idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
23.05.2018 11:00

Arm und Reich, Jung und Alt: immer seltener Tür an Tür

Dr. Harald Wilkoszewski Informations- und Kommunikationsreferat
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH

    WZB-Studie zeigt wachsende sozialräumliche Spaltung in deutschen Städten

    Arme Menschen leben in deutschen Städten zunehmend konzentriert in bestimmten Wohnvierteln. Auch junge und alte Menschen sind immer seltener Nachbarn. Das zeigen Marcel Helbig und Stefanie Jähnen in einer neuen Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Darin untersuchen sie für 74 Städte die Entwicklung der sozialräumlichen Segregation von 2005 bis 2014. Sie ist die bislang umfangreichste Studie, die mit amtlichen Daten die ungleiche räumliche Verteilung sozialer Gruppen untersucht. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass in vielen deutschen Städten die Idee einer sozial gemischten Stadtgesellschaft nicht mehr der Wirklichkeit entspricht.

    In gut 80 Prozent der untersuchten Städte hat seit 2005 die räumliche Ballung von Menschen, die Grundsicherung nach SGB II beziehen, zugenommen – am stärksten dort, wo viele Familien mit kleinen Kindern (unter 6 Jahren) und viele arme Menschen leben. Den höchsten Anstieg verzeichnen ostdeutsche Städte wie Rostock, Schwerin, Potsdam, Erfurt, Halle und Weimar. Zudem schreitet die sozialräumliche Spaltung in Städten schneller voran, wo eine bestimmte Schwelle der Armutssegregation bereits überschritten ist.

    Um das Ausmaß der räumlichen Trennung nach sozialer Lage zu bestimmen, haben Marcel Helbig und Stefanie Jähnen den sogenannten Segregationsindex berechnet. Dieser gibt Auskunft darüber, wieviel Prozent der SGB-II-Bezieher eigentlich in einem anderen Stadtteil wohnen müssten, um gleichmäßig verteilt in einer Stadt zu leben. In einer Reihe von Städten betrifft das zwischen 35 und 40 Prozent der Leistungsempfänger (siehe Grafik 1). „Dieses Niveau kennen wir bisher nur von amerikanischen Städten“, sagt Helbig. Als „historisch beispiellos“ bezeichnet er die Dynamik, mit der die sozialräumliche Spaltung der ostdeutschen Städte binnen weniger Jahre zugenommen hat (siehe Grafik 3).

    Arme Familien mit Kindern sind besonders betroffen. In 36 Städten gibt es inzwischen Quartiere, in denen mehr als die Hälfte aller Kinder von Leistungen nach SGB II leben (siehe Grafik 2). „Diese Entwicklung kann sich negativ auf die Lebenschancen armer Kinder auswirken. Aus der Forschung wissen wir, dass die Nachbarschaft auch den Bildungserfolg beeinflusst“, erklärt Jähnen.

    Die Studie zeigt aber auch, dass bestimmte Altersgruppen immer seltener Tür an Tür wohnen. So konzentrieren sich junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren zunehmend in bestimmten Wohnvierteln, in anderen wiederum alte Menschen ab 65 Jahren.

    Überraschend fanden die Forscher heraus, dass der Anteil von Sozialwohnungen die räumliche Ungleichheit innerhalb einer Stadt verstärkt. „Sozialwohnungen sind in Gebieten zu finden, in denen ohnehin die Armen wohnen. Das Ideal einer sozial gemischten Stadt ist schon lange dem Ziel gewichen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, sagt Jähnen.

    Genauer geht die Studie auf die besondere Situation in Ostdeutschland ein. Auffällig ist, dass Magdeburg und Dresden im Gegensatz zu den anderen ostdeutschen Städten eine vergleichsweise geringe Segregation aufweisen. Diese Sonderstellung begründen die Forscher damit, dass beide Städte im Zweiten Weltkrieg großflächig zerstört wurden und sich Neu- und Plattenbauten ausgewogener im Stadtraum verteilen. In ostdeutschen Städten mit heute hoher sozialer Segregation wie Rostock, Erfurt oder Jena entstanden die Plattenbauten eher am Stadtrand, die nach der Wende zunehmend zu sozialen Brennpunkten wurden. Diese Entwicklung erklärt auch, warum die sozialräumliche Ungleichheit in ostdeutschen Städten heute größer ist als in Westdeutschland.

    Die Studie ist als WZB Discussion Paper erschienen und steht als PDF zum Download bereit.

    Marcel Helbig, Stefanie Jähnen: Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte? Trends und Analysen der Segregation in 74 deutschen Städten.

    Marcel Helbig ist Professor für Bildung und soziale Ungleichheit am WZB und an der Universität Erfurt.
    Stefanie Jähnen forscht als Promotionsstipendiatin am WZB in der Projektgruppe der Präsidentin.

    PROGRAMMHINWEIS: Der WDR berichtet im zweiten Teil seiner dokumentarischen Serie UNGLEICHLAND heute Abend (23. Mai) um 22.10 Uhr über die Studie.

    Pressekontakt

    Prof. Dr. Marcel Helbig
    Tel.: 030/25491-525
    marcel.helbig@wzb.eu

    Stefanie Jähnen
    Tel.: 030/25491-565
    stefanie.jaehnen@wzb.eu

    Claudia Roth
    WZB-Pressestelle
    Tel.: 030/25491-510
    claudia.roth@wzb.eu


    Weitere Informationen:

    https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2018/p18-001.pdf Studie "Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte? Trends und Analysen der Segregation in 74 deutschen Städten."
    https://www.wzb.eu/files/image/sv/iuk/Grafik_1.jpg Ausmaß sozialräumlicher Segregation
    https://www.wzb.eu/files/image/sv/iuk/Grafik_2.jpg Soziale Segregation Kinder
    https://www.wzb.eu/files/image/sv/iuk/Grafik_3.jpg Anstieg sozialräumliche Segregation Ostdeutschland


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Gesellschaft, Politik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).