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07.08.2003 14:40

Qualität gefordert auf dem 33. Kongress für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik

Ole Lünnemann Referat Hochschulkommunikation
Universität Dortmund

    Bei der alle fünf Jahre stattfindenden Tagung tauschen etwa 700 Fachleute, Eltern und Betroffene aus ganz Europa Wissen und Erfahrungen aus. "Qualitäten - Rehabilitation und Pädagogik bei Blindheit und Sehbehinderung" ist das Thema des 33. Kongresses für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik, der vom 4. bis 8. August 2003 an der Universität Dortmund stattfindet. Sein Themenspektrum reicht von der Frühförderung, über die Förderung jeglichen Sehvermögens bis zum Sehverlust im Alter.

    Veranstaltet wird die Tagung vom Verband der Blinden- und Sehbehindertenpädagogen und -pädagoginnen e.V. (VBS) gemeinsam mit der Fakultät Rehabilitationswissenschaften der Universität Dortmund, unterstützt vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe.

    Standort Dortmund

    Das rechtzeitig zum Kongress fertiggestellte "Orientierungs- und Leitsystem" für blinde und sehbehinderte Menschen an der Universität sorgte dafür, dass alle TeilnehmerInnen barrierefrei zum Veranstaltungsort kommen konnten.

    In seiner Eröffnungsrede zum Kongress sagte der Rektor Prof. Dr. Eberhard Becker, er freue sich darüber, dass die Tagung ausgerechnet im Europäischen Jahr der Behinderung in Dortmund und damit an einem im Bereich der Rehabilitationswissenschaften führenden deutschen und europäischen Standorte stattfindet.

    Nordrhein Westfalen ist eines von drei Bundesländern mit einem universitären Studiengang der Pädagogik bei Blindheit und Sehbehinderung. Dortmund ist mittlerweile diejenige Ausbildungsstätte mit den meisten Studierenden (180), der größten Forschungsaktivität und dem umfangreichsten Serviceangebot für behinderte Studierende.

    Seit 1997 bauen Prof. Dr. Renate Walthes, Fachgebiet Rehabilitation und Pädagogik bei Behinderung, und ihre Kollegin Prof. Dr. Emmy Csocsán Dortmund zu einem internationalen Zentrum von Lehre und Forschung aus.

    Qualitäten erfordern differenzierte Sichtweisen

    Der Kongress steht unter dem Motto "Qualitäten". Die Teilnehmer beschäftigen sich mit der Frage, wie Pädagogik und Rehabilitation zukünftig zu gestalten sind, um den schädigungsspezifischen und den gesellschaftlichen Veränderungen entsprechen zu können.

    Menschen müssen heute in einem Monat so viele visuelle Anforderungen bewältigen wie um die Jahrhundertwende in einem ganzen Leben. Zugleich wachsen die Klagen über Konzentrations- und Wahrnehmungsprobleme von Kindern. Hier könnte ein Zusammenhang bestehen. Bisherige Therapien setzen auf Verhaltensregulation. Eine differenzierte Analyse der visuellen Wahrnehmungsstrategien und die Anpassung der Lernleistungen an diese Strategien könnte effektiver sein.

    Universitäre Lehre und Forschung im Bereich der Rehabilitation und Pädagogik bei Blindheit und Sehbehinderung muss sich zukünftig als ein interdisziplinäres Forschungsfeld zwischen Neurologie, Augenheilkunde, pädagogischen und sozial-rehabilitativen Fragestellungen verstehen. Sie darf sich nicht wie bisher auf den kleinen Kreis der Menschen mit einer Sehschädigung beschränken.

    Stattdessen soll sie sich vor allem um die Themen und Probleme kümmern, die heutzutage verstärkt als Wahrnehmungsstörungen und Aufmerksamkeitsstörungen auftreten. Heute müssen Menschen so viele visuelle Eindrücke in einem Monat verarbeiten wie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in einem ganzen Leben. Künftige Forschung soll überprüfen, ob die Änderungen der visuellen Anforderungen mit der Zunahme von Wahrnehmungsstörungen zu tun haben. Geklärt werden muss, welche Wege zu beschreiten wären, um die Anforderungen der Umwelt und Leistungen des visuellen Systems wieder auszubalancieren.

    Diese Forderungen richtet Prof. Dr. Renate Walthes in ihrem Festvortrag "Differenzierte Sichtweisen" an die Fachleute und an die Wissenschaft.

    An der Universität Dortmund kann in den nächsten Jahren ein solches europäisches Zentrum für universitäre Forschung und Lehre im Kern und Umfeld der visuellen Wahrnehmung und deren Störungen entstehen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Lehrstühle Rehabilitation und Pädagogik bei Blindheit und Rehabilitation und Pädagogik bei Sehbehinderung erhalten bleiben.

    Funktionelle Diagnostik und Interdisziplinarität

    Eines der Kongressthemen waren geistig bedingte Sehschädigungen. Störungen der visuellen Wahrnehmung werden heute einerseits besser erkannt, andererseits aber auch häufiger diagnostiziert.

