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20.11.2017 10:54

„Verlegt in eine andere Anstalt …“

Stephan Laudien Stabsstelle Kommunikation/Pressestelle
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Die Wanderausstellung „erfasst, verfolgt, vernichtet“ der DGPPN über den Umgang mit kranken und behinderten Menschen im Nationalsozialismus wird vom 27. November bis 21. Dezember an der Uni Jena und im Jenaer Stadtmuseum „Göhre“ gezeigt

    Der aus Chemnitz stammende Kaufmann Kurt Hanitzsch hatte sich unbeliebt gemacht. Als Rechtsbeistand für Arme und Mittellose schrieb Hanitzsch ab 1932 von seinem Wohnort Jena aus Beschwerdebriefe an Hitler und den Thüringer Gauleiter Fritz Sauckel. Im Jahr 1935 wurde Hanitzsch verhaftet und für ein Jahr im KZ Bad Sulza gefangen gehalten, 1937 wurde Anklage erhoben wegen „Beamtenbeleidigung“ und „Schädigung des Ansehens der Reichsregierung“.

    Im gleichen Jahr wurde Kurt Hanitzsch in die Psychiatrische und Nervenklinik Jena überstellt. Der dortige Oberarzt Dr. Rudolf Lemke attestierte dem Patienten „krankhafte Motive“ und „Wahnvorstellungen“ und schlug die Unterbringung in einer Anstalt vor. Kurt Hanitzsch wurde daraufhin in die Landesheil- und Pflegeanstalt Blankenhain gebracht, wo er fast drei Jahre blieb. Von Blankenhain aus verlegte man Hanitzsch Anfang September 1940 nach Zschadraß. Am 18. September 1940 wurde Kurt Hanitzsch in Pirna-Sonnenstein in der dortigen Gaskammer ermordet. Seiner Witwe Melanie Hanitzsch wurde mitgeteilt, ihr Mann sei am 30. September 1940 an den Folgen einer Nebenhöhlenvereiterung mit hinzukommender Blutvergiftung verstorben und auf dem hiesigen Anstaltsfriedhof beigesetzt worden.

    Jenaer Forschungsergebnisse fließen in die Ausstellung ein

    „Hanitzschs Schicksal teilen etwa 60 weitere Jenaer Frauen und Männer“, sagt Dr. Gisela Horn vom „Arbeitskreis Sprechende Vergangenheit“. Auf sieben sogenannten Roll-Ups wird der Leidensweg der Jenaer Opfer gezeigt; zu sehen sind die Schautafeln im Stadtmuseum „Göhre“ (Markt 7). Doch nicht nur die Opfer erhalten im Wortsinne wieder ein Gesicht: „Wir zeigen ebenso die Biogramme ausgewählter Jenaer Psychiater, die eng mit dem NS-Regime zusammengearbeitet haben“, sagt die Historikerin Kristin Tolk von der Universität Jena. Unter Leitung des Historikers Dr. Tobias Freimüller hat Kristin Tolk gemeinsam mit Martin Kiechle am Forschungsprojekt „Die Jenaer Psychiatrie im 20. Jahrhundert“ gearbeitet. Die Ergebnisse des seit drei Jahren laufenden Projekts fließen in die Ausstellung ein, in der die Berufsbiographie des Klinikleiters Hans Berger in Kurzform ebenso vorgestellt wird wie die seines Nachfolgers Berthold Kihn und die der Oberärzte Rudolf Lemke und Paul Hilpert.

    Die Jenaer Perspektive ergänzt die Wanderausstellung „erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“, die von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde“ (DGPPN) erstellt wurde. Sie wird vom 24. November bis zum 21. Dezember an der Universität Jena gezeigt.

    Eröffnet wird die Schau zunächst zur Langen Nacht der Wissenschaften im Foyer des Universitätsklinikums am Freitag (24. November) um 18.30 Uhr. Den Eröffnungsvortrag hält Prof. Dr. Hans-Walther Schmuhl von der Universität Bielefeld. Schmuhl spricht ab 19.15 Uhr im Hörsaal II des Klinikums über „Arbeit am 'Volkskörper'. Medizin und Biopolitik im Nationalsozialismus“. Danach bieten Studierende um 20.30, 21.30 und 23.00 Uhr öffentliche Führungen durch die Ausstellung an. Vom 27. November an wird die Schau bis zum 21. Dezember im Campusfoyer (Carl-Zeiß-Straße 3) gezeigt.

    Den Opfern endlich wieder einen Namen geben

    „Unser Hauptanliegen ist es, den Jenaer Opfern ihre Namen wieder zu geben“, sagt Dr. Gisela Horn vom „Arbeitskreis Sprechende Vergangenheit. Jena in der Zeit des Nationalsozialismus“. Der Arbeitskreis – namentlich Gisela Horn und Wolfgang Rug – hat die Wanderausstellung der DGPPN nach Jena geholt.

    Begleitend zur Ausstellung gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm. Dazu gehören Vorträge jeweils donnerstags 18 Uhr im Hörsaal 8 am Uni-Campus (Carl-Zeiß-Straße 3).
    Am 30. November spricht Kristin Tolk über „Jenaer Psychiater im Nationalsozialismus“. Unter dem Titel „Verlegt in eine andere Anstalt …“ spricht Dr. Gisela Horn am 7. Dezember über die Ermordung Jenaer Männer und Frauen in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. Der Vermerk „Verlegt in eine andere Anstalt ...“ war meist der letzte Eintrag in der Patientenakte. Die „Verlegung“ führte in die Gaskammer der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein.

    Dr. Tobias Freimüller wird am 14. Dezember über „NS-Medizinverbrechen vor Gericht“ sprechen. Im Anschluss an jeden Vortrag bieten Studierende des Fachs Geschichte jeweils eine öffentliche Führung durch die Ausstellung an. Zum Rahmenprogramm gehört noch der Film „Nebel im August“ (Regie Kai Wessel), der am 12. Dezember im Kino im Schillerhof (Helmboldstraße 1) gezeigt wird. Zudem können Schulklassen oder andere Gruppen individuelle Führungen in der Ausstellung vereinbaren.

    Ein Katalog zur Ausstellung „erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“ ist im Buchhandel erhältlich (19,99 Euro).

    Weitere Informationen zur Wanderausstellung: www.dgppn.de/schwerpunkte/psychiatrie-im-nationalsozialismus/wanderausstellung.html

    Kontakt:

    Dr. Wolfgang Rug / Dr. Gisela Horn
    AK „Sprechende Vergangenheit“
    Markt 26, 07774 Dornburg-Camburg
    Tel.: 036427 / 21814
    E-Mail: wolfgang.rug[at]t-online.de

    Kristin Tolk, M.A.
    Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Fürstengraben 13, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 944450
    E-Mail: kristin.tolk[at]uni-jena.de


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-jena.de
    http://www.dgppn.de/schwerpunkte/psychiatrie-im-nationalsozialismus/wanderausste...


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Geschichte / Archäologie, Medizin, Psychologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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