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02.10.1998 00:00

Finanz- und Wirtschaftskrisen in Asien, Rußland und Lateinamerika

Hildegard Stahmer Öffentlichkeitsarbeit
HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung Hamburg

    Finanz- und Wirtschaftskrisen in Asien, Rußland und Lateinamerika
    - Folgen für Deutschland und Europa -

    Ein Jahr nach Ausbruch der Asienkrise ist auch Rußland von einer Finanz- und Wirtschaftskrise erfaßt worden. Die Schockwellen haben inzwischen Lateinamerika erreicht. Gerät die deutsche und europäische Wirtschaft in den Sog einer neuen Weltwirtschaftskrise? Im Rahmen einer Vortragsveranstaltung des HWWA am 1.10.1998 beleuchteten unter der Moderation von HWWA-Vizepräsident Prof. Dr. Hans-Eckart Scharrer vier Experten die regionalen und weltwirtschaftlichen Zukunftsperspektiven und diskutierten mit den Gästen und Mitarbeitern des Instituts.

    Prof. Dr. Rolf J. Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft, Kiel, betonte, daß die Gründe der Krise in Rußland hausgemacht seien. Sie lägen in einer Stabilisierungspolitik, die zunehmend unglaubwürdig geworden sei, weil sie nicht durch nachhaltige Anstrengungen bei der Schaffung einer institutionellen Infrastruktur (Steuerpolitik, privatwirtschaftliche Eigentumsrechte, Privatisierung mit Marktaustrittskonsequenzen) und einer realwirtschaftlichen Anpassung (Investitionswachstum und sektoraler Strukturwandel) unterstützt worden sei.

    Interne Anlässe der Krise liegen, so Langhammer, im Schneeballeffekt der Finanzierung des Budgetdefizits durch kurzfristige Anleihen, der Unglaubwürdigkeit der Wechselkursbindung und des wachsenden politischen Widerstands in der Duma gegen eine Fortsetzung des sog. Reformkurses. Äußere Anlässe waren die Verschlechterung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch sinkende Energiepreise und damit einhergehend eine Verschlechterung der Exporterlössituation, sowie die asiatische Krise, in deren Strudel Rußland als sog. "emerging market" trotz völlig unterschiedlicher Rahmenbedingungen hineingezogen wurde.

    Die Krise sei keine Finanzkrise, sondern eine veritable Wirtschaftskrise, die Rußland dazu zwinge, den Reformkurs völlig neu zu starten. Dieser Reformkurs müsse eine stärkere wirtschaftliche Autonomie der Föderationssubjekte (Republiken, Oblasts) beinhalten.

    Die Alternative zu einem Neubeginn sei das Abgleiten in eine inflationäre Entwicklung, die bei Hyperinflation bis zur politischen Zerrüttung des Landes führen könne. Sollte dieser Alternative gewählt werden, verbiete sich eine externe Hilfe, die über das hinausgehe, was unter humanitären Gesichtspunkten geleistet werden könne.

    Die Ansteckungsgefahr für andere Länder sei relativ schwach, soweit es die nachweisbaren realwirtschaftlichen Aspekte (Leistungsbilanztransaktionen) anlange. Das politische Moment der Ansteckung wirke schwerer, da es über die Nachfolgestaaten der UdSSR (Belarus und Ukraine) und u.U. auf die benachbarten mittel- und osteuropäischen Reformländer überspringen könnte.

    Nachdem Dr. Rüdiger Machetzki vom Institut für Asienkunde, Hamburg, die Ursachen und wesentlichen Aspekte der Asienkrise dargelegt hatte, wies der Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Vorstandes des Ibero-Amerika Vereins, Frank K. Westermann, darauf hin, daß Lateinamerika nicht direkt von der Finanzkrise in Asien und Rußland erfaßt werde, da diese Region umfangreiche Strukturreformen durchgeführt habe, die Asien und Rußland noch vor sich hätten. Lateinamerika leide aber unter der Vertrauenskrise in die emerging markets, wie der massive Abzug von Finanzmarktinvestitionen beweise.

    Dagegen halte der Zustrom ausländischer Direktinvestitionen vor allem in den Sektoren Dienstleistungen, Industrie und Bergbau ungebremst an. Dabei spielten die Chancen, die sich aus der Privatisierung ergäben, eine wichtige Rolle. Insgesamt werden 1998 ausländische Investoren rund US $ 70 Mrd. in der Region anlegen. Und dies sei ein Vertrauensbeweis, dem viel mehr Gewicht bei der Einschätzung der derzeitigen Lage und Bonität Lateinamerikas zukomme, als dem erratischen Verhalten der Investoren auf dem Finanzmarkt.

    Westermann räumte ein, daß sich die Exporteinbußen auf den asiatischen Märkten, das Absinken der internationalen Rohstoffpreise als Folge des Nachfragerückgangs in Asien und die verschärfte Konkurrenz durch billigere asiatische Exportprodukte auch auf die Wachstumsaussichten Lateinamerikas negativ auswirkten und daß dies und die Maßnahmen zur Abwehr der Finanzkrise wahrscheinlich zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums der Länder Lateinamerikas auf insgesamt 2 - 3 % führen würden.

    Dr. Eckhardt Wohlers, Leiter der Konjunkturforschung des HWWA, sagte, daß Deutschland, wie das übrige Europa auch, von den Auswirkungen der Krisen in Asien, Lateinamerika und Rußland bisher noch vergleichsweise wenig betroffen sei. Gleichwohl seien auch hier die Risiken erheblich größer geworden. Sorgen bereitet nicht zuletzt, das hohe Maß an Verunsicherung und Volatilität an den Finanzmärkten. Auch in Europa habe sich mit der Ausbreitung der Finanzkrisen und den Kurseinbrüchen an den Aktienmärkten die Gefahr von notleidenden Krediten und "Schieflagen" merklich erhöht. Allerdings erscheint schon aufgrund der günstigeren Risikostruktur die Gefahr von Zusammenbrüchen geringer als etwa in Japan.

    Deutliche Einbrüche seien im Export in die Krisenregionen zu erwarten; dies wird sich auch in der konjunkturellen Entwicklung niederschlagen. Allerdings gingen von den Finanzkrisen über deutlich gesunkene Kapitalmarktzinsen und Rohstoffpreisen auch positive Einflüsse auf die Konjunktur aus. Sofern es nicht zu einer weiteren Zuspitzung in den Krisenregionen und an den Finanzmärkten komme, sei zwar für Deutschland wie auch für Europa insgesamt eine Dämpfung der Konjunktur zu erwarten; ein Abgleiten in eine Rezession sei aber wenig wahrscheinlich.

    Hamburg, den 1.10.98 Tel.: 040 / 35 62 354


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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