Wenn Silizium und Metalle Hochzeit halten
Chemnitzer Chemiker entwickelten ein Molekül für alle Fälle
Woran denken Sie, wenn Sie einen Baum sehen? Vermutlich nicht gerade an Chemie. Anders die Chemiker selbst, wenn es bei ihnen auch umgekehrt lief. Sie fanden vor einigen Jahren eine neue Klasse von Verbindungen, deren Aussehen sie so stark an einen Baum erinnerte, daß sie ihr den Namen "Dendrimere" (von dendros = griechisch: Baum) gaben. Der Name soll an die Polymere, also unsere Kunststoffe, erinnern. Andere Forscher glaubten in den Molekülen einen Blumenkohl oder auch die filigrane Schönheit einer Schneeflocke zu erkennen. Die neuen Stoffe verästeln und verzweigen sich so sehr, daß die Ähnlichkeit in der Tat verblüffend ist. Und diese Ähnlichkeit läßt sie formvollendet und harmonisch, faszinierend und geheimnisvoll, eben einfach schön aussehen. Aber in ihnen steckt mehr als nur Schönheit: Die Dendrimere könnten die Moleküle des 21. Jahrhunderts werden, so wie die Kunststoffe (Fachwort: Polymere) diejenigen des 20. sind.
Einen eigenen, besonders vielversprechenden Dendrimertyp haben jetzt die Chemnitzer Chemiker Prof. Heinrich Lang, Karin Brüning und Bettina Lühmann entwickelt. Anders als die bisher hergestellten Dendrimere besteht ihr Grundgerüst nicht nur aus Kohlenstoff, sondern auch aus Silizium und Sauerstoff. Die so entstehenden "Carbosiloxan-Dendrimere" verknüpften sie zusätzlich mit Metallatomen. Außerdem gelang es ihnen, an der Moleküloberfläche unter anderem sogenannte Metallocene anzubringen. Solche Metallocene können als überaus leistungsfähige Katalysatoren chemische Reaktionen um das bis zu zehntausendfache beschleunigen (siehe unsere PM 161/98 vom 6. Juli 1998).
Prinzipiell lassen sich zwei Arten von Katalysatoren unterscheiden - homogene und heterogene. Die homogenen sind im allgemeinen wirksamer, weil sie mit den Stoffen, die miteinander reagieren sollen, vermischt sind. Sie lassen sich jedoch anschließend nur schwer wieder vom Reaktionsgemisch abtrennen. Heterogene Katalysatoren - Beispiel: der Autokat, an dem die Abgase nur vorbeistreichen und sich kurzzeitig anlagern - vermeiden diesen Nachteil um den Preis einer geringeren Effektivität. Anders die neuen Chemnitzer Metallocen-Dendrimere: Sie vereinen die Vorteile beider Katalysatortypen, weil sie sich aufgrund ihrer Größe aus einem Reaktionsgemisch leicht wieder abtrennen lassen - etwa durch Filtration oder Zentrifugation. Dadurch kann man sie auch häufiger wiederverwenden.
Damit freilich sind die enormen Möglichkeiten der Carbosiloxan-Dendrimere noch keineswegs erschöpft. So lassen sie sich etwa auch als Tonermaterial für Laserdrucker und Kopiergeräte einsetzen. Denkbar ist auch die Verwendung als neues, keramikähnliches Material, als Elektrodenbeschichtung, in der Biochemie als künstliche Antikörper, als Hilfsmittel bei der Diagnose von Krankheiten und als extrem dünne, aber besonders feste Filme. Noch freilich lassen sich die Chemnitzer Dendrimere nur im Labormaßstab herstellen und sind damit sehr teuer.
Stichwort: Dendrimere
Entdeckt und erstmals hergestellt wurde die Stoffgruppe der Dendrimere 1978 von dem Bonner Chemiker Prof. Fritz Vögtle. Er nannte sie zunächst "Kaskadenmoleküle". Den Aufbau dieser Kaskadenmoleküle, also der späteren Dendrimere, kann man sich vereinfacht etwa wie folgt vorstellen: Man hängt an beide Arme eines Y-förmigen Moleküls je ein weiteres solches Molekül, an deren vier Arme ebenfalls, und so fort. Dabei verdoppelt sich die Zahl der Arme bei jedem Schritt. Neben Startmolekülen mit zwei gibt es aber auch solche mit drei oder sogar vier Armen.
