat offen gelegt, dass die deutsche Rechtsordnung auch in der Steuergesetzgebung Vorschriften enthält, die mit dem europäischen Binnenmarkt und dessen Grundfreiheiten nicht vereinbar sind.

    Deutschland nimmt es mit den europäischen Grundfreiheiten vor allem in seinem nationalen Steuerrecht nicht allzu genau. Dieser Befund wirkt auch auf die unternehmerische Praxis ein; bestimmte grenzüberschreitende Aktivitäten deutscher Unternehmen auf dem europaweiten Binnenmarkt, aber auch Investitionen oder sonstiges erwerbswirtschaftliches Engagement europäischer Marktbürger in Deutschland können unattraktiv sein, weil vom Europarecht nicht gedeckte steuerliche Hemmnisse ihnen entgegenstehen.
    In einer jetzt erschienenen Studie des Instituts Finanzen und Steuern, Bonn (Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung auf deutsche Steuervorschriften, IFSt-Schrift Nr. 407) weist Prof. Dr. Laule nach, dass steuerliche Beschränkungen grenzüberschreitender Tätigkeiten mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags (EGV) nicht zu vereinbaren sind.

    Beispielhaft sei auf folgendes hingewiesen:
    - Seit dem Urteil des EuGH vom 12.12.2002 "Lankhorst-Hohorst" steht fest, dass die inländische Versteuerung der Gesellschafter-Fremdfinanzierung, die eine in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft von ihrer Muttergesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat der EU in Anspruch nimmt, mit der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 43 EGV nicht vereinbar ist.
    - Deutsche Unternehmen können ihren registrierten Sitz und/oder ihre Geschäftsleitung nicht in das europäische Ausland verlegen, ohne dass der Grenzübertritt die Versteuerung der sogenannten "stillen Reserven" des Betriebsvermögens bewirkt, obwohl der Abgabenlast keine entsprechenden Veräußerungserlöse gegenüberstehen. Die Sperrwirkung des deutschen Abgabensystems verletzt sowohl die Niederlassungs- als auch die Kapitalverkehrsfreiheit.
    - Mit deutschen Obergesellschaften verbundene Tochterunternehmen in anderen Mitgliedstaaten der EU, die in die Wertschöpfungskette über die staatlichen Grenzen hinaus ihren Beitrag leisten, bewertet das Außensteuergesetz in vielen Fällen pauschal als missbräuchlich, auch wenn es sich um Erwerbstätigkeiten im Schutz der Grundfreiheiten des EGV handelt.
    - Geschäftsbeziehungen deutscher Unternehmen zu Tochtergesellschaften im europäischen Ausland prüft die deutsche Finanzverwaltung sehr kritisch daraufhin, ob sie einem sogenannten Drittvergleich standhalten. Dasselbe gilt für Geschäftsbeziehungen deutscher Tochtergesellschaften gegenüber ihren ausländischen Muttergesellschaften. Werden die Verrechnungspreise zulasten des deutschen Unternehmens korrigiert, so erhöht sich die Steuerlast wegen des Auslandsbezuges, was mit den Grundsätzen des freien europäischen Marktes nicht zu vereinbaren ist. Die in Deutschland ansässigen Gesellschaften müssen darüber hinaus wegen des Auslandsbezuges umfangreiche Dokumentationen anfertigen, was die Grundfreiheiten des EGV ebenfalls beeinträchtigt.
    - Deutschland beruft sich auf Rechtfertigungsgründe für Eingriffe in die Grundfreiheiten; allerdings folgt der EuGH einer solchen Einlassung nur in wenigen Ausnahmefällen. Die fehlende Steuerharmonisierung, eine möglicherweise fehlende Gegenseitigkeit der internationalen Steuerbeziehungen unter EG-Mitgliedstaaten, den Schutz des nationalen Steueraufkommens (Verteidigung des Haushalts) sowie die Sorge einer Steuerumgehung oder Steuerflucht rechtfertigen derartige Eingriffe nach Ansicht des EuGH nicht.

    Es ist das besondere Verdienst des EuGH in Luxemburg, Beschränkungen der Grundfreiheiten konsequent entgegenzutreten und damit wesentlich zu einer Harmonisierung des europäischen Steuerrechts beizutragen. Seit seinem Urteil zu den direkten Steuern im Jahre 1986 (Rechtssache avoir fiscal) hat der EuGH verlässliche Koordinaten für das nationale Steuerrecht gesetzt. Dies ermöglicht belastbare Prognosen über die Vereinbarkeit einzelner Normen mit dem europäischen Recht.

    Dem EGV liegt das Konzept eines Binnenmarktes mit ungehinderten Leistungs- und Kapitalströmen zugrunde, was nationale Grenzziehungen grundsätzlich nicht mehr erlaubt. Ausnahmen sind lediglich zur Abwehr eines konkreten Missbrauchs der Grundfreiheiten anzuerkennen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis deutsche Steuergerichte dem EuGH weitere Vorschriften des Steuerrechts zur Entscheidung vorlegen werden. Von besonderer Bedeutung wird die Beurteilung der steuerlichen Wegzugsbeschränkungen sein. Sollte der EuGH erwartungsgemäß bestätigen, dass diese Regelungen gegen Europarecht verstoßen, werden zahlreiche deutsche Unternehmen ihr Niederlassungsrecht in anderen europäischen Staaten in Anspruch nehmen, um strukturellen Nachteilen des deutschen Rechtssystems zu entgehen, z.B. den deutschen Mitbestimmungsregelungen oder überzogenen bürokratischen Vorschriften im Arbeits- oder Umweltrecht.

    Die Grundfreiheiten wirken nicht nur innerhalb der Europäischen Union. Auch Drittstaaten können sich auf das europäische Recht berufen, wenn völkerrechtliche Verträge die gegenseitige Diskriminierung verbieten. Einem in den USA ansässigen Unternehmen hat der Bundesfinanzhof diese Rechtslage bereits zuerkannt. Es ist damit zu rechnen, dass sich auch in Drittstaaten ansässige Unternehmen in Zukunft vermehrt auf die europäischen Grundfreiheiten berufen.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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