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20.07.2017 10:54

Tauchgang in einen Magneten

Dagmar Baroke Abteilung Kommunikation
Paul Scherrer Institut (PSI)

    Erstmalige 3-D-Darstellung von internen magnetischen Strukturen

    Zum ersten Mal haben Forschende die Richtungen der Magnetisierung in einem dreidimensionalen magnetischen Objekt sichtbar gemacht. Die kleinsten Details in ihrer Visualisierung waren dabei zehntausend Mal kleiner als ein Millimeter. In der sichtbar gemachten magnetischen Struktur stach eine Art von Muster besonders hervor: magnetische Singularitäten namens Bloch-Punkte, die bisher nur in der Theorie bekannt waren.

    Ein Team von Forschenden des Paul Scherrer Instituts PSI, der ETH Zürich und der Universität Glasgow konnte erstmals die magnetische Struktur innerhalb eines kleinen dreidimensionalen Objekts im Nanometerbereich abbilden. Die magnetische Struktur ist die gemeinsame Anordnung der magnetischen Momente; jedes magnetische Moment kann als eine winzige magnetische Kompassnadel gedacht werden. Das mehrere Mikrometer (Tausendstel eines Millimeters) kleine untersuchte Objekt war ein zylinderförmiger Magnet aus Gadolinium-Kobalt – ein Material, das sich ferromagnetisch verhält. Den Forschenden gelang es im Inneren dieses Objekts die feinen magnetischen Muster bis auf das Zehntausendstel eines Millimeters abzubilden, mit anderen Worten: die kleinsten noch sichtbaren Details in der 3-D-Visualisierung waren rund 100 Nanometer klein. Die Bildgebung wurde mit einer hochmodernen Technik erreicht, der Magnettomografie mittels harter Röntgenstrahlung. Diese neue Technik wurde im Rahmen ebendieser Studie am PSI entwickelt.

    „Bislang liessen sich solche winzigen Details der magnetischen Struktur nur in dünnen Filmen oder an den Oberflächen von Objekten abbilden“, erklärt Laura Heyderman, Leiterin der vorliegenden Studie, Forscherin am PSI und Professorin an der ETH Zürich. „Mit unseren jetzigen Bildern dagegen können wir richtiggehend in das magnetische Material eintauchen: Wir sehen und verstehen die dreidimensionale Anordnung der winzigen magnetischen Kompassnadeln.“ Diese kleinen Nadeln reagieren auf einander und sind daher nicht beliebig angeordnet, sondern bilden bestimmte Muster, die das gesamte magnetische Objekt durchziehen.

    Grundlegende magnetische Strukturen und erstmals Bloch-Punkte sichtbar gemacht

    Die Forschenden erkannten schnell, dass das magnetische Muster aus grundlegenden magnetischen Strukturen besteht, die ineinander verschlungen sind: Sie erkannten magnetische Domänen, also Regionen mit gleicher magnetischer Ausrichtung, und Domänenwände, die zwei solcher Domänen voneinander trennen. Die Forschenden beobachteten zudem magnetische Wirbel, deren Form derjenigen eines Tornados gleicht. Zusammengesetzt bildeten all diese Strukturen ein einzigartiges, vielschichtiges Muster. „Diese grundlegenden, bekannten Strukturen zu sehen, wie sie sich zu einem komplexen dreidimensionalen Netzwerk zusammenfügen, war wirklich schön und eindrucksvoll“, sagt Claire Donnelly, Erstautorin der Studie.

    Eine besondere Art Struktur stach dabei heraus und wertete die Forschungsergebnisse zusätzlich auf: ein Paar magnetischer Singularitäten, sogenannte Bloch-Punkte. Bloch-Punkte enthalten einen unendlich kleinen Bereich, in dem die „magnetischen Kompassnadeln“ ihre Richtung schlagartig ändern. Singularitäten verschiedenster Art faszinieren Forschende in allen möglichen Wissenschaftsbereichen; bekannte Beispiele sind die Schwarzen Löcher im Weltall. „Bei den Ferromagneten kann die Magnetisierung üblicherweise als stetig angesehen werden, das heisst, auf der Nanometerskala gibt es keine plötzlichen Änderungen. An diesen Singularitäten dagegen gilt genau das nicht mehr“, sagt Sebastian Gliga von der Universität Glasgow, der derzeit als Gastwissenschaftler am PSI ist. Bloch-Punkte stellen Monopole der Magnetisierung dar und obwohl sie schon vor über 60 Jahren vorhergesagt wurden, konnten sie bis zu dieser Studie nie direkt beobachtet werden.

    Röntgen-Magnettomografie: Eine 3-D-Abbildung mit Auflösung auf der Nanometer-Skala

    Die in dieser Studie angewandte, experimentelle Technik der Röntgen-Magnettomografie basiert auf einem Grundprinzip der Computertomografie (CT). Ähnlich wie bei medizinischen CT-Scans werden viele Röntgenbilder der Probe nacheinander und jeweils aus leicht unterschiedlicher Richtung aufgenommen. Die Messungen dieser Studie wurden an der cSAXS-Strahllinie der Synchrotron-Lichtquelle Schweiz SLS am PSI durchgeführt. Eine hochmoderne Messeinheit zur Röntgen-Nanotomografie des OMNY-Projekts ermöglichte zusammen mit einer kürzlich entwickelten Bildgebungstechnik namens Ptychografie die Experimente. Aus den so gesammelten Daten erstellten die Forschenden mittels Computerberechnungen und einem am PSI entwickelten neuartigen Rekonstruktionsalgorithmus eine 3-D-Landkarte der Magnetisierung.

