Schichtarbeit ist für die Gesundheit riskant. Immerhin lässt sie sich verträglicher gestalten, als es heute vielerorts üblich ist. Zu diesem Schluss kommen Dr. Yvonne Lott von der Hans-Böckler-Stiftung und Dr. Anna Arlinghaus vom Beratungsunternehmen Ximes. Die Forscherinnen haben zusammengestellt, was die Arbeitswissenschaft über die Risiken der Schichtarbeit herausgefunden hat – und welche Maßnahmen in Sachen Arbeitszeit und Arbeitsgestaltung den Betroffenen helfen.* Ihr Fazit: Schichtarbeit kann nur gute Arbeit sein, wenn sie vernünftig gestaltet wird.
Jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland arbeitet außerhalb der „normalen“ Zeiten von 7 bis 19 Uhr. 13 Prozent aller Arbeitnehmer müssen sich mit wechselnden Schichten arrangieren: Früh- und Spät-, oft auch Nachtschicht. Laut einer aktuellen Befragung der IG Metall sind nur 35 Prozent der Schichtarbeiter mit ihren Arbeitszeiten zufrieden. Von den übrigen Beschäftigten sind es 54 Prozent (siehe auch die Infografik; Link unten).
Nachtschicht widerstrebt der Natur des Menschen. Das ist eine wissenschaftlich anerkannte Tatsache. Sie bringt die innere Uhr durcheinander, den Mechanismus, der den Aktivitätsrhythmus von Lebewesen mit der Drehung der Erde in Einklang bringt. Für die Erforschung dieser Zusammenhänge haben drei Mediziner im vergangenen Jahr den Nobelpreis bekommen.
Eine Lebensgestaltung, die den natürlich Tag-Nacht-Rhythmus ignoriert, kann die Gesundheit aus verschiedensten Gründen beeinträchtigen, so Arlinghaus und Lott. Schlafstörungen, insgesamt kürzere Schlafzeiten, also über lange Zeiträume angesammelte Schlafdefizite, treten bei Schichtarbeitern häufig auf. Dadurch verschlechtert sich zum Beispiel die Reaktionsfähigkeit, was Unfälle begünstigt. Statistisch sind auch Zusammenhänge zwischen Schichtarbeit und Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und sogar Krebs nachgewiesen. Ob die Abkopplung vom normalen Tag-Nacht-Schema und daraus folgende Schlafdefizite die Abwehrkräfte schwächen und auf diese Weise allen möglichen Krankheiten Vorschub leisten oder ob es engere Zusammenhänge zwischen diesem Arbeitszeitmodell und bestimmten Leiden gibt: Das ist nicht abschließend geklärt. „Uneinheitlich“ seien die Befunde, was die Gesundheit betrifft, schreiben die Wissenschaftlerinnen.
Häufig steht Schichtarbeit dem Sozialleben im Wege, denn sie durchbricht nicht nur den biologischen Rhythmus, sondern auch die soziale Norm: Feierabend und freies Wochenende sind für die Mehrheit selbstverständlich, Schichtarbeiter tun sich mit der Teilnahme an regelmäßigen Terminen, zum Beispiel in Vereinen, aber schwer. Anderseits kommen versetzte Arbeitszeiten manchmal den familiären Anforderungen entgegen – etwa wenn Väter nach der Frühschicht die Kinder aus der Kita abholen können, während die meisten anderen noch einige Stunden im Büro sitzen müssen. „Insgesamt überwiegen aber die familiären Nachteile der Schichtarbeit“, urteilen Arlinghaus und Lott.
Grundsätzlich sei es auch eine Altersfrage, wie Beschäftigte mit der Schichtarbeit zurechtkommen, so die Forscherinnen. Ältere haben meist größere Probleme als Jüngere. Was allerdings nicht bedeutet, dass wechselnde Zeiten in jungen Jahren immer unproblematisch sind. Das lasse sich schon daran ablesen, dass sich relativ viele bereits in der „Anpassungsphase“, den ersten fünf Jahren im Schichtdienst, einen anderen Job suchen. Diese „Selbstselektion“ erschwere im Übrigen die Analyse der langfristigen Auswirkungen von Schichtarbeit. Denn bei denen, die schon Jahrzehnte zu rotierenden Zeiten arbeiten, dürfte es sich um die Gruppe mit den geringsten Problemen handeln.
Trotz aller Nachteile lehnen Arlinghaus und Lott die Schichtarbeit nicht in Bausch und Bogen ab. Ein kompletter Verzicht auf Schichtarbeit, etwa Nachtdienst im Krankenhaus, sei gar nicht möglich. Aber wenigstens lasse sie sich häufig besser organisieren. Mit ihren Anregungen stützen sich die Wissenschaftlerinnen auf positive Praxisbeispiele. Die wichtigsten Punkte:
- Bei der Ausarbeitung von Schichtsystemen sollten arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden. Besser verträglich sind für die meisten Menschen vorwärts rotierende Systeme, also Nachtschicht – Frühschicht – Spätschicht. Nachtschichtphasen sollten kurz gehalten und stets genügend Pausen vorgesehen werden. Wichtig ist, dass Beschäftigte lange genug im Voraus planen können und nicht durch plötzliche Änderungen aus ihrem Rhythmus gerissen werden.
- Nachtschicht sollte möglichst vermieden werden. Ein Praxisbeispiel aus der Automobilindustrie zeigt, dass dies in vielen Betrieben möglich ist. Denn nicht alles, was normalerweise zu einer Schicht gehört, muss zwingend auch in der Nacht erledigt werden. Bestimmte Tätigkeiten, etwa Vorbereitungen für den Werkzeugwechsel, können auch am Tag erfolgen. Im untersuchten Musterbetrieb ließen sich so 14 Prozent der Arbeitsinhalte von der Nacht in den Tag verlagern. Der Teil der Beschäftigten, der am schlechtesten mit der Nachtarbeit zurechtkam, konnte in ein Zweischichtsystem wechseln.
- Ein gewisses Maß an Zeitsouveränität, etwa durch Gleitzeiten oder kürzeren Arbeitszeiten, lässt sich auch in Schichtsystemen verankern.
- Besondere Belastungen sollten möglichst nicht durch Geld, sondern durch Freizeit zur Erholung kompensiert werden.
Kontakt in der Hans-Böckler-Stiftung
Dr. Yvonne Lott
Expertin für Arbeitszeit, Abteilung Forschungsförderung
Tel.: 0211-7778-600
E-Mail: Yvonne-Lott@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
https://www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_report_003_2018.pdf - *Anna Arlinghaus, Yvonne Lott: Schichtarbeit gesund und sozialverträglich gestalten, Forschungsförderungs-Report Nr. 2, März 2018
https://www.boeckler.de/fotostrecke_boeckler_impuls-r.htm?id=112996&chunk=1 - Infografik zum Download im Böckler Impuls
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
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Deutsch
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