Forscher der Universität Jena beschreiben in "Nature" (21.08.) die Wirren um den Literatur-Nobelpreis 1908
Jena (21.08.03) Alles war für die große Feier vorbereitet. Die ersten Glückwunschtelegramme hatten ihn am 10. Dezember 1908 erreicht, italienische und französische Zeitungen bereits gemeldet: Der Nobelpreis für Literatur wird an Ernst Haeckel (1834-1919) verliehen. Doch dies sollte sich als Falschmeldung herausstellen. Der Literatur-Nobelpreis des Jahres 1908 ging zwar nach Jena, aber Empfänger war Rudolf Eucken (1846-1926), Philosophie-Professor an der Universität. Die Wirren um diese Nobelpreisvergabe hat jetzt ein Forscherteam der Friedrich-Schiller-Universität Jena aufbereitet. Das wissenschaftliche Ergebnis fand höchste Anerkennung und ist seit heute (21.08.) in der renommierten internationalen Fachzeitschrift "Nature" nachzulesen (Vol. 424, S. 876).
"Für Haeckel wäre der Nobelpreis nach der Verleihung von vier Ehrendoktorwürden und dem Erhalt zahlreicher wissenschaftlicher Auszeichnungen die Krönung seines Schaffens gewesen", sagt Dr. Uwe Hoßfeld. Der Wissenschaftshistoriker aus dem Ernst-Haeckel-Haus der Jenaer Universität hat gemeinsam mit seiner Kollegin Rosemarie Nöthlich und Prof. Dr. Lennart Olsson vom Jenaer Uni-Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie mit Phyletischem Museum viele Briefwechsel akribisch durchforstet und in zahlreichen Archiven nach weiteren Dokumenten geforscht. Wichtige Unterlagen fanden Hoßfeld und Olsson vor kurzem bei einem Forschungsaufenthalt in Schweden, den ihnen ein Stipendium der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften ermöglichte.
"Aus all unseren Dokumenten wird deutlich, wie sehr Haeckel die Vergabe des Preises an Eucken enttäuscht hat", berichtet Olsson von einem Brief Haeckels, in dem es heißt: "Wie mein principieller Antipode Eucken dazu kommen sollte, ist den hiesigen Kollegen rätselhaft!" Und später: Eucken "ist ein guter Redner und frommer Kantianer..., hat auch ,schöne Bücher' über ,höhere Ziele' etc geschrieben, aber nicht eine einzige originale Arbeit von Wert geleistet", kritisiert Haeckel. Der berühmte Evolutionsbiologe glaubt übergangen worden zu sein, weil "ich als Vertreter des niederen ,Materialismus' und der einseitigen ,Naturwissenschaft' verworfen wurde". Eucken hingegen sei auserkoren worden "als Vertreter des höheren ,Idealismus' und der reinen ,Geisteswissenschaft'".
"Diese Legende, die sich bis heute gehalten hat, da Haeckel selber ein begnadeter Propagandist in eigener Sache war, entbehrt jeder Grundlage", unterstreicht Hoßfeld. Die Jenaer Forscher fanden heraus, dass von Haeckel als potenziellem Kandidaten niemals die Rede war. Aber auch Eucken war zunächst nicht erste Wahl des Nobelpreiskomitees. Für die Nominierung im Jahr 1908 lagen ihm letztlich 16 Vorschläge vor. Die Meinung schwankte zwischen Selma Lagerlöf und Algernon Charles Swinburne. Da keines der beiden Unterstützerlager sich durchsetzen konnte, wurde nach einem Ausweg gesucht. Den fand man in Rudolf Eucken, der vom Göteborger Philosophen Vitalis Norström vorgeschlagen worden war. "Rudolf Eucken erwies sich letztlich als eine Kompromisslösung", bestätigt Prof. Olsson, "war er doch kein Literat, aber wenigstens wie testamentarisch von Alfred Nobel verfügt, ein publizistisch umtriebiger Idealist".
Die "Jenaische Zeitung" erwähnt die Ehrung am 11. November 1908 nur mit einer Kurznotiz und am folgenden Tag mit einem etwas umfassenderen Artikel. Erst die Studenten der Jenaer Universität bringen zwei Monate später mit einem Fackelzug die Bedeutung dieser Auszeichnung ins Bewusstsein der Bevölkerung. Zu diesem Umzug erhielt auch Haeckel von Eucken eine Einladung. "Ob Haeckel diese Einladung angenommen hat", bedauert Hoßfeld, "konnte nicht recherchiert werden".
Kontakt:
Dr. Uwe Hoßfeld
Ernst-Haeckel-Haus - Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft u. Technik der Uni Jena
Berggasse 7
07745 Jena
Tel.: 03641 / 949505
Fax: 03641 / 949502
E-Mail: b7houw@nds.rz.uni-jena.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Geschichte / Archäologie, Informationstechnik, Philosophie / Ethik, Religion, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).