idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
22.09.2003 16:42

Entscheidung über Behandlung muss individuell getroffen werden

Dr. Annette Tuffs Unternehmenskommunikation
Universitätsklinikum Heidelberg

    Deutsche Frühgeborenen-Mediziner lehnen eine feste Grenze für die intensivmedizinische Versorgung ab / Tagung an der Universitätskinderklinik Heidelberg

    Kinder, die vor der 25. Schwangerschaftswoche geboren werden, sollten eine Chance zum Überleben bekommen. Bei einer Internationalen Tagung sprachen sich die deutschen Frühgeborenen-Mediziner (Neonatologen) gegen die gegenwärtig in der Schweiz sowie in den Niederlanden und in Dänemark praktizierten Richtlinien aus, Frühgeborene vor der 25. Woche nicht mehr intensivmedizinisch zu behandeln. Prof. Dr. Otto Linderkamp, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neonatologie an der Universitäts-Kinderklinik Heidelberg, befürwortete beim Symposium anlässlich seines 60. Geburtstages gemeinsam mit seinen deutschen Fachkollegen eine individuelle Entscheidung in jedem einzelnen Fall, die gemeinsam mit den Eltern besprochen wird. So haben im Heidelberger Zentrum, wo jährlich 350 Frühgeborene, davon etwa 120 unter 1500 Gramm, betreut werden, zwei Frühchen mit 22 Wochen ohne Behinderungen überlebt.

    Zur Prognose von Frühgeborenen, die vor der 25. Woche zur Welt kommen, gibt es bislang nur wenige Daten. Die Schweizer Richtlinien gehen weitgehend auf eine englisch/irische Studie zurück, die vor drei Jahren im "New England Journal of Medicine" veröffentlicht worden ist und mehr als 1.300 Frühgeborene untersuchte. Je früher die Kinder geboren wurden, desto häufiger seien sie gestorben oder hätten schwere Behinderungen davongetragen, berichtete Prof. Dr. Adrien Mössinger, Neonatologe an der Universität Lausanne. Selbst bei optimaler Betreuung sterben rund 70 Prozent der Frühchen; von den Überlebenden sind 50 Prozent erheblich behindert. Ob ein Kind behindert sein wird, lässt sich nur abschätzen, wenn schwere Gehirnschäden festgestellt werden. Deshalb hat die Schweizer Gesellschaft für Neonatologie im Jahr 2002 Richtlinien veröffentlicht, die eine intensivmedizinische Versorgung vor der 25. Woche im Regelfall ausschließen. Kaiserschnitte aus "kindlicher Indikation" sollen vor diesem Zeitpunkt nicht vorgenommen werden.

    Ist das Gehirn sehr schwer geschädigt, wird die Beatmung nicht fortgesetzt

    Die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Neonatologie sowie die "Einbecker Erklärungen", die 1996 von einem unabhängigen Gremium von Ethikern und Juristen herausgegeben worden sind, rücken dagegen das Lebensrecht des Kindes in den Vordergrund. Bei Frühgeborenen wird generell eine Behandlung in Betracht gezogen und überprüft, ob es eine Überlebenschance hat. "Falls wir im Ultraschall schwere beidseitige Gehirnschäden und damit eine sehr schlechte Prognose feststellen, das Kind also nie kommunizieren kann, wird gemeinsam mit den Eltern von einer intensivmedizinischen Behandlung abgesehen und ein Sterben ohne Schmerzen ermöglicht", erklärte Prof. Dr. Frank Pohlandt, Leiter der Sektion für Neonatologie der Universitäts-Kinderklinik Ulm.

