Professor Dr. Stephan Dorschner berufen für Theorie und Praxis der Pflege im Fachbereich Sozialwesen an der Fachhochschule Jena äußert sich zu den von der "Rürup-Kommission" vorgelegten Vorschlägen zur Reform des Sozialstaates.
Die gestern vorgelegten Vorschläge zur Reform des Sozialstaates der Kommission zur nachhaltigen finanziellen Stabilisierung der Sozialen Sicherungssysteme ("Rürup-Kommission") sowie die Vorschläge zur Gesundheitsreform von Regierungs-Koalition und Opposition gehen vor allem zu Lasten von kranken, alten, pflegebedürftigen und behinderten Menschen. Wesentlicher Kritikpunkt: In der Rürup-Kommission sucht man sowohl einen Vertreter der Pflegepraxis als auch der Pflegewissenschaft vergeblich. Grundsätzlich ist der zu geringe Einbezug der mündigen Bürgerinnen und Bürger in den derzeitigen Diskussionsprozess zu kritisieren, die zahllosen täglichen Verlautbarungen haben eher zur Verwirrung als zur umfassenden Information und Problemlösung beigetragen.
Beispiel Pflegeversicherung:
Laut statistischem Bundesamt (Pflegestatistik 2001, veröffentlicht im Juni 2003) sind derzeit mehr als 2 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI), die tatsächliche Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland dürfte jedoch deutlich höher liegen, da es sich bei der Pflegeversicherung nur um eine Teildeckung des Risikos Pflegebedürftigkeit handelt. Davon werden mehr als zwei Drittel zu Hause versorgt. Da ca. 1 Million Menschen ausschließlich Pflegegeld erhalten, ist davon auszugehen, dass sie in der Regel zu Haus allein von Angehörigen gepflegt werden. Folgt man z.B. dem Kommissionsvorschlag der einheitlichen Festsetzung der ambulanten und stationären Leistungspauschalen auf 400 Euro bei Pflegestufe I, wird im Ergebnis statt einer Stärkung des ambulanten Bereiches eine Entwicklung hin zur "Zweiklassenpflege" zu verzeichnen sein: es bleiben diejenigen, die sich einen Heimplatz leisten können und diejenigen, die dies nicht mehr können... Die bereits ins pathologische überzogene Forderung nach Mobilität in unserer Gesellschaft wirft die Frage auf, wer dann eigentlich diejenigen Menschen in der Pflegestufe I, die sich einen Heimplatz nicht mehr leisten können, noch zu Hause pflegt?!
Bei allen Reformdiskussionen und Sparvorschlägen muss sich unsere Gesellschaft deshalb fragen, was ihr zukünftig gute Pflege tatsächlich wert ist. Hochwertige Pflege braucht hochqualifizierte Pflegefachkräfte. Hohe Pflegequalität ist nicht zum "Null-Tarif" zu erhalten, aber wie soll man unter diesen Rahmenbedingungen junge Menschen für einen Pflegeberuf begeistern? Gleichzeitig bedarf es dringend einer Aufwertung des gesellschaftlichen Ansehen von privater Pflegearbeit, die millionenfach tagtäglich durch Angehörige in den Familien geleistet wird.
Der Thüringer Pflegetag 2003 unter dem Thema "selbstbestimmt - selbstverwirklicht - selbstgepflegt" am 4. und 5. September in Jena, eine gemeinsame Veranstaltung des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit und der Fachhochschule Jena im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung, will auf diese Probleme aufmerksam machen und zum Dialog einladen ...
Weitere Informationen unter www.thueringer-pflegetag.de
oder im Tagungsbüro "Thüringer Pflegetag" (Tel.: 03641/205850)
Professor Dr. Stephan Dorschner
Kontakt:
Prof. Dr. Stephan Dorschner,
Krankenpfleger, Diplommedizinpädagoge
Professor für Theorie und Praxis der Pflege an der Fachhochschule Jena
(Tel.: 03641/205853; eMail:stephan.dorschner@fh-jena.de)
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Pädagogik / Bildung, Politik, Psychologie, Recht
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Studium und Lehre, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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