Wissenschaftshistoriker der Universität Jena erforschen britisch-russische Wissenschaftsbeziehungen. Aktuelle Publikation im wissenschaftsgeschichtlichen Journal der Royal Society „Notes and Records“ liefert einen Überblick über 350 Jahre Zusammenarbeit zwischen der britischen Royal Society und der Russischen Akademie der Wissenschaften
Am 18. Juni 1942 wurde Nikolai Wawilow offiziell zum Mitglied der Royal Society, der wohl ältesten und angesehensten Wissenschaftsvereinigung der Welt. Zu diesem Zeitpunkt saß der renommierte Genetiker und Botaniker in einem Saratower Gefängnis, als Feind Stalins zum Tode verurteilt. Indem sie ihn in ihre Gemeinschaft einschlossen, wollten die britischen Kollegen ihre Solidarität mit dem russischen Kollegen bekunden, um möglicherweise auch seine Freilassung zu erwirken. Doch die Geste blieb wirkungslos: Wawilow starb etwa sieben Monate später in Haft.
Politik spielt immer eine wichtige Rolle, wenn Wissenschaftler großer Staaten zusammenarbeiten. Das zeigt diese Episode und das zeigen die Forschungsergebnisse von Wissenschaftshistorikern der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Kollegen aus dem S. I. Vavilov-Institut der Akademie der Wissenschaften Russlands in St. Petersburg. Gemeinsam mit britischen Kollegen haben sie die Verbindungen zwischen der Royal Society und der Russischen Akademie der Wissenschaften untersucht und sich dabei besonders auf die russischen Mitglieder in der „Königlichen Gesellschaft“ konzentriert. Ihren Überblick über 350 Jahre Zusammenarbeit haben sie nun im wissenschaftsgeschichtlichen Journal der Royal Society „Notes and Records“ veröffentlicht.
Regel- und Gesetzmäßigkeiten für die Wissenschaftsentwicklung
„Die Dynamik der Beziehungen zwischen wissenschaftlichen Institutionen gibt uns viel mehr Informationen über Wissenschaftsentwicklungen, als wenn wir uns auf einzelne Personen konzentrieren“, sagt Prof. Dr. Georgy S. Levit von der ITMO Universität St. Petersburg, der derzeit auch an der Universität Jena forscht. „Daraus lassen sich dann bestimmte Regel- und Gesetzmäßigkeit für die Wissenschaftsentwicklung ableiten und etwa die Frage beantworten, was Wissenschaft wirklich braucht“, ergänzt sein Jenaer Kollege Prof. Dr. Uwe Hoßfeld. Eine Konstante sticht dabei hervor: Politik spielt immer eine Rolle.
Schon zu Beginn der Kooperation tritt das deutlich hervor: 1724 wurde ein Vertrauter Peter des Großen, Alexander Menschikoff, auf Einladung Isaac Newtons in die Royal Society aufgenommen, obwohl er kaum lesen und schreiben konnte. In der Regel traf aber hier Spitzenforschung aufeinander, was beide Seiten befruchtete und bereicherte, vor allem vor der Oktoberrevolution. Prominente Namen sind damit verknüpft: Charles Darwin etwa war Mitglied der Russischen Akademie. Der Physiologe Iwan Pawlow trat dem Kreis der Royal Society bei.
Freiheit als zentraler Begriff
Ab 1917 gestaltete sich die Zusammenarbeit allerdings weitaus schwieriger. „Die Royal Society versuchte nun konsequent, einzelne Wissenschaftler zu unterstützen und somit auch politischen Einfluss in der Sowjetunion auszuüben. Freiheit ist dabei ein ganz zentraler Begriff, wie nicht zuletzt der Fall Wawilow zeigt“, erklärt Levit. „Die Russen hingegen wollten durch diesen Kontakt die sowjetische Wissenschaft legitimieren.“ Ihre Vertreter gelangten etwa durch eine Mitgliedschaft in der Royal Society in internationale Kreise, konnten ins Ausland reisen und Literatur nutzen, an die sie in der Sowjetunion nicht gekommen wären. Andererseits erhielt der Westen dadurch Zugang zu russischer Spitzenforschung, etwa in den Bereichen Mathematik und Physik.
Unveröffentlichte Materialien
Für ihre Arbeit haben die Wissenschaftshistoriker lange in britischen und russischen Archiven geforscht, Mitgliederlisten überprüft, Korrespondenzen und Akademiegeschichten studiert. Bisher unveröffentlichte Dokumente sind erstmals in ihrem Artikel zu finden. „Es war eine sehr intensive Arbeit, nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Sprachen“, sagt Hoßfeld. „Wir haben aber von beiden Seiten große Unterstützung und großes Interesse erfahren.“ Die Institutionen seien sehr daran interessiert, ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten.
Möglicherweise lassen sich so in der Zukunft Fehler vermeiden. Denn die Jenaer Forscher kommen zu einem klaren Ergebnis: „Die politischen Faktoren unterstützen wissenschaftliche Entwicklung nicht – im Gegenteil: Sie stören sie eher“, sagt Levit. „Wissenschaftlicher Austausch wird so verhindert oder zweckentfremdet.“ Gegenwärtige Entwicklungen, wie der Brexit, könnten deshalb die Kommunikation und Kooperation unter Forschenden erschweren, befürchten die Jenaer Experten.
apl. Prof. Dr. Uwe Hoßfeld
Arbeitsgruppe Biologiedidaktik der Universität Jena
Am Steiger 3, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 949491
E-Mail: uwe.hossfeld[at]uni-jena.de
E. Kolchinsky, U. Hossfeld, G. S. Levit: Russian Scientists and the Royal Society of London: 350 years of scientific collaboration. Notes and Records, 2018, http://dx.doi.org/10.1098/rsnr.2017.0001
Apl. Prof. Dr. Uwe Hoßfeld (r.) und Prof. Dr. Gregory S. Levit analysieren die Beziehungen zwischen ...
Foto: Anne Günther/FSU
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Geschichte / Archäologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
Apl. Prof. Dr. Uwe Hoßfeld (r.) und Prof. Dr. Gregory S. Levit analysieren die Beziehungen zwischen ...
Foto: Anne Günther/FSU
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