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20.09.2017 16:02

„Gehirngesunde“ Ernährung: wie Essen vor Demenz schützen kann

Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Altersforscher haben Nahrungsinhaltsstoffe identifiziert, die Selbstreinigungsprozesse in den Gehirnzellen ankurbeln und vor neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer- oder der Parkinson-Krankheit schützen könnten. „Bisherige Daten lassen vermuten, dass sogenannte Polyamine, insbesondere das Spermidin, sich positiv auf die Gehirnfunktion und geistige Fähigkeiten auswirken“, berichtet Professor Agnes Flöel von der Neurologischen Universitätsklinik Greifswald. Aktuell untersucht eine Studie an der Charité in Berlin unter der Leitung von Professor Flöel den Einfluss des Wirkstoffs aus Weizenkeimen auf Lernfähigkeit und Gedächtnis.

    Über potenzielle Wirkungen von Nährstoffen und „Smart Drugs“ auf die geistige Fitness wird viel berichtet – und viel spekuliert. Die Demenzforscherin erklärte heute, zum Auftakt des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Leipzig, was die moderne neurologische Forschung über den Einfluss des Essens auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns weiß. Morgen, am 21. September, ist Welt-Alzheimertag.

    Mit der Berliner „SmartAge“-Studie untersuchen die Forscher die Wirkung einer zwölfmonatigen Gabe von natürlichem Spermidin aus Weizenkeimen auf Lernen und Gedächtnis sowie auf die Struktur des Gehirns. An der Studie nehmen ältere, noch gesunde Menschen teil, deren Gedächtnis sich nach eigener Einschätzung verschlechtert hat. Noch werden Studienteilnehmer gesucht (siehe ganz unten).
    „Man weiß aus anderen Studien, dass Menschen mit subjektiv empfundener Gedächtnis-verschlechterung, die sich Sorgen wegen einer Demenz machen, tatsächlich ein erhöhtes Risiko für eine Alzheimer-Krankheit aufweisen“, erklärt Professor Flöel, Direktorin der Universitätsklinik für Neurologie in Greifswald. Die Neurologin erforscht, wie sich Demenz und kognitive Einschränkungen durch den Lebensstil beeinflussen lassen. Vor Kurzem wechselte sie von der Charité in Berlin nach Greifswald, leitet aber nach wie vor die Berliner Studie. Lifestyle-Studien liegen im Trend, denn vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft rückt die Gesunderhaltung des Gehirns immer mehr in den Fokus der Wissenschaft. Epidemiologen erwarten weltweit eine Verdopplung bis Vervierfachung der Zahl der Demenzerkrankungen bis 2050, und die bisherigen Bemühungen um kausale Therapien bei bereits ausgebrochener Alzheimer-Demenz waren, trotz weltweiter Forschung und milliardenschwerer Investitionen, nicht erfolgreich. Die Suche nach Präventionsstrategien hat deshalb hohe medizinische, gesundheitspolitische und wirtschaftliche Relevanz.

    Spermidin reduziert Zell-Schrott

    Großes Potenzial, geistigem Abbau vorzubeugen, schreiben Neurowissenschaftler aktuell Spermidin zu. Spermidin ist ein körpereigenes Produkt des Zellstoffwechsels und spielt eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung von Zellprozessen. Externe Spermidinzufuhr über die Nahrung verlängert die Lebensspanne von sogenannten Modell-Organismen wie Hefen, Würmern und Fruchtfliegen und stoppt den altersbedingten Erinnerungsverlust bei Fruchtfliegen – ein Effekt, den Forscher auf die Zunahme von sogenannten Autophagie-Prozessen zurückführen. Mit diesem Selbstreinigungsprozess verdaut und vernichtet die Zelle ihren Schrott, zum Beispiel krankheitserregende Eiweiß-Ablagerungen. Für die Erforschung der Mechanismen der Autophagie wurde 2016 der Nobelpreis für Physiologie verliehen. Diese Eiweiß-Ablagerungen liegen fast allen neurodegenerativen Erkrankungen zugrunde, auch der Alzheimer- oder der Parkinson-Krankheit. Eine Ankurbelung dieses Selbstreinigungsprozesses könnte somit diesen Erkrankungen vorbeugen.

    Wirkstoff aus Weizenkeimen

    Spermidin in der Nahrung scheint auch dem menschlichen Gehirn gutzutun. „Wir haben in einer eigenen kleinen Studie, die ebenso wie die jetzt laufende größere Studie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, die Wirkung von natürlichem Spermidin, das aus Weizenkeimen gewonnen und in Kapseln verpackt worden war, auf Lernen und Gedächtnis untersucht“, erklärt Professor Flöel. „Wir konnten zeigen, dass sich Gedächtnisleistungen bereits nach dreimonatiger Einnahme tendenziell verbessern, bei sehr guter Verträglichkeit der Kapseln.“

    Wissenschaftler zählen Spermidin zu den sogenannten Kalorienreduktions-Mimetika. „Kalorienreduktions-Mimetika sind Substanzen, die Effekte des Fastens nachahmen. Der Körper produziert sie beim Abnehmen, man kann sie aber auch mit der Nahrung aufnehmen“, erklärt Flöel. Weltweit wurde bereits eine Reihe von Mimetika untersucht: zum Beispiel Resveratrol, das aus Trauben gewonnen werden kann und daher u. a. im Rotwein zu finden ist, oder der sogenannte Grüntee-Extrakt, mit Fachnamen als Epigallocatechingallat bezeichnet. „Für Resveratrol konnten wir positive Effekte auf die Gedächtnisleistung nachweisen, andere Gruppen fanden Auswirkungen auf die Durchblutung des Gehirns“, sagt Professor Flöel.

