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08.09.2003 16:48

"Bullying an Schulen" (I) - warum nicht nur Täter und Opfer entscheidend sind

Cornelia Glees-zur Bonsen Stabsstelle Kommunikation und Presse
Ludwig-Maximilians-Universität München

    München, 8. September 2003 - Am morgigen Dienstag, den 9.9.2003 fängt für alle bayerischen Kinder die Schule wieder an - und für manche beginnt ein Martyrium. Bullying heißt das Phänomen, das so manchem Schüler das Leben zur Hölle macht. Das Repertoire der Täter ist umfassend und reicht von verbalen Attacken und Demütigungen bis zu körperlichen Angriffen auf die Opfer. Am Institut für Pädagogische Psychologie und empirische Pädagogik der LMU wurden jetzt unter der Leitung von Dr. Mechthild Schäfer mehrere Studien zu verschiedenen Aspekten des Phänomens Bullying durchgeführt.
    Wir veröffentlichen die Ergebnisse dieser Untersuchungen in drei Teilen unter dem Titel "Bullying an Schulen".

    Gezielte, systematische und wiederholte Schikanen physisch und psychisch stärkerer Schüler gegenüber physisch und psychisch Schwächeren: Die Definition von Bullying reicht fast ebenso weit wie das Phänomen selbst. Die Rechnung, nur ein paar wenige hilflose Schüler aus dem Klassenverband zu isolieren und attackieren, geht für Bullies oft auf. Aus Angst, das nächste Opfer zu werden, stellen sich viele Schüler auf die Seite des Täters oder schweigen. In Untersuchungen kann neun von zehn Schülern eine distinkte Rolle im Bullying-Prozess zugeordnet werden - auf der Pro- oder der Contra-Seite. Bullying ist also ein Gruppenphänomen. Das gilt auch in Deutschland, wie Dr. Mechthild Schäfer und Stefan Korn vom Institut für Pädagogische Psychologie und Empirische Pädagogik der LMU jetzt herausgefunden haben. (Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, in press).

    Die Forscher untersuchten 104 Schüler aus vier sechsten Klassen an zwei Hauptschulen. "Unsere Studie zeigt zum ersten Mal, dass auch deutsche Schüler genau definierte Rollen beim Bullying einnehmen", so Schäfer. "Weil fast die ganze Klasse beteiligt ist, genügt es nicht, nur Opfer und Täter zu charakterisieren, ihre Beziehung zu beschreiben und die möglichen Konsequenzen dieser Aggressionen gegen Schwächere zu erfassen."
    Die einzelnen Schüler lassen sich, wenn auch nicht immer ausschließlich, verschiedenen Rollen beim Bullying zuteilen: Außenstehende, Opfer, Verteidiger des Opfers, Täter und Assistent oder Verstärker des Täters. Freundschaften bestehen meist nur zwischen Schülern ohne aggressive Verhaltenstendenzen und zwischen jenen, die am Bullying beteiligt sind. Die beiden daraus resultierenden Freundschaftsnetzwerke laufen quer durch die Gruppe und schaffen zwei Populationen. In allen bisher durchgeführten Studien wurde deutlich, dass die eigene soziale Akzeptanz das Verhalten stark beeinflusst: Aus Angst, das nächste Opfer zu werden, wagt ein Schüler mit niedrigem sozialen Status selten, sich auf die Seite eines angegriffenen Kindes zu stellen.
    Außenstehende machen den größten Teil der Gruppe aus, wobei manche gelegentlich als Verteidiger auftreten. Opfer sind sie selten, was der These widerspricht, aus ihrer Gruppe rekrutierten sich die Opfer der "nächsten Generation".

    Unbeliebt und einflussreich
    "In dieser Studie wurde kein einziges Mädchen für eine aggressive Rolle nominiert. Die noch nicht veröffentlichte Replikation der Studie an einer größeren Stichprobe zeigte aber, dass im ersten Anlauf eher "weibliche" Taktiken wie indirekte oder psychische Formen der Aggression nur ungenügend erfasst wurden", berichtet Schäfer. "Insgesamt wurden aber trotzdem sehr viel weniger Mädchen als Jungen für aggressive Rollen nominiert, während sie in der Überzahl bei den Außenstehenden und Verteidigern sind." Ungefähr eines von zehn Kindern wurde von den Mitschülern als Opfer eingestuft, wobei die davon betroffenen Schüler sich auch selbst in dieser Rolle sahen. Bei den 30 Schülern aber, die von ihren Mitschülern als Täter, Assistent oder Verstärker des Täters identifiziert wurden, sahen sich nur sechs in einer Pro-Bullying-Rolle. Fast doppelt so viele nominierten sich als Außenstehende oder gar Verteidiger und Opfer. Der Rest dieser Gruppe schrieb sich selbst keine Rolle zu.

    Eines aber haben Bullies und ihre Opfer gemein: Sie sind signifikant unbeliebter als ihre Mitschüler. Eigen ist den Tätern aber, dass sie einflussreich sind. "Bullying ist für eine Klasse ohne Unterstützung von außen durch Lehrer oder Eltern nur schwer zu lösen, weil die Täter diesen Einfluss nicht freiwillig aufgeben", meint Korn. "Ihre starke Position gibt ihnen sogar noch Definitions- oder Gestaltungsmacht über die sozialen Normen der Klasse." Deshalb sind alle konsequent verfolgten Strategien gegen aggressives Verhalten sinnvoll, die den sozialen Status der Täter schwächen. Damit wird die Bereitschaft von Assistenten und Verstärkern gesenkt, sich mit ihnen zu assoziieren. "Verteidiger werden in ihrem Verhalten bestärkt, und Außenstehende lernen, dass Engagement in

    kritischen Situationen als eine Qualität des Miteinanders formuliert und gepflegt wird", so Schäfer. "Wenn es gelingt, eine positive (Re-)Definition der sozialen Normen in der Klasse zu formulieren, werden die Opfer zwar nicht beliebter in der Gruppe. Aber ihr Leben in der Schule wird sicherer und leichter." (suwe)

    Ansprechpartner:

    Dr. Mechthild Schäfer
    Institut für Pädagogische Psychologie und Empirische Pädagogik der LMU
    phon: ++49-89-2180-5240 und ++49-89-2180-5146 (Sekretariat)
    E-Mail: mechthild.schaefer@gmx.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Pädagogik / Bildung
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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