idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
21.06.2018 10:45

Innovative Handprothesensteuerung besteht Alltagstest

Stefan Weller Stabsstelle Unternehmenskommunikation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität

    Selbstlernende Steuerung für Handprothesen entwickelt. Neues Verfahren lässt Patienten natürlichere Bewegungen gleichzeitig in zwei Achsen durchführen. Forscher der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) veröffentlichen Studie im Wissenschaftsmagazin „Science Robotics“ vom 20. Juni 2018.

    (umg) Motorisierte Handprothesen sind mittlerweile Stand der Technik bei der Versorgung von Amputationen an der oberen Extremität. Bislang erlauben sie allerdings nur die Steuerung einer einzelnen Funktion zur gleichen Zeit. So kann die Prothese entweder geöffnet oder gedreht werden, nicht aber beides gleichzeitig, so wie wir es von gesunden Händen gewohnt sind.

    Jetzt ist es Forschern der Arbeitsgruppe „Applied Rehabilitation Technology Lab (ART-Lab)“ an der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) in Kooperation mit Prof. Dario Farina vom Imperial College London gelungen, ein innovatives Verfahren zu entwickeln und erstmals im Alltag zu testen. Das neue Verfahren erlaubt es, mehrere Funktionen der Hand (z.B. Öffnen und Drehen) gleichzeitig und unabhängig voneinander zu benutzen. Einer der Anwender des neuen Prothesenverfahrens, Jörg Othmer, sagt: „Für mein Gehirn ist das neue Verfahren wie Weihnachten und Ostern an einem Tag. Ich kann jetzt zwei Dinge auf einmal machen. Das System lernt für mich und macht, was ich möchte. Es dient mir sozusagen. Das bringt mir eine neue Lebensqualität.“

    SIMULTANE PROTHESENSTEUERUNG DURCH INNOVATIVES VERFAHREN
    Bei dem innovativen Verfahren werden die schwachen elektrischen Signale der Muskulatur im Armstumpf von acht im Prothesenschaft integrierten Elektroden aufgenommen, verstärkt und an einen ebenfalls im Schaft integrierten Mini-Computer geschickt. Auf diesem interpretiert ein Algorithmus des maschinellen Lernens, der zuvor auf den jeweiligen Patienten trainiert wurde, die Signale. Er kann so aus den acht Signalen die Absicht des Patienten ableiten und entsprechende Steuersignale an die Prothesenmotoren schicken. Der neu entwickelte Prototyp erkennt dabei nicht nur die Art der Funktion, sondern auch die vom Patienten gewünschte Geschwindigkeit der Bewegung und zwar unabhängig für jede der beteiligten Funktionen. So ist es z.B. möglich, die Hand langsam zu drehen und gleichzeitig schnell zu öffnen.

    Die Studie im Wissenschaftsmagazin „Science Robotics“ vom 20. Juni 2018 zeigt die Zuverlässigkeit und Überlegenheit der neuen, auf maschinellem Lernen beruhenden Steuerung gegenüber konventionellen Steuerungsverfahren. Eine weitere, zweimonatige Evaluierungsphase im normalen Umfeld eines Anwenders belegt zudem die Alltagstauglichkeit dieses Verfahrens.

    Originalpublikation:
    Originalveröffentlichung: J. M. Hahne, et. Al., Simultaneous control of multiple func-tions of bionic hand prostheses: Performance and robustness in end users. Sci. Ro-bot. 3, eaat3630 (2018).

    STUDIE BELEGT ZUVERLÄSSIGLEIT DES INNOVATIVEN VERFAHRENS
    „Das neue Verfahren ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, sagt Erstautor Dr. Janne Hahne vom Applied Rehabilitation Technology Lab (ART-Lab) der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie der UMG. „Es eröffnet ihnen neue Bewegungsoptionen, die ihnen den Alltag deutlich erleichtern und ein verbessertes Lebensgefühl verschaffen.“ Bisherige Ansätze mit maschinellem Lernen hatten oft Probleme mit der Zuverlässigkeit. So führt eine Änderung der Armposition, etwa beim Greifen eines Objekts über Kopfhöhe, dazu, dass sich die Signalmuster ändern. Dabei kam es zu Fehlsteuerungen. Auch andere Einflüsse, wie z.B. das Neuanlegen des Schaftes oder sich ändernde Hauteigenschaften, können die Zuverlässigkeit beeinträchtigen. Dies könnte ein häufiges Neutrainieren des Algorithmus erforderlich machen, was die Akzeptanz bei den Nutzern deutlich reduzieren würde.

