Bonner Wissenschaftler untersuchen, welche Gene bei der Epilepsie eine Rolle spielen. Zwei Projekte im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) sind so weit fortgeschritten, dass sie Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Medikamente aufzeigen. Darüber berichtet der Newsletter "Nationales Genomforschungsnetz". Weitere Themen: Genseits von Afrika - Suche nach Genvarianten, die vor Malaria schützen; Von Mäusen und Menschen - Altersschwerhörige Mäuse leiden unter dem gleichen genetischen Defekt wie Menschen; Gen entdeckt! Na und?
"Ich fühle mich dann wie unter einer Glasglocke", sagt die 24jährige Patientin Martina Seidel (Name geändert), die unter einer Schläfenlappenepilepsie leidet. "Das erste Mal, an das ich mich so richtig erinnern kann, war als ich acht war. Wahrscheinlich ging es aber früher los. Ab dem achten Lebensjahr kam es dann regelmäßig vor, dass ich wie in einem Dämmerzustand war und mich komisch verhalten habe." Festgestellt wurde die Krankheit erst als sie 19 war.
Epilepsie ist eines der häufigsten Leiden des Zentralnervensystems. Über 800.000 Menschen sind in Deutschland betroffen. Epileptische Anfälle äußern sich in Zuckungen, Krämpfen oder Stürzen. Dabei kommt es häufig zu schweren Verletzungen. Während der Attacken verändert sich außerdem mehr oder weniger lang andauernd die Gehirnfunktion. Das schränkt die Bewegungs- und Wahrnehmungsfähigkeit, das Sprechvermögen, das Gedächtnis oder das Bewusstsein vorübergehend ein. Die Anfälle unterscheiden sich mitunter erheblich in ihrer Dauer und Häufigkeit sowie darin, wie sehr sie den Patienten beeinträchtigen. Neben genetischen Besonderheiten kann eine Epilepsie durch Hirnverletzungen, Fehlbildungen, Tumoren, Vergiftungen, Stoffwechselstörungen und eine Reihe anderer Faktoren entstehen.
Unter Leitung von Dr. Albert Becker befasst sich ein NGFN-Projekt mit den Schläfenlappenepilepsien. Die Krankheitsform lässt sich auf Störungen im rechten oder linken Schläfenlappen des Gehirns zurückführen. Oft ist eine spezifische Struktur des Gehirns - der Hippokampus - beteiligt.
Beckers Team hat inzwischen mehrere verdächtige Gene gefunden. Einige davon stehen tatsächlich in Zusammenhang mit einer verminderten Hemmung beziehungsweise einer vermehrten Erregbarkeit von Nervenzellen - also mit den Mechanismen, die im Hippokampus die Anfälle auslösen. Eine andere Krankheitsform, die so genannte idiopathische Epilepsie, die etwa 40 Prozent aller Epilepsie-Erkrankungen ausmacht und keinen eindeutigen Entstehungsherd hat, erforscht Dr. Armin Heils. Gemeinsam mit Kollegen in Aachen und Ulm gelang es ihm durch Erbgutanalysen von betroffenen Familien ein Gen zu identifizieren, das in seiner mutierten Form maßgeblich an der Krankheitsentstehung beteiligt ist. Die Forscher wollen auf dieser Basis neuartige Medikamente entwickeln. Darüber hinaus sind bei den Patienten aber auch Gene besonders aktiv, die den Tod von Nervenzellen steuern. Diese Gruppe von Genen eröffnet die Perspektive, Verfahren zu finden, die dem Zelltod entgegenwirken und Reparaturmechanismen der Nervenzellen aktivieren.
Wie die Epilepsie-Forschung zeigt, sind moderne Genomforschung und der Fortschritt in der Medizin eng miteinander verknüpft. Nach wie vor lassen sich nahezu zwei Drittel aller Erkrankungen des Menschen nicht ursächlich behandeln. Kompliziert werden die Krankheiten oft dadurch, dass sie durch mehrere Gene gleichzeitig bedingt sind und in Verbindung mit Umweltfaktoren ausgelöst werden. Die Genomforschung eröffnet hier durch ihren systematischen Ansatz völlig neue Möglichkeiten. Die Experten im NGFN wollen die Gesamtheit der Gene und ihrer Produkte, der Proteine, identifizieren. Sie klären, welche Gene die Herstellung welcher Proteine auslösen, wie diese Proteine zusammenwirken und welche Funktionen ihnen in der Zelle zukommen. So entsteht nach und nach ein "Schaltplan" der komplexen Vorgänge in unserem Körper. Mithilfe dieses "Schaltplans" analysieren die Wissenschaftler, welche Prozesse Krankheiten zugrunde liegen.
In Deutschland haben Wissenschaft und Politik frühzeitig auf die Chancen, die sich durch die Genomforschung bieten, reagiert. Bereits 2001 wurde das Nationale Genomforschungsnetz - NGFN -auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ins Leben gerufen. Es wird zunächst mit 180 Mio. Euro bis Mitte 2004 gefördert. Das NGFN will die Aufklärung der Funktion medizinisch relevanter Gene vorantreiben. Zu diesem Zweck arbeiten ein grundlagenorientierter Kernbereich, der in großem Maßstab systematische Genomforschung betreibt, sowie Plattformtechnologien zu den Themen Proteomforschung, Bioinformatik und genetische Epidemiologie, eng mit den fünf krankheitsorientierten Genomnetzen zusammen: Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infektion und Entzündung, Erkrankungen des Nervensystems sowie umweltbedingte Erkrankungen. Die Ergebnisse bilden die Basis, um Vorbeugung und Therapie der häufigsten Erkrankungen des Menschen zu verbessern.
Mehr unter: www.ngfn.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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