Da sich die einzelnen Reaktionen wiederholen, sprechen die Fachleute von einem "repetitiven Zyklus". Dabei entstehen, ähnlich wie bei einer Zwiebel, regelmäßige Schichten, die als "Generationen" bezeichnet werden. Der Aufbau geht also von einem Kern aus und schreitet von innen nach außen fort. Es geht aber auch umgekehrt: Zunächst werden die einzelnen "Zweige" des Baummoleküls hergestellt und zu Ästen verbunden und erst ganz zum Schluß alle Äste an den Kern angeheftet. Dieses "konvergent" genannte Verfahren vermeidet das Entstehen toter Äste, die auf dem "divergenten" Weg von innen nach außen nicht immer zu vermeiden sind. In jedem Fall jedoch ist nach etwa zehn bis zwölf Durchgängen Schluß, da sich die Arme dann gegenseitig behindern.
Anfangs galten die Dendrimere lediglich als Kuriosität. Bald jedoch bemerkten die Forscher, daß die künstlichen Moleküle in vielerlei Beziehung eine große Ähnlichkeit mit Naturstoffen, besonders mit Proteinen (Eiweißen) zeigen - sie sind annähernd kugelförmig, etwa genau so groß und von inneren Hohlräumen erfüllt, deren Größe sich sogar gezielt steuern läßt. In diese Hohlräume lassen sich andere Moleküle, etwa Medikamente, wie in einem Käfig einsperren, die dann im Körper langsam und kontrolliert wieder abgegeben werden - die Chemiker sprechen in solchen Fällen von "Wirt-Gast-Komplexen". Die Kugelgestalt sorgt auch dafür, daß die Dendrimere - anders als normale, langkettige Kunststoffe - sowohl in Lösung als auch geschmolzen weniger zähflüssig und damit leichter zu verarbeiten sind. Fasziniert waren die Chemiker auch davon, daß man als letzte Dendrimerschicht andere, besonders reaktionsfreudige chemische Gruppen mit ganz bestimmten Eigenschaften anbringen kann. Hunderte bis zu mehreren tausend solcher Endgruppen lassen sich auf der Oberfläche anbringen. Sie können das Molekül beispielsweise wasserlöslich machen oder ihrerseits wieder als Anheftungspunkte dienen, beispielsweise für Katalysatoren.
Solche und andere Eigenschaften machen die Dendrimere für viele Bereiche aus Medizin und Technik interessant. Seit Anfang der 90er Jahre hat deshalb ein regelrechter Forschungsboom eingesetzt - waren bis 1990 nicht einmal ein Dutzend einschlägige Veröffentlichungen in den Fachzeitschriften erschienen, so sind es mittlerweile hunderte pro Jahr. Inzwischen unterscheidet man mehr als 20 Familien von Dendrimertypen.
(Autor: Hubert J. Gieß)
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Bildunterschrift: Sie könnten die Moleküle des 21. Jahrhunderts werden: die Dendrimere. Denn kaum eine andere Stoffgruppe hat so vielfältige, überraschende und nützliche Eigenschaften. Jetzt haben Chemnitzer Chemiker Dendrimere auf Siliziumbasis mit hohem Metallgehalt entwickelt, die noch einmal eine Steigerung erwarten lassen. (Im Bild: Prof. Dr. Heinrich Lang und die Diplom-Chemikerin Bettina Lühmann mit einer Probe der neuen Stoffgruppe.)
Weitere Informationen: Technische Universität Chemnitz, Institut für Chemie, Straße der Nationen 62, 09107 Chemnitz, Prof. Dr. Heinrich Lang, Tel. (03 71) 5 31-16 73, Fax (03 71) 5 31-18 33, E-Mail: heinrich.lang@chemie.tu-chemnitz.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie, Elektrotechnik, Energie, Maschinenbau, Werkstoffwissenschaften, Wirtschaft
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Deutsch
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