idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
15.03.2018 11:38

Bremst die Systematik den Naturschutz? Stellungnahme internationaler Taxonomen

Judith Jördens Senckenberg Pressestelle
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen

    Frankfurt, den 15.03.2018. Über 180 Taxonomen aus 37 Ländern – unter ihnen auch der Senckenberg-Wissenschaftler Professor Uwe Fritz– haben gestern im Fachjournal „PLoS Biology“ einen kürzlich in „Nature“ erschienenen Artikel kritisiert. In diesem wurde vorschlagen, die Art und Weise, wie Tiere und Pflanzen benannt und klassifiziert werden, grundlegend zu ändern.

    Die Erde befindet sich mitten im sechsten großen Massenaussterben ihrer Geschichte – verursacht durch die wachsende menschliche Bevölkerung. Oft sterben Arten aus, bevor sie wissenschaftlich erkannt und beschrieben wurden. „Wir gehen davon aus, dass die Anzahl der unbeschriebenen Arten mindestens so hoch ist, wie die der uns bereits bekannten Arten“, erklärt Prof. Dr. Uwe Fritz, Sprecher des Forschungsbereiches Biodiversität, Systematik und Evolution bei Senckenberg. „Der Beitrag von unbekannten Arten zu einem funktionierenden Ökosystem lässt sich kaum einschätzen; genauso wenig kann man diese Arten schützen“, führt Fritz weiter aus.

    Die australischen Wissenschaftler Stephen T. Garnett und Les Christidis greifen diese Aspekte auf und schlagen in ihrem kürzlich erschienenen Artikel „Taxonomy anarchy hampers conservation“ im renommierten Fachmagazin „Nature“ vor, dass Arten in Zukunft von einem internationalen Gremium, dem keine Naturwissenschaftler, sondern z.B. Anwälte, Anthropologen und Soziologen angehören, als „gültig“ erklärt werden. Damit würden wissenschaftliche Dispute verhindert und z.B. Beschreibungen neuer Arten quasi zu einem „Verwaltungsvorgang“ umgewandelt, womit letztlich ihrem Schutz gedient sei. Bisher ist es nämlich so, dass die Existenz neubeschriebener Arten oft von anderen Wissenschaftlern angezweifelt und kritisch überprüft wird – ein Prozess, der mitunter Jahre dauern kann. Dieser Ablauf wird von Garnett und Christidis als „taxonomische Anarchie“ missverstanden.

    Dieser Prozess führt aber langfristig zu einer zuverlässigen Einschätzung der Artenvielfalt und einer zutreffenden Benennung der Arten, so die Taxonomen in ihrer Stellungnahme. Er liefert damit für Biologen und Naturschützer das solide Fundament ihrer Arbeit. Fritz und seine Kollegen befürchten nun „dass ein nicht-wissenschaftliches Gremium die Qualität der taxonomischen Arbeit massiv beeinträchtigen würde.“ Fehleinschätzungen könnten weltweit zu noch mehr Misswirtschaft, z.B. falschen Fangquoten in der Fischerei, und zur Verschwendung von Geldern im Naturschutz führen, wenn beispielsweise Arten anerkannt und geschützt werden, die sich im Diskurs als wissenschaftliche Fehler erweisen oder wenn Arten anerkannt werden, die sich in Wirklichkeit aus mehreren unterschiedlichen Spezies zusammensetzen. „Aus unserer Sicht ist die unzureichende Finanzierung taxonomischer Forschung das weitaus größere Problem, als die von Garnett und Christidis genannte ‚Anarchie’ in der Systematik“, schließt Fritz.

    Kontakt
    Prof. Dr. Uwe Fritz
    Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden
    Tel. 0351 - 795841 4326
    Uwe.Fritz@senckenberg.de

    Judith Jördens
    Pressestelle
    Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
    Tel. 069- 7542 1434
    pressestelle@senckenberg.de

    Publikation
    Thomson SA, Pyle RL, Ahyong ST, Alonso-Zarazaga M, Ammirati J, Araya JF, et al. (2018) Taxonomy based on science is necessary for global conservation. PLoS Biol 16(3): e2005075. https://doi.org/10.1371/journal. pbio.2005075

    Die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt an Lebensformen zu erforschen und zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen erhalten und nachhaltig nutzen zu können – dafür arbeitet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung seit nunmehr 200 Jahren. Diese integrative „Geobiodiversitätsforschung“ sowie die Vermittlung von Forschung und Wissenschaft sind die Aufgaben Senckenbergs. Drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden zeigen die Vielfalt des Lebens und die Entwicklung der Erde über Jahrmillionen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie vielen weiteren Partnern gefördert. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).