    Eine feste Grenze halten die deutschen Frühgeborenen-Mediziner generell für problematisch, denn die Dauer der Schwangerschaft und die Reife des Ungeborenen lassen sich nicht genau bestimmen und für die Reifung von Gehirn und Lunge kann eine Woche, ja können Tage, von entscheidender Bedeutung sein. Darüber hinaus sind sich die Neonatologen der Fragwürdigkeit vermeintlich fester Grenzen vergangener Jahre bewusst: 1970 wurden Kinder unter 2.000 Gramm, 1984 unter 1.200 Gramm als nicht überlebensfähig angesehen und deshalb nicht beatmet. Auch die Grenze von 22 Wochen, die derzeit vor allem aufgrund der unreifen Lunge als medizinische Versorgungsgrenze akzeptiert ist, erscheint nicht unumstößlich.

    Betreuung in großen Zentren entscheidend für Behandlungserfolg

    Entscheidend für die Chancen der ganz kleinen Frühgeborenen ist ihre Betreuung in einem ausgewiesenen Zentrum, das Erfahrung und eine komplette Betreuung durch speziell ausgebildetes Pflegepersonal und Ärzte rund um die Uhr bieten kann. "Ein Zentrum sollte mehr als 300 Frühgeborene im Jahr und mehr als hundert unter 28 Wochen betreuen", erklärte Dr. Karl-Heinz Hennecke, Leiter der Abteilung Neonatologie der Vestischen Kinder- und Jugendklinik, Datteln, dem größten Zentrum in Nordrhein-Westfalen. Hier gibt es erheblichen Nachholbedarf, denn nur ein Drittel aller Frühgeborenen in Deutschland wird derzeit an Zentren betreut, obwohl ein ausreichend dichtes Netz geknüpft ist. Ein wichtiger Grund ist die große Zahl von Entbindungskliniken, die ihre Frühgeborenen vor Ort versorgen lassen.

    Individuelle, sanfte Pflege fördert Hirnreifung und verhindert Schäden

    An vielen Zentren hat in den vergangenen zehn Jahren ein Umdenken stattgefunden, berichtete Professor Linderkamp. Man hätte gelernt, dass intensivmedizinische Maßnahmen dem Frühchen schaden könnten und verzichte darauf, falls medizinisch möglich. So würden die Kinder nach der "Känguruh-Methode" viel Zeit in engem Hautkontakt bei der Mutter statt im Brutkasten verbringen. Die individualisierte, entwicklungsfördernde Pflege soll behutsam und durch gezielte Stimulation die Reifung des Gehirns fördern. Dazu gehört die kontinuierliche Ansprache des Frühgeborenen ebenso wie der sanfte Umgang bei medizinisch erforderlichen Maßnahmen. Dass dieses Konzept Erfolg hat, wurde bei dem Kongress von Prof. Dr. Björn Westrup aus Stockholm anhand von wissenschaftlichen Studien gezeigt. Neurologische Defizite und Verhaltensauffälligkeiten lassen sich durch besondere Pflege und Zuwendung im Vergleich zur herkömmlichen Betreuung verhindern.

    Webseiten zum Thema:
    (1) Empfehlung der schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie:
    http://www.swiss-paediatrics.org/paediatrica/vol13/n2/pm-ge.htm
    (2) AWMF-Empfehlung: http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/pneon-19.htm
    (3) Einbecker Empfehlungen: http://www.medizin.uni-koeln.de/dgmr/empfehlungen/empf1.html

    Diese Pressemitteilung ist auch online verfügbar unter
    http://www.med.uni-heidelberg.de/aktuelles/


    Weitere Informationen:

    http://www.med.uni-heidelberg.de/aktuelles/
    http://www.swiss-paediatrics.org/paediatrica/vol13/n2/pm-ge.htm
    http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/pneon-19.htm
    http://www.medizin.uni-koeln.de/dgmr/empfehlungen/empf1.html


    Bilder

    Sanfte Pflege und Zuwendung fördern die Reifung des Frühchens im Brutkasten. / Foto: Medienzentrum des Universitätsklinikums Heidelberg.
    Sanfte Pflege und Zuwendung fördern die Reifung des Frühchens im Brutkasten. / Foto: Medienzentrum d ...

    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Sanfte Pflege und Zuwendung fördern die Reifung des Frühchens im Brutkasten. / Foto: Medienzentrum des Universitätsklinikums Heidelberg.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).