    Es gibt Kinder mit Formerkennungsstörungen oder mit Problemen, Gesichter zu erkennen. Es gibt Kinder, die sich in manchen Situationen verhalten, als seien sie blind. Ihre Augen zeigen jedoch keinerlei Schädigungen. Die Zahl dieser Kinder ist in Deutschland noch nicht bekannt. Fachleute fordern Untersuchungen über Anzahl dieser Kinder und Entwicklung von weiteren Diagnose- und Förderungsprogrammen. Für diese Kinder gibt es bisher kaum Unterstützungs- und Förderungsmöglichkeiten.

    In den Diskussionen während des Kongresses wurde deutlich, dass die Angebote die die Blinden- und Sehbehindertenpädagogik zur Verfügung stellt, für diese Kinder hilfreich sind.

    Entscheidend ist, dass die Schädigungen der Kinder überhaupt erst einmal erkannt werden müssen. Hierzu bedarf es einer sehr guten funktionellen Diagnostik. Das bedeutet, die Kinder müssen in ihrem Verhalten in unterschiedlichen Situation getestet werden. Übliche augenärztliche Testverfahren bringen keine befriedigenden Ergebnisse.

    Mit solchen Untersuchungen lässt sich zum Beispiel feststellen, warum ein Kind nicht lesen kann. Wenn das der Fall ist, muss dies nicht zwangsläufig daran liegen, dass ihm die geistigen Fähigkeiten zum Lesenlernen fehlen. Ursache kann auch sein, dass das Kind zwar Farben aber keine Formen wahrnehmen und daher Buchstaben gemäß ihrer Form nur schwer unterscheiden kann.

    Formerkennungsschwäche kann möglicherweise verbessert werden, wenn man Farben und Buchstaben zuverlässig miteinander kombiniert. Den Kindern kann besser geholfen werden, wenn die Probleme genau erkannt sind und mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit erfolgt.

    Low Vision und Sehverlust im Alter

    Ein weiteres wichtiges Thema war der Sehverlust im Alter. Wenn das Sehen im Alter schlechter wird, die Zeitung nicht mehr gelesen werden kann oder die Bilder im Fernsehen nicht mehr erkannt werden können, dann finden sich viele Menschen damit ab. Sie verlieren ein großes Stück Lebensqualität. Das bestätigen die Studien von Prof. Dr. Hans-Werner Wahl vom Deutschen Zentrum für Alternsforschung.

    Sehverlust im Alter gilt gemeinhin als eine sehr schwere Behinderung, die Sehverschlechterung wird jedoch häufig einfach hingenommen. Dass dies nicht nötig ist, machten die verschiedenen Vorträge und workshops des Kongresses deutlich: Es gibt viele Hilfsmittel, die auch bei Sehverschlechterung Zeitungslesen noch möglich machen. Zahlreiche Strategien ermöglichen trotz Seheinschränkung und Sehverlust im Alter ein selbstbestimmtes und zufrieden stellendes Leben.

    Ebenso mit der Diagnose "Low Vision". Die Mehrzahl der Menschen mit niedrigem Sehvermögen, die als hochgradig sehbehindert oder sogar blind gelten, nimmt zumindest Lichtscheine wahr. Sie verfügt somit über visuelle Wahrnehmungen, die in der alltäglichen Lebensgestaltung durchaus genutzt werden können.

    So haben Hell-Dunkel-Wahrnehmungen beispielsweise eine entscheidende Rolle für den Tag-Nacht-Rhythmus und für Stoffwechselprozesse.

    Ergänzt wurden die Vorträge durch Hilfsmittelausstellungen, in denen optische und elektronische Hilfsmittel vorgestellt und von Rehabilitationsfachleuten diskutiert wurden.

    Der Mittwochnachmittag stand ganz im Zeichen der Hauptversammlung des Verbandes der Blinden- und Sehbehindertenpädagogen und -pädagoginnen (VBS) e.V. Der Vorsitzende Eberhard Fuchs aus Würzburg stellte die verbandspolitischen Zielsetzungen für die nächsten Jahre in einer sich stark wandelnden Bildungslandschaft auch für blinde und sehbehinderte Menschen vor und diskutierte sie mit den Mitgliedern. Der VBS setzt sich mit allem Nachdruck für die Erhaltung der Qualität der Frühförderung von Kindern mit einer Sehschädigung ein. Er fordert alle gesellschaftlichen Gruppen auf, Lehrstellen und Arbeitsplätze für blinde und sehbehinderte Jugendliche zu schaffen. Der Verband verlangt ein Ausbildungssystem für Fachleute im Feld der Rehabilitation auf universitärem Niveau. Die Fragen und Probleme, die sich insbesondere bei Sehbeeinträchtigung und Sehverlust im Alter stellen, erfordern interdisziplinäre Forschung und Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte.

    Bild: Das Maskottchen des 33. Kongresses hat der 17-jährige Christian Kretschmann gezeichnet, Schüler der Rheinischen Schule für Sehbehinderte in Aachen. Das Bild kann von der Pressestelle angefordert werden.

    Weitere Information:
    Siehe auch die Medieninformationen Nr. 03-233 vom 18.07.2003 unter http://idw-online.de/public/zeige_pm.html?pmid=66949
    Prof. Dr. Renathe Walthes, Fakultät Rehabilitationswissenschaften und Leiterin des Dortmunder Zentrums Behinderung und Studium, Ruf: 0231-7554559,
    E-Mail: renate.walthes@uni-dortmund.de,
    Internet: www.kongress.vbsnrw.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Pädagogik / Bildung, Politik, Psychologie, Recht
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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