Vor der Umkleide im überfüllten Kaufhaus wächst die Käuferschlange: In der engen, stickigen Kabine stellt die Kundin schließlich enttäuscht fest, dass die gewählte Hose zu kurz und der neue Rock zu eng geschnitten ist. Wieder angezogen, kann sie die gewünschten Kleidungsstücke in passender Konfektionsgröße und Farbe nicht finden. Entnervt greift sie zu Hause zum Versandkatalog und bringt nach Erhalt der Textilien - aufgrund mangelnder Passform - diese wieder umständlich zur Post. Solche und ähnliche Szenarien gestalten den modischen Einkauf für viele Käuferinnen und Käufer zum zeitraubenden und frustrierenden Erlebnis. Denn die angebotene Garderobe in Boutiquen, Kaufhäusern und Versandkatalogen entspricht oft nicht den individuellen Maßen des Einzelnen oder dessen Ansprüchen an Qualität und Tragekomfort.
Wie praktisch wäre dagegen ein Rollentausch: In einem Online-Shop könnte der Kunde - als virtuelle Figur - maßgeschneiderte Kleidung mühelos anprobieren, Teile austauschen und seinen neuen Look von allen Seiten betrachten. Diese Kleideranprobe in virtuellen Welten hat das BMBF-Projekt "Virtual Try-On" zum Ziel. In dem interdisziplinären Forschungsvorhaben entwickelt das Fraunhofer IGD in Darmstadt neue Virtual-Reality-Technologien (VR), die eine exakte Textil- und Körpersimulation ermöglichen. Die Echtzeit-Präsentation des Projektes basiert auf der komplexen 3D-Simulation von physikalischen Daten über Stoffmaterial, Schnittmuster, Lichteinfall und Bewegung. Damit können die echten Materialeigenschaften und sogar der Faltenwurf eines Textils photorealistisch abgebildet werden. Anschließend wird das vom Kunden ausgewählte Kleidungsstück exakt auf eine digitale PC-Figur umgesetzt. "Das bietet entscheidende Vorteile" betont Volker Luckas, Teilprojektleiter am Fraunhofer IGD. "Die Kunden können beim elektronischen Einkauf vorab sehen, welche eventuellen Reibungs- oder Druckstellen die angebotene Kleidung aufweist und damit Fehlkäufe vermeiden!".
Der digitale Doppelgänger des Käufers entsteht durch Daten, die per berührungslosen Laser-Scanner in einer realen Boutique oder einem Kaufhaus automatisch eingelesen werden. Oder der Betreffende wird als sogenannte "virtuelle Figurine" nach persönlichen Maßangaben authentisch abgebildet. In "Virtual Try-On" fließen damit auch wichtige psychologische Kenntnisse ein: Der Kunde aus Fleisch und Blut kann sich mit seinem virtuellen Double identifizieren.
Mit "Virtual Try-On" könnte Maßkonfektion in Zukunft ohne teure Verschnitte hergestellt und somit preisgünstiger werden", unterstreicht Volker Luckas, Leiter der Abteilung Animation und Bildkommunikation. Denn mit "Virtual Try-On" lässt sich der komplette Einkaufsvorgang - von der Stoff- und Schnittauswahl über die Anproben bis zum Zuschnitt - vollständig via Internet erledigen. Statt umständlicher Kleideranprobe wird dem Kunden von seinem simulierten Gegenüber - ähnlich wie bei einer Modenschau - die ausgewählte Kleidung vorgeführt. Zuhause am PC oder auch am virtuellen Spiegel vor Ort, etwa im Kaufhaus. Er kann eventuelle Änderungen an Passform, Ausstattung und Farbe innerhalb kürzester Zeit virtuell durchspielen und ausprobieren. Nach der Auswahl bestellt er die entsprechende Konfektion im e-Shop oder leitet einen detaillierten Auftrag für den Maßzuschnitt an eine Schneiderei weiter - ohne ein einziges Mal zur persönlichen Anprobe zu erscheinen!
Für Modedesigner und Konfektionshersteller entstehen mit der ausgereiften Software-Lösung weitere, langfristige Perspektiven: Diese erhalten aktuelle, empirische Werte durch die interaktive Bekleidungsauswahl- und konfiguration, um künftig das Herstellersortiment den realen Bedürfnissen der Käufer anzupassen. In Zukunft ließe sich damit Mode zielgerichteter und rationeller entwerfen.
Das Forschungsvorhaben "Virtual Try-On" gehört zu den 15 Verbundprojekten zum Themenfeld "Virtuelle und Erweiterte Realität" des Bundesforschungsministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Es wird mit 4,0 Millionen Euro gefördert und besitzt eine Laufzeit bis 2004. Unter der Koordination der Human Solutions GmbH, Kaiserslautern sind im interdisziplinären Projektteam unterschiedlichste Fachrichtungen aus Forschung und Industrie vertreten: Neben dem Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt die Universitäten in Bonn und Tübingen, das Bekleidungsphysiologische Institut Hohenstein sowie renommierte Unternehmen aus den Branchen E-Commerce und der Bekleidungsindustrie.
Weitere Informationen zu Virtual Try-On erhalten Sie unter der URL: http://www.virtualtryon.de
Ansprechpartner
Dr. Volker Luckas
Fraunhofer IGD Darmstadt
Telefon: +49 (0) 6151/155 646
Fax: +49 (0) 6151/155 139
E-Mail: luckas@igd.fraunhofer.de
URL: http://www.igd.fraunhofer.de
Kurzprofil INI-GraphicsNet:
Das internationale Netzwerk der Graphischen Datenverarbeitung (INI-GraphicsNet) besteht aus dem Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD, dem Zentrum für Graphische Datenverarbeitung (ZGDV) e.V., beide in Darmstadt und Rostock, und dem Fachgebiet Graphisch-Interaktive Systeme (GRIS) der Technischen Universität Darmstadt. Weitere Institutionen des Netzwerkes sind das Fraunhofer-Anwendungszentrum für Computergraphik in Chemie und Pharmazie (AGC) in Frankfurt, das Fraunhofer Center for Research in Computer Graphics (CRCG) und imedia - The ICPNM Academy, beide in Providence, Rhode Island (USA), das Centre for Advanced Media Technology (CAMTech) und das Centre for Graphics and Media Technology (CGMT), beide in Singapur, das Centro de Computaç"o Gráfica (CCG) in Guimar"es (Portugal), das Centre for Visual Interaction and Communication Technologies (VICOMTech) in San Sebastian (Spanien), das Institute for New Media Technology (NEMETech) in Seoul (Süd-Korea) und das Center for Advanced Computer Graphics Technologies (GRAPHITech) in Trento (Italien).
Innerhalb des Netzverbundes sind an den neun Standorten über 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie rund 560 wissenschaftliche Hilfskräfte beschäftigt. Bei einem Haushalt von über 42 Millionen Euro bildet das INI-GraphicsNet weltweit den größten Forschungsverbund auf dem Gebiet der Graphischen Datenverarbeitung.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Informationstechnik, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Wirtschaft
überregional
Forschungsprojekte, Wissenschaftspolitik
Deutsch
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