Ärzte, Vertreter der theoretischen Medizin, Chemiker, Physiker und Ingenieurwissenschaftler entwickeln an der Universität Essen in interdisziplinärer Zusammenarbeit Biomaterialien für die Oberflächenbeschichtung von Hartimplantaten. Haltbarkeit und Gewebervrträglichkeit sollen auf diese Weise verbessert werden.
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8. Oktober 1998
Im Zuge orthopädischer Behandlungen werden in Deutschland in jedem Jahr 120 000 metallische Großimplantate eingesetzt. 7 v. H. versagen innerhalb von zehn Jahren, und bei jüngeren, körperlich noch aktiveren Patienten sind es weit mehr. Ursache ist meistens eine Unverträglichkeit des Implantats mit dem Körper - eine Herausforderung für Ärzte, Naturwissenschaftler und Ingenieurwissen-schaftler der Universität Essen. Seit rund drei Jahren arbeiten sie an der Entwick-lung von Biomaterialien, die die Gewebeverträglichkeit der Implantate erhöhen. Beteiligt sind in der Medizinischen Fakultät neben der Orthopädie (Professor Franz Löer) auch Kardiologie (Professor Raimund Erbel), Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (Professor Klaus Jahnke) und Unfallchirurgie (Professor Dieter Nast-Kolb) sowie Physiologie und Physiologische Chemie, darüber hinaus Chemiker, Physiker und die Werkstofftechnik.
Auf einem Symposium in der Universität stellten Mitglieder der "Arbeitsgemein-schaft Biomaterialien und Gewebeverträglichkeit" ihre bisherigen Forschungser-gebnisse zur Zeit vor internationalem Fachpublikum vor. Parallel dazu berichte-ten gestern die Professoren Dr. Herbert P. Jennissen, Physiologische Chemie, und Dr.-Ing. Alfons Fischer, Werkstofftechnik, in einem Pressegespräch über die Ein-satzmöglichkeiten, die sie durch die "Biologisierung" von Oberflächen für Hart-implantate erschließen wollen.
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In der Orthopädie ist eine Lockerung des Implantats, die teilweise mit einer Zer-störung des Knochenlagers einhergeht, in 80 v. H. der Fälle der Grund für das Versagen. Ein Endoprothesenwechsel, also der Wechsel einer Prothese im, nicht am Körper, bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Eine Biologisierung der Implan-tate könnte die Einheilungszeit erheblich verkürzen, bei Defekten im Knochenla-ger die Einheilung einer Ersatzprothese deutlich verbessern und bei jüngeren Pati-enten einen Prothesenwechsel erleichtern.
In der Kardiologie hängt der Langzeiterfolg einer Ballondilatation, der die Implantation eines aus Edelstahl bestehenden Stents folgt, davon ab, ob der Stent in den folgenden Jahren den erweiterten Innendurchmesser des Gefäßes aufrechter-halten kann. Bei einem Teil der Patienten ist das derzeit nicht der Fall; eine rasche Vermehrung der Gefäßmuskelzellen behindert erneut den Blutdurchfluß. Stents mit biologisierter Oberfläche können, so stellten Jennissen und Fischer gestern in Aussicht, die Zellvermehrung eindämmen.
In der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde setzen die Wissenschaftler dagegen auf eine Teilbiologisierung von Implantaten - etwa in der rekonstruktiven Mittelohrchir-urgie. Dabei darf ein fester Verbund zwischen Gewebe und Implantat nur an be-stimmten Stellen entstehen. Eine wegen der guten Biokompatibilität erreichte to-tale Verknöcherung des Implantats mit Mittelohrstrukturen würde seine Wirk-samkeit hingegen aufheben und erneut zu Störungen des Gehörs führen.
In der Unfallchirurgie werden häufig Knochenersatzstoffe, etwa aus Rinderkno-chen, Korallen oder synthetisch erzeugten Materialien verwendet. Die Herstel-lungsverfahren sind kompliziert, manche Produkte werden vom Körper nicht gut angenommen und verzögern den Heilungsprozeß. Durch eine Oberflächenbe-handlung solcher Ersatzstoffe könnte hingegen die Knochenneubildung gefördert werden. Denkbar sind Plasma- oder Proteinbeschichtungen.
Die Entwicklung von Biomaterialien, die für die Implantatherstellung geeignet sind, setzt - das machten Fischer und Jennissen gestern klar - den ständigen Aus-tausch zwischen den beteiligten Disziplinen voraus. Die Ärzte in den Kliniken benennen die mit herkömmlichen Implantaten verbundenen Risiken, Arbeits-gruppen in der Physiologie (Professor Dieter Bingmann) und der Physiologischen Chemie (Professor Herbert P. Jennissen), dazu Chemiker (Professor Günter Schmid) und Physiker (Professor Volker Buck) entwickeln Konzepte für die Oberflächenbehandlung, die Werkstofftechnik (Professor Alfons Fischer) und die Kunststofftechnik (Professor Ernst M. Schmachtenberg) liefern den jeweils für geeignet gehaltenen "Unterbau" in Form von Metall- und Kunststoffproben und testen diesen Grundkörper und die Beschichtung hinsichtlich der mechanischen und chemischen Eigenschaften sowie das Reibungsverhalten und die Abriebbe-ständigkeit. Schließlich tragen Immunologen (Professor Hans Grosse-Wilde) und Mikrobiologen (Professor Rainer Ansorg) zur Verminderung der Komplikations-rate bei. Ziel der Entwicklung ist eine störungsfreie Interaktion zwischen Bioma-terial und Gewebe. Sie vollzieht sich in einer Reihe hierarchisch geordneter Pro-zesse.
Ausgangsstufe ist das oberflächenbehandelte Implantat, an dem sich als erste bio-logische Reaktion eine Schicht aus absorbierten Proteinen bildet. Von hier aus wirken Signale in die Einzelzellen des Körpers, von hier aus wiederum andere Signale in das Gewebe. So baut sich die Pyramide auf bis zum Gesamtorganismus, der das Implantat voll integrieren soll. Ein Versagen auf der untersten Stufe der Hierarchie läßt den gesamten Prozeß scheitern.
Die "Arbeitsgemeinschaft Biomaterialien und Gewebeverträglicheit" an der Uni-versität Essen ist Bestandteil eines größeren Verbundes, der "Biologische Phäno-mene an Grenzflächen" untersucht. Und dieser wiederum bildet eine von vier Arbeitsgruppen in der Materialwissenschaft. Sie hat sich in den vergangenen Jah-ren als ein mittlerweile auch international anerkannter Forschungsschwerpunkt in Essen herauskristallisiert.
Redaktion: Monika Rögge, Telefon (02 01) 1 83-20 85
Weitere Informationen: Prof. Dr.-Ing. A. Fischer, Telefon (02 01) 1 83-26 55,
Prof. Dr. H. P. Jennissen, Telefon (02 01) 7 23-41 25
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Maschinenbau, Medizin, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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