idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
07.10.2003 13:39

Die Bürgerversicherung verspricht mehr als sie halten kann

Bianca Stamm Presse & Öffentlichkeitsarbeit
Europa Fachhochschule Fresenius

    Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) drückte im September 2003 ein Schuldenstand von 8,8 Milliarden Euro. Ursachen dafür sind auf der einen Seite stagnierende Einnahmen als Ergebnis der sinkenden Lohnquote am Bruttoinlandsprodukt, die auch eine Folge der hohen Arbeitslosigkeit ist, und andererseits die hohen Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen, die von der GKV finanziert werden müssen. Die aus den Maßnahmen des GKV-Modernisierungs-Gesetzes (GMG) erwarteten Einsparungen sollen für Beitragssenkungen in der GKV verwandt werden, nicht für den Schuldenabbau. Zur Sanierung der GKV wird mit der Bürgerversicherung eine Änderung der Finanzierung der GKV angeboten. Jens Jessen, Inhaber des Lehrstuhls für Gesundheitsökonomie an der Europa Fachhochschule Fresenius in Idstein, hat die Auswirkungen der Bürgerversicherung auf die Nachhaltigkeit und Generationsgerechtigkeit der GKV-Finanzierung untersucht.

    Die Einbeziehung von Beamten, Selbständigen und Freiberuflern in die GKV erhöht die Einnahmen der Krankenversicherungen. Die neuen Mitglieder haben aber Leistungsansprüche an die Versicherung, deren Höhe unterschiedlich geschätzt wird. Jessen schließt aus der höheren Familienversicherungsquote bei Beamten, Selbständigen und Freiberuflern, dass die Ansprüche Kosten verursachen, die über die zusätzlichen Einnahmen hinausgehen. Auf die Städte und Gemeinden, die Länder und den Bund kämen erhebliche Mehrbelastungen zu, wie Berechnungen des Landes Nordrhein-Westfalen deutlich machen. Die Finanzierung der Bürgerversicherung erfolgt durch den hälftigen Arbeitgeberbeitrag und den hälftigen Arbeitnehmerbeitrag. Zur Zeit zahlt der Beamte seinen Beitrag aus eigener Tasche. Dafür erhält der Beamte im Krankheitsfall vom Arbeitgeber eine Beihilfe. Ein Gegenrechnen von eingesparten Beihilfen und hälftigem Arbeitgeberbeitrag an die Bürgerversicherung hat eine Mehrbelastung des Landes Nordrhein-Westfalen von 50 Millionen Euro ergeben.

    Zusätzliche Mittel sollen durch die Einbeziehung von Miet- und Kapitaleinkünften der Rentner bis zur Beitragsbemessungsgrenze fließen. Ziel ist die Lösung der einseitigen Anbindung an die Lohnkosten, die konjunkturellen Schwankungen unterliegen. Berechnungen ergeben, dass die Miet- und Kapitaleinkünfte nur fünf Prozent der Gesamteinnahmen der GKV ausmachen würden. Eine Verringerung der Konjunktur auf die GKV-Einnahmen ist daraus nicht abzuleiten. Vielmehr ist durch die Einbeziehung der Selbständigen und Freiberufler in die Bürgerversicherung eine Erhöhung der Abhängigkeit zu erwarten. Die sprunghafte Zunahme der Insolvenzrate in diesem Sektor macht das deutlich. Die daraus resultierenden Einbußen bei den Beitragseinnahmen werden zur Kompensation der Einnahmeausfälle Beitragssatzsteigerungen verursachen.

    Bestehende Strukturprobleme der GKV werden nicht gelöst. Die finanzielle Nachhaltigkeit des Gesundheitssystems ist nicht gewährleistet. Die demographische Entwicklung in Deutschland führt zu erheblichen Mehrkosten, die auch durch eine erweiterte Umlagefinanzierung nicht abgefedert werden können. Umlageverfahren haben den Sinn, alle Einnahmen sofort zur Deckung der Leistungsausgaben zu verwenden und keine Rücklagen zu bilden. Die folgenden Generationen werden deshalb mit steigenden Beitragsbelastungen leben, wenn der zunehmende Rentneranteil in der Bevölkerung mit den nötigen Gesundheitsleistungen auch in Zukunft versorgt werden soll.

    Schließlich ist die Bürgerversicherung - wie die GKV - ein Anachronismus, da sie neben die primäre Umverteilung durch die progressive Einkommenssteuer eine sekundäre Umverteilung über die Krankenkassenbeiträge setzt. Das ist nicht die Aufgabe einer Versicherung. Sie hat Behandlungskosten zu übernehmen, die den Einzelnen finanziell überfordern. Damit ist das Gebot der Solidarität zwischen Gesunden und Kranken sowie Jungen und Alten gesichert.

    Weitere Informationen:
    Prof. Dr. Jens Jessen, Europa Fachhochschule Fresenius,
    Limburger Straße 2, D-65510 Idstein,
    Telefon: 06126-226620
    E-Mail: jessen@fh-fresenius.de


    Weitere Informationen:

    http://www.fh-fresenius.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Studium und Lehre
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).