    Die Forschenden nutzten sogenannte „harte“ Röntgenstrahlen an der SLS des PSI. Im Vergleich zu „weichen“ Röntgenstrahlen haben harte Röntgenstrahlen eine höhere Energie. „Die weiche Röntgenstrahlung mit ihrer niedrigeren Energie wurde schon zuvor sehr erfolgreich eingesetzt, um ähnliche Landkarten der magnetischen Momente zu erzielen“, erklärt Claire Donnelly. „Aber weiche Röntgenstrahlung dringt kaum in solche Proben ein, daher lässt sich mit ihr nur die Magnetisierung eines Dünnfilms oder an der Oberfläche eines Objekts abbilden.“ Um wirklich ins Innere ihres Magneten einzutauchen, wählten die PSI-Forschenden daher harte Röntgenstrahlung. Den Preis der deutlich geringeren Signalstärke, die die harte Röntgenstrahlung mit sich bringt, nahmen sie dabei in Kauf. „Viele Leute haben vorher nicht geglaubt, dass uns diese magnetische 3-D-Bildgebung mit harten Röntgenstrahlen gelingen würde“, erinnert sich Laura Heyderman.

    Massgeschneiderte Magnete für die Zukunft

    Die Forschenden sehen ihre Leistung als Beitrag zu einem tieferen Verständnis der grundlegenden Eigenschaften magnetischer Materialien. Darüber hinaus könnte die neue Methode der Forschenden, mit der sich ins Innere von Magneten blicken lässt, einen weitreichenden Einfluss auf viele der heutigen Technologien haben: Magnete finden sich in Motoren, in der Energieproduktion und in der Datenspeicherung. Womöglich lassen sich dank der nun vorgestellten Methode eines Tages bessere, massgeschneiderte Magnete erschaffen, was wiederum viele alltägliche Anwendungen weiter verbessern würde.

    Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann

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    Über das PSI
    Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 380 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.
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    Kontakt/Ansprechpartner:
    Claire Donnelly
    Labor für Multiskalen Materialien Experimente
    Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
    Telefon: +41 56 310 30 94, E-Mail: claire.donnelly@psi.ch [Englisch]

    Laura Heyderman
    Leiterin des Labors für Multiskalen Materialien Experimente
    Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
    Telefon: +41 56 310 26 13, E-Mail: laura.heyderman@psi.ch [Deutsch, Englisch, Französisch]

    Originalveröffentlichung:
    Three-dimensional magnetization structures revealed with X-ray vector nanotomography
    Claire Donnelly, Manuel Guizar-Sicairos, Valerio Scagnoli, Sebastian Gliga, Mirko Holler, Jörg Raabe, Laura J. Heyderman
    Nature 20. Juli 2017
    DOI: 10.1038/nature23006


    Weitere Informationen:

    http://psi.ch/qG2P – Darstellung der Mitteilung auf der Webseite des PSI
    https://issuu.com/paul-scherrer-institute/docs/5232_psi_magazin_02_2017/14 – Präzisionsgerät: Das OMNY-Instrument (29. Mai 2017)
    http://psi.ch/6abJ – 3-D-Röntgenbild macht feinste Details eines Computerchips sichtbar (16. März 2017)
    http://psi.ch/KA1k – 3-D-Nanostruktur eines Knochens (19. November 2015)
    http://psi.ch/cgBc – Nanometer in 3-D (20. März 2015)
    http://psi.ch/MSmG – 16 Nanometer in 3D (11. Juni 2014)


    Bilder

    Laura Heyderman, Claire Donnelly und Sebastian Gliga sind Teil des Forschungsteams, dem es erstmals gelungen ist, die interne magnetische Struktur eines dreidimensionalen Objekts sichtbar zu machen.
    Laura Heyderman, Claire Donnelly und Sebastian Gliga sind Teil des Forschungsteams, dem es erstmals ...
    Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer
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    Ein virtueller senkrechter Schnitt durch die Probe offenbart ihre innere magnetische Struktur.
    Ein virtueller senkrechter Schnitt durch die Probe offenbart ihre innere magnetische Struktur.
    Grafik: Paul Scherrer Institut/Claire Donnelly
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    Anhang
    attachment icon Darstellung eines Bloch-Punktes, den die Wissenschaftler in ihren Daten entdeckten.

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Energie, Physik / Astronomie, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Laura Heyderman, Claire Donnelly und Sebastian Gliga sind Teil des Forschungsteams, dem es erstmals gelungen ist, die interne magnetische Struktur eines dreidimensionalen Objekts sichtbar zu machen.


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    Ein virtueller senkrechter Schnitt durch die Probe offenbart ihre innere magnetische Struktur.


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