Ein Forscherteam der Universitäten Dortmund und Marburg hat untersucht, wie sich die Beschulungsdauer auf Leistungen in Intelligenztests auswirkt. In zwei Studien verglichen sie die Intelligenztestwerte von G8- und G9-beschulten Jugendlichen im Alter von 15 und 16 Jahren. G9-Schüler schnitten in beiden Studien in fast allen Bereichen besser ab als G8-Schüler. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden in der Oktober-Ausgabe der Fachzeitschrift „Cognitive Development“ veröffentlicht.
G8 oder G9 – welche Schulform auf dem Weg zum Abitur ist die bessere? Die öffentliche Debatte ist geprägt von starken Meinungen und hitzigen Diskussionen. Was sagt die Wissenschaft? Einige Studien zeigen, dass sich jedes zusätzliche Jahr Beschulung positiv auf das Abschneiden in Intelligenztests auswirkt. Kritiker stellen allerdings infrage, dass diesem Effekt eine „echte“ Intelligenzsteigerung durch Beschulung zugrunde liegt. Sie gehen davon aus, dass die Vermittlung spezifischer Fähigkeiten, die an formale Lehrpläne gebunden sind – Lesefähigkeit, Rechenflüssigkeit oder Faktenwissen – die Bearbeitung von Intelligenztests erleichtern. „Wir haben diese beiden Aussagen direkt einander gegenübergestellt und geprüft“ sagt Ricarda Steinmayr, Professorin für Pädagogische Psychologie an der TU Dortmund und Initiatorin der Studien. „Unsere Ergebnisse sind ein erster Hinweis darauf, dass der Einfluss von Beschulung auf die Intelligenztestwerte vorrangig auf eine ‚echte‘ Steigerung der Intelligenz zurückgeht und weniger auf eine Förderung spezifischer, lehrplangebundener Fähigkeiten.“
Die Studien: Intelligenztests nach dem Übergang in die gymnasiale Oberstufe bei G8- und G9- Schülern
In zwei Untersuchungen verglichen die Forscher die Intelligenztestwerte von G8- und G9-Schülern an Gymnasien in Nordrhein-Westfalen. Die Schüler wurden kurz nach dem Übergang in die Oberstufe untersucht. Die G8-Schüler befanden sich somit in der zehnten, die G9-Schüler in der elften Jahrgangsstufe.
Die Datenerhebung für Studie 1 fand im Herbst 2010 statt. An der Studie nahmen 81 G8-Schüler und 80 G9-Schüler teil. Während der regulären Unterrichtszeit bearbeiteten sie den Berliner Intelligenzstrukturtest. Die Datenerhebung für Studie 2 fand für die G9-Schüler in den Jahren 2007 und 2008, für die G8-Schüler im Herbst 2012 und 2013 statt. In dieser Untersuchung bearbeiteten insgesamt 244 G8-Schüler und 204 G9-Schüler einer Schule den revidierten Intelligenz-Struktur-Test 2000 R. In beiden Arbeiten erfassten die Forscher zusätzlich Informationen zu den Notendurchschnitten des letzten Zeugnisses aller Schüler sowie zu ihrem Geschlecht, Alter und dem höchsten Bildungsgrad ihrer Eltern.
G9-Schüler erzielen bessere Leistungen im IQ-Test
In beiden Studien zeigte sich, dass die G9-Schüler in fast allen Intelligenzbereichen besser abschnitten als die G8-Schüler. Die Unterschiede zeigten sich auch dann, wenn die Forscher den Alterseffekt statistisch herausrechneten. „Zudem ist bei Jugendlichen der reine Alterseffekt auf die Intelligenzentwicklung marginal. Die Unterschiede können also nicht vollständig durch das jüngere Alter der G8-Schüler erklärt werden“, erläutert Linda Wirthwein, akademische Rätin an der TU Dortmund.
Laut den Autoren weisen die Ergebnisse darauf hin, dass die Dauer der Beschulung mit einer Steigerung intelligenznaher Fähigkeiten – also einer „echten“ Steigerung der Intelligenz – einhergeht. Wie genau die längere Beschulung Fähigkeiten wie logisches Schlussfolgern oder das Kurzzeitgedächtnis fördert, lässt sich aus den Daten selbst nicht schlussfolgern – es gibt jedoch Vermutungen darüber. Demnach begegnen Schüler im Laufe ihrer Schulzeit vielen kognitiven Herausforderungen sowie verschiedenen Lehrern und müssen sich einer Reihe von Anpassungsprozessen stellen. „In diesen Prozessen findet das Denken immer stärker losgelöst von den eigentlichen Aufgaben statt. Im Laufe der Jahre wird abstrakteres Denken immer mehr unterstützt und eingeübt“, erklärt Sebastian Bergold, Juniorprofessor für Kinder- und Jugendpsychologie an der TU Dortmund und Erstautor der Studie. „Ein Jahr mehr Beschulung kann diesen Prozessen folglich auch mehr Raum geben.“
Erster Hinweis – weitere Studien notwendig
„Unsere Studie kann als ein erster Hinweis darauf verstanden werden, dass eine längere Beschulung unabhängig vom Curriculum die Intelligenz fördert“, fasst Ricarda Steinmayr die Ergebnisse beider Arbeiten zusammen. „Wir haben allerdings lediglich Stichproben aus zwei nicht repräsentativ ausgewählten Schulen untersucht. Deshalb sind weitere, vor allem größer angelegte Studien notwendig, um diesen Befund abzusichern.“
Detlef Rost, Professor em. für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der Universität Marburg und Gastprofessor an der Faculty of Psychology der Universität Südwestchinas in Chongqing, ergänzt: „Es wäre wünschenswert, wenn im Zuge grundlegender Veränderungen im Bildungswesen von Beginn an Begleitforschung initiiert würde. Systematische empirische Forschung wie die hier vorliegende Studie kann dabei zu einer Versachlichung der Debatte beitragen.“
Originalpublikation:
Bergold, S., Wirthwein, L., Rost, D. H. & Steinmayr, R. (2017). What happens if the same curriculum is taught in five instead of six years? A quasi-experimental investigation of the effect of schooling on intelligence. Cognitive Development, 44, 98–109.
Abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1016/j.cogdev.2017.08.012
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Institut für Psychologie
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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