In Deutschland werden heutzutage über 80.000 künstliche Befruchtungen pro Jahr durchgeführt. Deutsche Paare reisen ins Ausland, um Verfahren wie die Eizellspende, die Embryospende und die Leihmutterschaft in Anspruch zu nehmen, die hier zwar verboten sind, aber für die hier aufwachsenden Kinder dennoch ethische und rechtliche Fragen aufwerfen. Die Rechtslage der Fortpflanzungsmedizin ist in Deutschland vom Embryonenschutzgesetz von 1990 geprägt. Dies deckt die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Bereich der Reproduktionsmedizin nicht mehr ab.
Eine interdisziplinär besetzte Expertengruppe der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina kritisiert diese unzureichende Rechtslage, die betroffene Frauen, Paare und Kinder unnötigen gesundheitlichen Risiken aussetzt sowie Gerechtigkeitsprobleme und Rechtsunsicherheit bei allen Betroffenen erzeugt. Die Expertinnen und Experten fordern deshalb eine umfassende Regelung dieser Fragen in einem neuen Gesetz und veröffentlichten dazu heute das Diskussionspapier „Ein Fortpflanzungsmedizingesetz für Deutschland“.
Als besonders reformbedürftig sehen die Autorinnen und Autoren des Papiers die Regelung der medizinischen Praxis der künstlichen Befruchtung an, die die betroffenen Frauen unnötigen Risiken aussetzt. Sie kritisieren zudem eine Ungleichbehandlung von Samenspende (in Deutschland erlaubt) und Eizellspende (in Deutschland verboten). Sie fordern eine Regelung der Embryospende, die in Deutschland zwar zunehmend praktiziert wird, aber vom Embryonenschutzgesetz nicht erfasst wird. Auch die Aufbewahrung, Befruchtung und Übertragung von eingefrorenen Eizellen solle geregelt werden. Als dringend regelungsbedürftig erachten die Experten schließlich auch die rechtliche Elternschaft von in Deutschland aufwachsenden Kindern ausländischer Leihmütter.
Die Autoren dokumentieren in ihrem Diskussionspapier den dringenden Regelungsbedarf im Bereich der Fortpflanzungsmedizin, der ihrer Meinung nach in der kommenden Legislaturperiode in einem umfassenden neuen Gesetz aufgegriffen werden sollte. Der Bund verfügt mittlerweile über die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Fortpflanzungsmedizin. Er sollte davon Gebrauch machen und die verschiedenen dafür notwendigen Regelungen in organischer Weise zusammenführen. In Österreich und der Schweiz liegen solche Fortpflanzungsmedizingesetze schon vor.
Die Experten gehören der Leopoldina-Arbeitsgruppe „Eckpunkte für ein Fortpflanzungsmedizingesetz“ an, die zurzeit eine Stellungnahme mit Handlungsoptionen und Empfehlungen zur Fortpflanzungsmedizin für das Jahr 2018 erarbeitet.
Publikationen in der Reihe „Leopoldina Diskussion“ sind Beiträge der genannten Autoren. Mit den Diskussionspapieren bietet die Akademie Wissenschaftlern die Möglichkeit, flexibel und ohne einen formellen Arbeitsgruppen-Prozess Denkanstöße zu geben oder Diskurse anzuregen und hierfür auch Empfehlungen zu formulieren.
Im Zusammenhang mit dem Embryonenschutzgesetz hat die Leopoldina in den vergangenen Jahren mehrfach Publikationen vorgelegt und Veranstaltungen durchgeführt. Unter anderem veröffentlichte eine Expertengruppe 2017 das Leopoldina-Diskussionspapier „Ethische und rechtliche Beurteilung des genome editing in der Forschung an humanen Zellen“. Im Jahr 2015 verfasste die Nationalakademie gemeinsam mit acatech, der Akademienunion und der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Stellungnahme „Chancen und Grenzen des genome editing“. Das 2014 erschienene Diskussionspapier „Auf dem Wege zur perfekten Rationalisierung der Fortpflanzung?“ dokumentiert ein Symposium zum Thema.
http://www.leopoldina.org/de/fortpflanzungsmedizin Das Diskussionspapier „Ein Fortpflanzungsmedizingesetz für Deutschland“ ist unter diesem Link veröffentlicht.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Gesellschaft, Medizin, Philosophie / Ethik, Recht
überregional
Wissenschaftliche Publikationen, Wissenschaftspolitik
Deutsch
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