    Die Studie der Göttinger Forscher zeigt die Zuverlässigkeit des Verfahrens an fünf Personen mit Amputation oder angeborener Fehlbildung im Unterarmbereich. Der Einfluss der Armposition war dabei überraschend gering und die Steuerung blieb über mehrere Tage stabil, auch ohne Nachtrainieren des Algorithmus. Im direkten Vergleich war diese Steuerung den konventionellen Verfahren klar überlegen. Die Studie wurde veröffentlicht am 20.06.2018 im Wissenschaftsmagazin „Science Robotics“.

    SIMULTANSTEUERUNG IM ALLTAGSTEST ERPROBT
    Inzwischen konnte das Göttinger Forscherteam um Prof. Dr. Arndt Schilling, Leiter des ART-Labs in der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie der UMG, die Alltagstauglichkeit ihrer Steuerung in einer Langzeitstudie, die im Rahmen des Projekts INOPRO durchgeführt wurde, an einem Prothesenträger über zwei Monate im normalen Alltag zeigen. Dabei blieb die Steuerung nicht nur stabil, ohne dass ein Nachtrainieren erforderlich wäre. Durch die zunehmende Übung mit der neuen Steuerung verbesserte sich die Performance sogar weiter.

    Das ART-Lab ist eine interdisziplinäre Forschergruppe aus Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Ärzten, die neuartige Rehabilitationstechnik entwickelt und evaluiert. Das Projekt INOPRO ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Verbundprojekt zur Entwicklung intelligenter Prothesen und Orthesen. Ziel ist es, technische Hilfsmittel zu entwickeln, die sich synergetisch dem Bewegungsapparat des Menschen und seinen Fähigkeiten anpassen, um damit die Lebensqualität zu erhöhen.

    Interviews mit der Projektleitung und Patienten oder eine Live-Demonstration der neuen Möglichkeiten der Arm-Prothese werden gerne vermittelt. Ansprech-partner ist Dr. rer. nat. Janne Hahne.

    Videos als Demonstration des neuen Verfahrens für eine bessere Nachvollziehbarkeit finden Sie unter:
    https://youtu.be/PLrQ5bnU9LY
    https://www.youtube.com/watch?v=Me7h4EHQVYc

    WEITERE INFORMATIONEN
    Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
    Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie
    Applied Rehabilitation Technology Lab (ART-Lab)
    Dr. rer. nat. Janne Hahne, Telefon 0177 / 85 66 863
    janne.hahne@med.uni-goettingen.de
    http://www.neurorehabilitation-systems.de


    Weitere Informationen:




    Bilder

    Die neuartige simultane Prothesensteuerung interpretiert die neuronalen Signale des Anwenders indirekt durch Auswertung schwacher elektrischer Potentiale der Stumpfmuskulatur
    Die neuartige simultane Prothesensteuerung interpretiert die neuronalen Signale des Anwenders indire ...
    umg/imperial
    None

    Jörg Othmer testet alltagsnah und in schwierigen Armpositionen für die Evaluierung der simultanen Prothesensteuerung
    Jörg Othmer testet alltagsnah und in schwierigen Armpositionen für die Evaluierung der simultanen Pr ...
    umg
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Elektrotechnik, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Die neuartige simultane Prothesensteuerung interpretiert die neuronalen Signale des Anwenders indirekt durch Auswertung schwacher elektrischer Potentiale der Stumpfmuskulatur


    Zum Download

    x

    Jörg Othmer testet alltagsnah und in schwierigen Armpositionen für die Evaluierung der simultanen Prothesensteuerung


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).