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08.05.1996 00:00

Chinesische u. deutsche Wirtschaftskommentare im Vergleich

Kai Uwe Bohn Hochschulkommunikation und -marketing
Universität Bremen

    ALS EINSTIEG TRADITIONELLE LYRIK UND ORIGINELLE METAPHERN

    CHINESISCHE UND DEUTSCHE WIRTSCHAFTSKOMMENTARE IM LINGUISTISCHEN VERGLEICH

    - Titel deutscher Wirtschaftskommentare sind sprachlich komprimiert und bewertend

    - Chinesische Kommentatoren waehlen traditionelle lyrische Titel und traditionelle Formen und appellieren an die Leser

    - Wirtschaftskommentare enthalten zahlreiche Metaphern

    "Packesel der Nation", "Aepfel und Birnen", "Tarif-Schachzug" - mit bildhaften Titeln ermuntern Wirtschaftskommentatoren deutscher Zeitungen ihre Leserinnen und Leser dazu, den gesamten Kommentartext zu lesen. Anders in China: Hier wird die Aufmerksamkeit des Publikums durch lyrische Ueberschriften gewonnen; die Titel vermitteln zugleich eine klare (politische) Botschaft. Zu diesen Kernaussagen ueber Wirtschaftskommentare im deutsch-chinesischen Vergleich kommt eine linguistische Untersuchung an der Bremer Universitaet, die jetzt von Dr. Eva Schoenke veroeffentlicht worden ist.

    An Wirtschaftskommentaren ist nicht nur interessant und wichtig, welchen Themen sich die Kommentatoren zuwenden und wie sie bestimmte wirtschaftliche Probleme beurteilen. Es ist auch aufschlussreich, mit welchen sprachlichen Mitteln wirtschaftliche Themen argumentativ entfaltet und komplexe abstrakte Zusammenhaenge knapp und verstaendlich ausgedrueckt werden, welche Strategien der Meinungsbeeinflussung erkennbar sind und wie durch bestimmte Titel Aufmerksamkeit geweckt wird. Durch welche Art von Titelformulierungen erreichen die Kommentatoren, dass in Zeitungslesern das Beduerfnis entsteht, den folgenden Text ueberhaupt zu lesen? Unterscheiden sich die Merkmale deutscher und chinesischer Wirtschaftskommentartitel?

    Die Linguisten haben in ihren Forschungen an der Bremer Universitaet wesentliche kultur-bedingte Unterschiede in den Strategien der Pressekommunikation festgestellt. Die chinesischen Sprachwissenschaftler Prof. Liu Hongshen und Dr. Zhu Jinyang und die Bremer Sprachwissenschaftlerin Dr. Eva Schoenke kamen bei ihren Vergleichen der Kommentarueberschriften zu folgenden Ergebnissen: Die deutschen Kommentartitel sind sprachlich stark komprimiert, extrem verkuerzt (oft bis zu Einworttiteln) und enthalten in der Regel schon die Bewertung eines Sachverhalts, der erst im Kommentar selbst genannt wird. Die chinesischen Titel sind wesentlich laenger, umfassen oft ganze Saetze und uebermit-teln vor allem Appelle zum richtigen Verhalten.

    Ein fuer die Forscherinnen und Forscher in Bremen ueberraschendes Ergebnis der Untersuchung war, dass chinesische Kommentatoren bei den Titelformulierungen auch in der Gegenwart oft klassische lyrische Ausdrucksformen mit eindringlichem Rhythmus verwenden (z.B. in Wirtschaftskommentaren der Remin Ribao, der Volkszeitung, dem offiziellen Organ der Regierung der VR China). Das Gedicht gilt in der chinesischen Tradition als die hoechste literarische Form, und lyrische Formulierungen werden stilistisch als besonders erstrebenswert angesehen, auch fuer Texte in den Massenmedien. Ganz offensichtlich loesen die traditionell hoch bewerteten lyrischen Ausdrucksformen in den Titeln bei chinesischen Lesern Erwartungen aus, dass das (Weiter-)Lesen lohnenswert sei. Bei den deutschen Kommentaren wird die Bewertung im Titel oft in origineller Weise sprachlich "verklausuliert" und bahnt einen eher individuell gepraegten Zugang zum eigentlichen Kommentartext an.

    Bisher wurde in der Sprachwissenschaft noch nicht die Metaphernverwendung in Kommentaren untersucht, das geschieht in der Bremer Veroeffentlichung in zwei Beitraegen. Eva Schoenke zeigt die Bedeutung von Metaphern fuer den gesamten Kommentaraufbau und und Ingrid Kloepper weist nach, dass die Titel deutscher Wirtschaftskommentare jeweils zur Jahreswende in den Jahren 1954 - 1994 zu 40 % Metaphern enthalten, und zwar v. a. "Weg"-Metaphern und solche aus dem Ursprungsbereich "Sehen/Sicht". Die Ueber-tragungen beruhen auf koerperlichen, besonders visuellen Wahrnehmungen im Raum. Wenn bei der Kommentierung abstrakter und komplexer wirtschaftlicher Zusammenhaen-ge Metaphern verwendet werden (z. B. wirtschaftliche Entwicklung als "Weg", mit Start und Ziel und Hindernissen auf dem "Weg", Blick auf das Jahr 1986) koennen die komplizierten Zusammenhaenge eher verstaendlich ausgedrueckt werden. Das gemeinsame Wissen ueber den "Weg" ermoeglicht so auch eine Verstaendigung ueber wirtschaftliche Entwicklungen.

    In der Publikation "Wirtschaftskommentare" werden darueber hinaus verschiedene sprachwissenschaftliche Untersuchungsmethoden vorgestellt, sicherlich nicht nur fuer Studierende interessant.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Wirtschaft
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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