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20.11.2017 09:00

Mittelholozäner Temperatursprung begünstigte in Nordeuropa Ackerbau und Bevölkerungswachstum

Dr. Barbara Hentzsch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

    Die internationale Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlichte kürzlich neue Erkenntnisse zum Verlauf der Temperaturen im Ostseeraum während der spannenden Übergangszeit vor 6.000 Jahren, in der der Ackerbau in Nordeuropa Einzug hielt. Das Autorenteam aus Geowissenschaftlern, Archäologen, Fischereibiologen und Ökosystem-Modellierern konnte zeigen, dass erst in dieser Zeit ein deutlicher Temperaturanstieg die neue Lebensweise begünstigte, während in den Jahrhunderten davor, als im Süden schon längst Landwirtschaft betrieben wurde, im Norden noch niedrige Temperaturen vorherrschten und die Menschen ihre Nahrung durch Jagd, Sammeln und Fischerei erwarben.

    Die Grundvoraussetzungen für die Analysen war das Auffinden von datierbaren Sedimentkernen, die möglichst störungsfrei eine lange Zeitspanne der Klimageschichte im Ostseeraum abbilden. Die Geologen des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) haben sich genau darauf spezialisiert. „Wir haben einen so genannten Multiproxy-Ansatz entwickelt: mit unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Methoden ziehen wir so viel Information wie möglich aus den Meeresabla-gerungen der Ostsee, um damit vergangene Klima- und Umweltbedingungen zu rekonstruieren.“ Matthias Moros, Geologe am IOW, koordinierte die Analysen an den Sedimentkernen und entwickelte zusammen mit seinem niederländischen Kollegen Jaap Sinninghe Damsté vom Royal Netherlands Institute for Sea Research (NIOZ) den wissenschaftlichen Ansatz der Studie. „Wir hatten den Sedimenten bereits angesehen, dass es in dem fraglichen Zeitraum eine deutliche Umwelt-Veränderung gegeben haben muss. Homogene Sedimentschichten wurden plötzlich von feinlamellierten abgelöst.“ Das Phänomen der Feinlamellierung ist von den heutigen Bedingungen am Ostseeboden bekannt, wo Sauerstoffmangel zu „toten Zonen“ führt, in denen kein höheres Leben existieren kann. Thomas Leipe, Geochemiker am IOW: “Dieser markante Wechsel in der Sedimentation und in den Umweltbedingungen ist in sehr vielen Sedimentkernen aus der Ostsee zu finden. Uns beschäftigt schon seit langem die Frage nach dem Alter des Wechsels und den Ursachen. Nun haben wir dank der verfeinerten Datierungsmethoden der Kollegen an der ETH Zürich zum ersten Mal eine recht genaue Altersangabe für diese plötzliche Veränderung: sie fand vor circa 6.000 Jahren vor heute statt.“

    Um die möglichen Ursachen für diesen Wechsel herauszufinden, wurden Sedimentkerne zentimeterweise auf den so genannten Biomarker TEX86 hin untersucht, der auch als Paläothermometer bezeichnet wird. Hierfür war das NIOZ-Team um Prof. Damsté zuständig. Der Biomarker dient als Stellvertreter für Sommer-Temperaturen des Oberflächenwassers im Meer. Er basiert auf den Überresten bestimmter, im Oberflächenwasser der Ostsee lebenden Mikroorganismen – den Thaumarchaeota. Die Zusammensetzung ihrer Membran-Lipide verändert sich je nach Temperatur. Sterben die Thaumarchaeota ab, so sinken sie auf den Meeresboden, wo ihre Lipide und damit auch die Information über die damalige Temperatur im Oberflächenwasser archiviert werden.

    Das Ergebnis ist deutlich: In der Zeit um 6.000 vor heute, also parallel zum Einsetzen der Sauerstoffnot am Meeresboden, stiegen die Temperaturen rasch an. Die Verschlechterung der marinen Umweltbedingungen lässt sich also direkt mit einer Temperaturerhöhung verknüpfen. Und dank TEX86 werden noch mehr Details erkennbar: In der Zeit von 7.100 bis 3.000 vor heute schwankten die Temperaturen des Oberflächenwassers der Ostsee im Sommer zwischen 14,5 und 17,5 °C. Dabei zeichnen die TEX86 Werte in der Zeit von 7.000 bis 6.000 vor heute eine längere tendenziell kalte Phase nach, die von einer raschen Temperaturerhöhung beendet wurde. Um 5.600 und 4.500 vor heute gab es zwei deutliche Temperaturmaxima, danach kam es zu einer erneuten Abkühlung. Insgesamt dauerte das so genannte Holozäne Klimaoptimum in Nordeuropa offenbar nur von circa 5.900 bis 4.400 vor heute.

    Dank der genauen Altersdatierung konnte die Temperaturkurve mit archäologischen Befunden aus dem Ostseeraum verglichen werden. So zeigte sich, dass der markante Temperatursprung um 6.000 nicht nur die Ausbreitung der „toten Zonen“ in der Ostsee, sondern auch bedeutende Veränderungen in der damaligen Bevölkerung auslöste: die Bevölkerungszahl im Ostseeraum verdreifachte sich. Gleichzeitlich belegen die archäologischen Funde, dass sich zu dieser Zeit der Ackerbau als Ernährungsgrundlage in Nordeuropa durchsetzte. Ob dies allein durch günstigere Temperaturen gefördert wurde oder auch der Rückgang wichtiger Fischbestände diesen Prozess beeinflusste, ließ sich bislang anhand der archäologischen Daten noch nicht klären. Thomas Neumann, Ökosystemmodellierer am IOW, hält den Zusammenhang jedoch für wahrscheinlich: „Mit unserem Computer-Modell konnten wir nachweisen, dass eine kausale Verbindung zwischen der Temperaturerhöhung und der Ausbreitung von “toten Zonen” am Boden der Ostsee besteht. Wir konnten auch zeigen, dass diese Veränderung kein lokales Ereignis war, sondern große Bereiche der Ostsee betraf. Für uns steht fest: Ein derartiger Sauerstoffmangel wird nicht ohne Folgen für die Fisch-bestände gewesen sein.“

    Die Original-Veröffentlichung ist unter dem folgenden link verfügbar:
    www.nature.com/articles/s41598-017-14353-5

    Fragen zu den Ergebnissen beantworten:
    Dr. Matthias Moros, 0381 5197 399, matthias.moros@io-warnemuende.de
    Dr. Thomas Neumann, 0381 5197 113, thomas.neumann@io-warnemuende.de
    Dr. Thomas Leipe, 0381 5197 381, thomas.leipe@io-warnemuende.de

    Kontakt Presse- & Öffentlichkeitsarbeit:
    Dr. Kristin Beck | Tel.: 0381 5197-135 | kristin.beck@io-warnemuende.de
    Dr. Barbara Hentzsch | Tel.: 0381 5197-102 | barbara.hentzsch@io-warnemuende.de

    Das IOW ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der zurzeit 91 Forschungsinstitute und wissenschaftliche Infrastruktureinrichtungen für die Forschung gehören. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Bund und Länder fördern die Institute gemeinsam. Insgesamt be-schäftigen die Leibniz-Institute etwa 18.100 MitarbeiterInnen, davon sind ca. 9.200 WissenschaftlerInnen. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,6 Mrd. Euro. (www.leibniz-gemeinschaft.de)


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Geowissenschaften, Geschichte / Archäologie, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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