idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
27.09.2017 13:59

Cannabis ist kein Allheilmittel in der Schmerztherapie

Thomas Isenberg Bundesgeschäftsstelle
Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.

    Seit März 2017 stehen Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen durch eine Gesetzesänderung nun auch cannabisbasierte Arzneimittel zur Schmerzlinderung zur Verfügung. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V. (DMKG) weisen darauf hin, dass lediglich bei einem Bruchteil der Erkrankungen mit chronischen Schmerzen erwiesen ist, dass cannabisbasierte Arzneimittel helfen. Von einer Eigentherapie mit Cannabisblüten raten Experten ausdrücklich ab, da die Dosierungen ungenau seien und es zu unerwünschten, gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen kommen könne.

    Auf der Pressekonferenz am 12. Oktober 2017 in Mannheim anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses (11. bis 14. Oktober 2017) erläutern Experten, für welche Patientengruppe cannabisbasierte Arzneimittel sinnvoll sind und was beim Umgang mit Cannabisprodukten in der Schmerzmedizin zu beachten ist.

    „Es besteht keine ausreichende Evidenz, dass cannabisbasierte Arzneimittel in der Therapie bei Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen oder bei Appetitlosigkeit bei Krebs und AIDS wirksam sind“, erklärt Professor Dr. med. Winfried Häuser, Kongresspräsident und Ärztlicher Leiter des Schwerpunktes Psychosomatik der Klinik Innere Medizin I des Klinikums Saarbrücken. Häuser wertete zusammen mit Kollegen aus insgesamt 750 identifizierten Studien elf systematische Übersichten zu diesem Thema aus, die zwischen Januar 2009 bis Januar 2017 erschienen sind. Die Forscher kommen in der aktuell im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Arbeit (https://www.aerzteblatt.de/archiv/193428) zu dem Ergebnis, dass keine ausreichende Evidenz für cannabisbasierte Arzneimittel (Dronabinol, Nabilon, Medizinalhanf, THC/CBD-Spray) bei Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen besteht. Auch positive Effekte bei Appetitlosigkeit, unter der Krebspatienten und Menschen mit AIDS häufig leiden, sind nach der wissenschaftlichen Auswertung nicht erwiesen. „Eine ausreichende Quantität der Evidenz besteht nur beim neuropathischen Schmerz“, ergänzt Häuser.

    „Cannabis als Schmerzmittel ist seit der Gesetzesänderung im März en vogue. Die intensive Medienberichterstattung hat dazu geführt, dass zum Teil auch Kopfschmerzpatienten eine Verordnung vehement einfordern“, berichtet PD Dr. med. Stefanie Förderreuther, Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e. V.. „Doch leider ist die Studienlage auch in diesem Bereich noch zu dürftig, als dass wir eine reguläre Behandlung mit Cannabinoiden empfehlen würden. Wir brauchen Studien, die beweisen, dass eines oder verschiedene Cannabinoide in der Behandlung von definierten Kopfschmerzsyndromen nicht nur wirksam, sondern vor allem auch sicher sind. Anders als bei allen zur Kopfschmerzbehandlung zugelassenen Substanzen fehlen entsprechende Daten.“ Die Oberärztin der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München warnt daher insbesondere vor der übereilten Verordnung von Cannabis bei Kopfschmerzen und Migräne.

    Die weibliche Hanfpflanze Cannabis sativa enthält etwa 500 verschiedene Komponenten, davon circa 100 Cannabinoide. Zwar ist die medizinische Wirksamkeit bei Schmerzlinderung und Entzündungen von zwei Cannabinoiden, nämlich Tetrahydrocannbinol (THC) und Cannabidiol (CBD), in Einzelfällen und durch einige klinische Studien erwiesen. Doch die Wirkeffekte auf den menschlichen Körper sind noch weitgehend unerforscht. „Es müssen zunächst für jedes Krankheitsbild methodisch gut gemachte randomisierte plazebokontrollierte Studien vorliegen, die den gewünschten Effekt einer Schmerzlinderung belegen und die Art, Schwere und Häufigkeit von Nebenwirkungen wie zum Beispiel Verwirrtheit oder Psychosen erfassen“, betont Förderreuther. „Es ist darüber hinaus sehr wichtig, verschiedene Formen von cannabishaltiger Medizin zu unterscheiden“, erläutert Häuser. Derzeit sind 14 Sorten Cannabisblüten auf Rezept erhältlich – so genannter Medizinalhanf. Die Konzentration des darin enthaltenen Tetrahydrocannabinols (THC) liegt zwischen 1 und 22 Prozent, die des Cannabidiols (CBD) zwischen 0,05 und 9 Prozent. „Erschwerend hinzu kommt, dass uns Dosierungsangaben für einzelne Indikationen fehlen“, mahnt Häuser. Des Weiteren stehen aus diesen Blüten gewonnene Extrakte mit definierten Konzentrationen an THC sowie synthetisch hergestellte THC-Analoga zur Verfügung.

    Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. begrüßt dennoch die Gesetzesänderung des Bundestags. Sie hebt nun die bisherige Barriere bei der Kostenerstattung von cannabishaltigen Rezeptur- und Fertigarzneimitteln auf. „Wichtig ist allerdings, dass Cannabinoide nicht als isoliertes Therapieverfahren, sondern in Kombination mit physiotherapeutischen und schmerzpsychotherapeutischen Verfahren genutzt werden“, fordern Häuser und Förderreuther. Jede Form einer Eigentherapie lehnen die Experte wegen unüberschaubaren Nebenwirkungen durch drohende Dosis-Schwankungen ab.

    Auf einer Pressekonferenz am 12. Oktober anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses 2017 in Mannheim erklären Schmerzmediziner die Vor- und Nachteile einer Cannabis-Therapie und welche Patienten davon profitieren.

    Programm der Pressekonferenz: http://schmerzkongress2017.de/pressekonferenz/
    Kongressprogramm: http://schmerzkongress2017.de/programm/kongressprogramm/

    Literatur:
    Häuser W, Fitzcharles M-A, Radbruch L, Petzke F: Cannabinoide in der Schmerz- und Palliativmedizin. Eine Übersicht systematischer Reviews und prospektiver Beobachtungsstudien. Dtsch Arztebl Int 2017; 114(38): 627-34; DOI: 10.3238/arztebl.2017.0627. Originalarbeit: https://www.aerzteblatt.de/archiv/193428/Cannabinoide-in-der-Schmerz-und-Palliat....

    Statement der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e. V. zu Cannabis in der Therapie von Kopfschmerzerkrankungen. Pressemappe zum Deutschen Schmerzkongress 2017.

    Terminhinweise:
    Pressekonferenz
    zum Deutschen Schmerzkongress (11. bis 14. Oktober 2017)
    der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V.
    Termin: Donnerstag, 12. Oktober 2017, 12:30 bis 13:30 Uhr
    Ort: Congress Center Rosengarten Mannheim, Raum „Christian Cannabich“
    Anschrift: Rosengartenplatz 2, 68161 Mannheim

    SS01 - Apotheker- und Ärzteforum: Sonder-Sitzung Cannabis
    Termin: Donnerstag, 12. Oktober 2017, 14:00 bis 17:00 Uhr
    Kooperation der Deutschen Schmerzgesellschaft und der DMKG mit der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg: Apotheker-Symposium
    Vorsitz: S. Laubscher (Heidelberg, DE)
    Ort: Congress Center Rosengarten Mannheim, Raum „Ignaz Holzbauer 1“

    SY24 - BVSD-Symposium: „Cannabis als Medizin – Der lange Weg zur Therapiefreiheit“
    Termin: Freitag, 13. Oktober 2017, 15:30 bis 17:00 Uhr
    Vorsitz: A. Kloepfer (Berlin, DE) und A. Kiefer (Koblenz, DE)
    Ort: Dorint Hotel, Raum „Hörsaal Dorint“
    Anschrift: Friedrichsring 6, 68161 Mannheim

    Zum Deutschen Schmerzkongress:
    Der jährlich stattfindende Deutsche Schmerzkongress reflektiert die enorme Bedeutung des Symptoms Schmerz in sämtlichen Bereichen der Medizin und das stetige Bemühen der Schmerzexperten, den Schmerz wirksam(er) zu bekämpfen. Das Motto für den Kongress 2017 GEMEINSAM ENTSCHEIDEN macht das Thema „partizipatives Entscheiden“ zu einem der Hauptthemen des Kongresses und fragt danach, wie Kommunikation zwischen Arzt und Patient auf Augenhöhe in der Schmerzmedizin verwirklicht werden kann.
    Mit etwa 40 wissenschaftlichen Symposien, darunter Pflegesymposien und Dutzende Kurse und Seminare, deckt der Schmerzkongress das gesamte Themenspektrum der Schmerzdiagnostik und -therapie ab. Rund 2000 Teilnehmer – Mediziner verschiedener Fachgebiete, Psychologen, Pflegende, Physiotherapeuten, Apotheker und andere – werden erwartet.

    Bei Veröffentlichung Beleg erbeten.

    ****************************

    Kontakt für Journalisten:
    Kongress-Pressestelle
    Deutscher Schmerzkongress 2017
    Dagmar Arnold, Janina Wetzstein
    Postfach 30 11 20
    70451 Stuttgart
    Telefon: 0711 8931-380, -457
    Telefax: 0711 8931-167
    E-Mail: arnold@medizinkommunikation.org, wetzstein@medizinkommunikation.org
    http://schmerzkongress2017.de/

    sowie

    Thomas Isenberg
    -Geschäftsführer-
    Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.
    Bundesgeschäftsstelle
    Alt-Moabit 101 b, 10559 Berlin
    Telefon: 030 39409689-0
    Telefax: 030 39409689-9
    Mobil: 0171 7831155
    E-Mail: isenberg@dgss.org
    Internet: http://www.dgss.org


    Weitere Informationen:

    http://schmerzkongress2017.de/
    http://www.dgss.org


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).