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22.10.2018 15:30

Chemie aus der Luft: atmosphärischem Stickstoff als Alternative

Dr. Barbara Heller Pressestelle
Leibniz-Institut für Katalyse e. V. an der Universität Rostock

    Nachwuchsforscher am Leibniz-Institut für Katalyse (LIKAT) in Rostock entwickeln derzeit einen Katalysator, der Stickstoff aus der Luft aktivieren soll. Im Rahmen des EU-Programms Horizon 2020 gelang es ihnen, ein molekulares „Korsett“ für das reaktive Zentrum des Katalysators zu entwerfen. Dieses Gerüst hält den Katalysator stabil und lässt ihn präzise arbeiten. Ziel der Gruppe um Dr. Christian Hering-Junghans ist es, Luftstickstoff zusammen u.a. mit dem Klimagas CO2 für die Herstellung chemischer Grundstoffe nutzbar zu machen. Und auf diese Weise das berühmte, doch hochaufwändige Haber-Bosch-Verfahren zu umgehen.

    Seit rund hundert Jahren versorgt das Haber-Bosch-Verfahren die Landwirtschaft mit Ammoniak als Basis für Mineraldünger. Mist, Kompost und der Wechsel der Anbaukulturen reichten damals nicht mehr, um den Getreideertrag so zu steigern, wie die rasant wachsende Weltbevölkerung es schon damals erforderte. Unter dem Schlagwort „Brot aus der Luft“ begannen Chemiker im Labor, den für das Pflanzenwachstum notwendigen Stickstoff aus der Atmosphäre zu fixieren und aufzubereiten. Dabei setzte sich die von Fritz Haber und Carl Bosch entwickelte Ammoniaksynthese durch.

    ENERGIEINTENSIVE CO2-QUELLE

    Sie ist noch heute das bedeutendste chemische Verfahren und Grundlage für die Welternährung. Von den 200 Millionen Tonnen Ammoniak pro Jahr (2013) geht der meiste Teil in die Düngerproduktion. Der Rest dient als Grundstoff für alle weiteren Stickstoffverbindungen, etwa als Ausgangsstoff für die Kunststoffherstellung. Doch das Haber-Bosch-Verfahren ist sehr energieintensiv, es läuft bei Temperaturen bis zu 500 Grad Celsius und Drücken bis zu 350 bar. Zwei Prozent des gewerblichen Energiebedarfs weltweit gehen zu seinen Lasten. Zudem entstehen pro Tonne produzierten Ammoniaks 1,5 Tonnen des Treibhausgases CO2.
    „Es lohnt sich also, zumindest jenen Teil der Ammoniakproduktion durch moderne Verfahren zu ersetzen, der nicht für die Pflanzendüngung gedacht ist“, sagt Nachwuchsgruppenleiter Hering-Junghans vom LIKAT. Für die Chemie mit Stickstoff interessiert sich der 32-Jährige seit seinem Praktikum 2011 am MIT in Boston.

    SCHWER ZU KNACKEN

    Das Element Stickstoff, N, lat. Nitrogenium, existiert in der Luft als zweiatomiges Molekül: N2. N2 ist äußerst stabil und reaktionsträge, und zwar deshalb, weil die beiden Stickstoffatome ihre drei äußeren Elektronenbahnen gemeinsam nutzen. Chemiker nennen dies eine Dreifachbindung. In dieser Konstellation ist Stickstoff für die Vegetation nicht verwertbar. Pflanzen benötigen ihn in Form von Ammoniak (NH3), etwa aufbereitet in Dünger.
    Chemisch sind Dreifachbindungen schwer zu knacken, bisher, wie gesagt, nur unter hohem Energieaufwand. Am MIT arbeitete Christian Hering-Junghans in einer Gruppe, der es 1995 als erster gelungen war, molekularen Luftstickstoff bei Zimmertemperatur aufzubrechen und in elementarer Form an ein Metall zu binden. Allerdings war der elementare Stickstoff zu fest an das Metall gebunden. Damit stand er für weitere Reaktionen nur eingeschränkt zur Verfügung, sagt Hering-Junghans.
    Er machte ein eigenes Forschungsthema daraus. Seine Idee war es, die feste Stickstoff-Metall-Verbindung auf katalytischem Wege mit Kohlenstoffquellen wie dem Klimagas CO2 in Kontakt zu bringen. Der Kohlenstoff darin würde den Stickstoff vom Metall „befreien“ und selbst damit reagieren. Stickstoff-Kohlenstoff-Verbindungen werden in der Chemieindustrie massenhaft gebraucht.

    VORBILD NATUR: KNÖLLCHENBAKTERIEN

    Anregung für einen passenden Katalysator bekam der LIKAT-Chemiker von der Natur: Das Enzym Nitrogenase gestattet es einigen Arten, etwa Knöllchenbakterien an den Wurzeln von Hülsenfrüchten, atmosphärischen in elementaren Stickstoff in Form von Ammoniak umzuwandeln. Die Struktur der Nitrogenase und der Vorgang der natürlichen Stickstofffixierung sind weitgehend aufgeklärt. Hering-Junghans: „In der Nitrogenase helfen Molybdän, teils auch Vanadium, und Eisen, also Metalle, die Dreifachbindung des Luftstickstoffs aufzubrechen.“ Und da dies ein regelrechter Kraftakt ist, ist der Metallkomplex fest eingebettet in ein molekulares Gerüst, von dem es unterstützt wird.
    Christian Hering-Junghans und seinem dreiköpfigen Team gelang es nun im Labor, ein solches Korsett, sie nennen es „Ligand“, für ihren Katalysator zu entwickeln. Sie nutzten dafür phosphorhaltige Systeme, die wie das Enzymgerüst der Nitrogenase funktionieren. Im nächsten Schritt wollen sie nun Molybdän, Eisen und Vanadium in das Gerüst einbetten. Das Forschungsvorhaben mit dem Namen „LiDeNiAc“ (Ligand Design for Nitrogen Activation) wird von der EU bis 2020 mit 168.000 Euro gefördert.
    Wenn alles klappt, wird am Ende ein chemischer Prozess mittels Ausgangsstoffen aus der Luft bei milden Temperaturen wichtige Grundchemikalien produzieren, die bisher nur über das Haber-Bosch-Verfahren verfügbar sind. Das wird Umwelt und Atmosphäre nachhaltig entlasten.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Christian Hering-Junghans, Christian.hering-junghans@catalysisi.de


    Bilder

    Katalysatoren - in kristalliner Form - in den LIKAT-Laboren entwickelt
    Katalysatoren - in kristalliner Form - in den LIKAT-Laboren entwickelt
    nordlicht LIKAT
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Chemie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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