    Gesund essen und gelegentlich fasten

    Kommt also bald die Super-Pille fürs Gehirn? „Nahrungsergänzungsmittel können nie eine ausgewogene Ernährung ersetzen“, betont die Professorin. Grundsätzlich sei es günstig, viel Obst, Gemüse und ungesättigte Fettsäuren zu sich zu nehmen und beim Zucker zu sparen. „Außerdem spielt es eine Rolle, wie viel man isst“, ergänzt Flöel. „In Studien führte eine Kalorienrestriktion, vor allem der Reiz des Fastens, zu besseren Gedächtnisleistungen.“

    Um Demenzerkrankungen vorzubeugen, empfiehlt die S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht im Auge zu behalten und diesen Risikofaktoren frühzeitig medizinisch entgegenzuwirken. Außerdem scheinen ein aktives soziales Leben, körperliche Bewegung und ein aktiver und gesunder Lebensstil das Risiko einer Erkrankung zu mindern.

    Patienten gesucht

    Für die „SmartAge“-Studie, die derzeit an der Charité in Berlin unter der Leitung von Professor Agnes Flöel durchgeführt wird, werden noch weitere Studienteilnehmer im Alter zwischen 60 und 90 Jahren gesucht, die nach eigener Einschätzung an einer Gedächtnisverschlechterung leiden und sich diesbezüglich Sorgen machen. Interessenten können sich gerne per E-Mail unter smartage@charite.de oder unter der Telefonnummer (0)30 450660395 melden.

    Literatur:

    Jessen, F., Wolfsgruber, S., Wiese, B., Bickel, H., Mosch, E., Kaduszkiewicz, H., Pentzek, M., Riedel-Heller, S.G., Luck, T., Fuchs, A., Weyerer, S., Werle, J., van den Bussche, H., Scherer, M., Maier, W., Wagner, M. German Study on Aging, C., Dementia in Primary Care, P. 2014. AD dementia risk in late MCI, in early MCI, and in subjective memory impairment. Alzheimers Dement 10(1),
    76–83. doi:10.1016/j.jalz.2012.09.017.

    Bhukel, A., Madeo, F., Sigrist S.J. Spermidine boosts autophagy to protect from synapse aging. Autophagy. 2017 Feb;13(2):444–445. doi: 10.1080/15548627.2016.1265193.

    Gupta, V.K., Scheunemann, L., Eisenberg, T., Mertel, S., Bhukel, A., Koemans, T.S., Kramer, J.M., Liu, K.S., Schroeder, S., Stunnenberg, H.G., Sinner, F., Magnes, C., Pieber, T.R., Dipt, S., Fiala, A., Schenck, A., Schwaerzel, M., Madeo, F., Sigrist, S.J. 2013. Restoring polyamines protects from age-induced memory impairment in an autophagy-dependent manner. Nature neuroscience 16(10), 1453–60. doi:10.1038/nn.3512.

    Wirth M., Schwarz C., Benson G., Köbe T., Stekovic S., Madeo F., Flöel A. High-dose spermidine supplementation to improve episodic memory in individuals with subjective cognitive decline: proof-of-concept study. 1st International Conference on Cognitive Reserve in the Dementias (ResDem) in Munich on 24–25 November 2017.

    Witte, A.V., Kerti L., Margulies D.S., Flöel A. Effects of resveratrol on memory performance, hippocampal functional connectivity, and glucose metabolism in healthy older adults. J Neurosci. 2014 Jun 4;34(23):7862–70. doi:10.1523/JNEUROSCI.0385-14.2014.

    Prehn K., Jumpertz von Schwartzenberg R., Mai K., Zeitz U., Witte AV., Hampel D., Szela AM., Fabian S., Grittner U., Spranger J., Flöel A. Caloric Restriction in Older Adults-Differential Effects of Weight Loss and Reduced Weight on Brain Structure and Function. Cereb Cortex. 2017 Mar 1;27(3):1765–1778. doi:10.1093/cercor/bhw008.

    Witte AV., Fobker M., Gellner R., Knecht S., Flöel A. Caloric restriction improves memory in elderly humans. Proc Natl Acad Sci U S A. 2009 Jan 27;106(4):1255–60. doi:10.1073/pnas.0808587106. Epub 2009 Jan 26.

    Fachlicher Kontakt bei Rückfragen
    Prof. Dr. med. Agnes Flöel
    Direktorin der Klinik und Poliklinik für Neurologie
    Universitätsmedizin Greifswald
    Ferdinand-Sauerbruch-Straße, 17475 Greifswald
    Tel: +49 (0)3834 866815, Fax: +49 (0)3834 8668754
    E-Mail: agnes.floeel@uni-greifswald.de

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o albertZWEI media GmbH, Oettingenstraße 25, 80538 München
    Tel.: +49 (0)89 46148622, Fax: +49 (0)89 46148625, E-Mail: presse@dgn.org
    Pressesprecher der DGN: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 8000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Gereon R. Fink
    Stellvertretende Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
    Past-Präsident: Prof. Dr. med. Ralf Gold
    Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Weitere Informationen:

    https://www.dgn.org/presse/pressemitteilungen/55-pressemitteilung-2017/3462-gehi...


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    Professor Agnes Flöel von der Neurologischen Universitätsklinik Greifswald berichtet vor dem Welt-Alzheimertag über den Einfluss der Ernährung auf das Gehirn
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    DGN/Hauss
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

    Professor Agnes Flöel von der Neurologischen Universitätsklinik Greifswald berichtet vor dem Welt-Alzheimertag über den Einfluss der Ernährung auf das Gehirn


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