Ein Symposium der Ruhrtriennale und des Kulturwissenschaftlichen Instituts, Essen
am 28.09.2003
in der Jahrhunderthalle Bochum (Foyer)
Die Kraft extremer Hitze, die Eisen schmelzt, aber auch die
jahrzehntelange politische Kraft der alten, geballten
Schwerindustrie an der Ruhr wird mit dem Hochofen verbunden.
Zugleich symbolisiert er als technische Skulptur am Horizont die Lebens- und Arbeitsbedingungen mehrerer Generationen und die soziale Kontur der hier entstandenen Städte. Während die Industriesiedlungen des Ruhrgebiets zu Großstädten und dann zu Standorten für neue Industrien und kulturelle Einrichtungen wurden, leerten sich die Werkhallen. Die Zahl der Arbeitsplätze in der alten Industrie sank immer weiter, die der Theaterplätze
stieg zur gleichen Zeit. Die übriggebliebene Architektur wurde zum Weltkulturerbe.
Die Ruhrtriennale erschließt diese Denkmäler der
Industriegeschichte, um über das bestehende Kulturleben der
einzelnen, sehr unterschiedlichen Städte hinaus eine
identifizierbare Struktur von Spielstätten für Weltkultur im
Revier zu schaffen, in denen alle Sparten der Kunst aufgeführt werden können.
Was durch die Ruhrtriennale an Theaterplätzen hinzukommt, ist nicht das, was man sich unter dem Begriff Theaterplätze
eigentlich vorstellt. Die Stühle müssen erst montiert werden. Die ästhetische Offenheit dieser Orte und der Besucher an diesen Orten provoziert die fällige Auseinandersetzung mit klassischen
Formen und deren Übersetzung in eine heutige Empfindung. In den neu gewonnenen Spielstätten des Reviers lassen sich nicht nur die Sitze ummontieren, sondern auch die Sprachen der Musik, des Schauspiels und der Dichtung.
Das bringt den ohnehin unglücklichen Begriff der Hochkultur ins Wanken. "Hochkultur" im Unterschied zu Popkultur, den Medien und Kleinkunst fasst Institutionen zusammen, Museen, Opern- und Konzerthäuser, Theater, Festivals. Solche Einrichtungen sind - unabhängig von ihrer Qualität - gefährdet sich selbst zu hintergehen. In Theaterhäusern, auf deren Bühnen die Werte der Gesellschaft hinterfragt und durchdacht werden, feiert die anwesende Society paradoxerweise besonders gerne die gesellschaftlichen Zustände. Die unwillkürlichen Konkurrenzinszenierungen im Foyer sind eine parasitäre, faszinierende Kunstform, die sich auf die Künste und ihre Rituale setzt und sie streng genommen erstickt. An dem Begriff der Hochkultur haftet dieses Parasitäre. Die rostigen Maschinen, die in den Foyers der Ruhrtriennale noch wachen, veranlassen uns nach
neuen Worten zu suchen. Leere Hallen lassen die Einrichtung oder das Einrichten selbst zum Thema werden.
Das soziale und formale Erlebnis eines guten Musiktheaterabends erheitert und heilt auf eine Weise, die das TV oder die Lichtspiele nicht ersetzen können. Es gab immer und gibt immer Menschen, die teure Eintrittspreise bezahlen, um sich durch anstrengende Konzerte, Theaterabende und Uraufführungen zu arbeiten. Diese Mühe, die weltweit die Menschen sich geben, um Kunst zu verstehen, ist nicht nur durch bildungsbürgerliche
Motive erklärbar. "Herausfordernde Kultur" (Mortier) zu fördern ist zweiffellos luxuriös, aber von allem Luxus der erste, den eine Gesellschaft sich leisten sollte. Der künstlerische Austausch von wiederkehrenden Erfahrungen und kollektivem Wissen mit den Mitteln des Theaters ist das stabilste Kapital in der Geschichte des Sozialen. Vom unverwüstlichen Gesang und den Erzählungen um Orpheus und Eurydike wird noch heute profitiert, von dem Reichtum des Minos ist dagegen nicht mehr viel übrig. Nur das, was als Legende interessant ist.
Der Versuch, auf die ästhetische Weiträumigkeit der
Industriearchitektur zu reagieren und als großes Kunstfest ihre Leere mit einem Leben zu füllen, das diese Leere aufhebt, prägt die Dramaturgie der ersten Triennale unter Gerard Mortier und man darf nun, nach einem Jahr Spielbetrieb, einen Blick zurück und auch einen Blick nach vorne wagen - was wir in dem Symposion "Hochkultur im Hochofen" mit bunter Unterstützung tun. Um den Gedanken der Identität einer charakteristischen und auch international markanten Region, der hinter der Gründung der Ruhrtriennale steht, auch auf den Dialog mit der Geisteswissenschaft auszudehnen, hat sich die Ruhrtriennale bei der rganisation des Symposions mit dem Kulturwissenschaftlichen
Institut zusammengetan, einer regional wie international
agierenden und bekannten Institution. Auch der Elfenbeinturm
wurde schon lange verlassen, nun trifft man sich im Hochofen. Die Zusammenarbeit ist zugleich die Ankündigung einer unabhängigen Veranstaltungsreihe zu den hier angerissenen Themen unter Beteiligung aller geisteswissenschaftlichen Institutionen des Ruhrgebiets, die im Austausch mit der Ruhrtriennale durch die
thematische Verknüpfung der öffentlichen Vorträge mit
Produktionen der Abschlußsaison 2004 stattfinden soll.
Das Programm ist unter www.ruhrtriennale.de abzurufen.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kunst / Design, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Musik / Theater, Sprache / Literatur
überregional
Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch
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